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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

dieser Sündhaftigkeit das Versprechen wieder auf. Das sei nicht bloß Recht, das sei sogar Pflicht. Die ganze Sache, wie Hradscheck sie geschildert, gehöre zu seinen schmerzlichsten Erfahrungen. Er habe große Stücke von der Verstorbenen gehalten und allezeit einen Stolz darein gesetzt, sie für die gereinigte Lehre gewonnen zu haben. Daß er sich darin geirrt oder doch wenigstens halb geirrt habe, sei, neben anderem, auch persönlich kränkend für ihn, was er nicht leugnen wolle. Diese persönliche Kränkung indeß sei nicht das, was sein eben gegebenes Urtheil bestimmt habe. Hradscheck solle getrost bei seinem Plane bleiben und nach Berlin reisen, um das Kreuz zu bestellen. Ein Kreuz und ein guter Spruch zu Häupten der Verstorbenen werde derselben genügen, dem Kirchhof aber ein Schmuck sein und eine Herzensfreude für jeden, der Sonntags daran vorüberginge.

*  *  *

Es war Ende Oktober gewesen, daß Eccelius und Hradscheck dies Gespräch geführt hatten, und als nun Frühling kam und der ganze Tschechiner Kirchhof, so kahl auch seine Bäume noch waren, in Schneeglöckchen und Veilchen stand, erschien das gußeiserne Kreuz, das Hradscheck mit vieler Wichtigkeit und nach langer und minutiöser Berathung auf der königlichen Eisengießerei bestellt hatte. Zugleich mit dem Kreuze traf ein Steinmetz mit zwei Gesellen ein, Leute die das Aufrichten und Einlöthen aus dem Grunde verstanden, und nachdem die Dorfjugend ein paar Stunden zugesehen hatte, wie das Blei geschmolzen und in das Sockelloch eingegossen wurde, stand das Kreuz da mit Spruch und Inschrift, und viele Neugierige kamen, um die goldblanken Verzierungen zu sehn: unten ein Engel, die Fackel senkend, und oben ein Schmetterling. All das wurde von Alt und Jung bewundert. Einige lasen auch die Inschrift: „Ursula Vincentia Hradscheck, geb. zu Hickede bei Hildesheim im Hannöverschen den 29. März 1790, gest. den 30. September 1832.“ Und darunter Evang. Matthäi 6, V. 14. Auf der Rückseite des Kreuzes aber stand ein muthmaßlich von Eccelius selbst herrührender Spruch, darin er seinem Stolz, aber freilich auch seinem Schmerz Ausdruck gegeben hatte. Dieser Spruch lautete: „Wir wandelten in Finsterniß, bis wir das Licht sahen. Aber die Finsterniß blieb, und es fiel ein Schatten auf unsren Weg.“

*  *  *

Unter denen, die sich das Kreuz gleich am Tage der Errichtung angesehen hatten, waren auch Gendarm Geelhaar und Mutter Jeschke gewesen. Sie hatten denselben Heimweg und gingen nun gemeinschaftlich die Dorfstraße hinunter, Geelhaar etwas verlegen, weil er den zu seiner eignen Würdigkeit schlecht passenden Ruf der Jeschke besser als irgend wer anders kannte. Seine Neugier überwand aber seine Verlegenheit, und so blieb er denn an der Seite der Alten und sagte:

„Hübsch is es. Un der Schmetterling so natürlich; beinah wie’n Citronenvogel. Aber ich begreife Hradscheck nich, daß er sie so dicht an dem Thurm begraben hat. Was soll sie da? Warum nicht bei den Kindern? Eine Mutter muß doch da liegen, wo die Kinder liegen.“

„Woll, woll, Geelhaar. Awers Hradscheck is klook. Un he weet ümmer, wat he deiht.“

„Gewiß weiß er das. Er ist klug. Aber gerade weil er klug ist …“

„Joa, joa.“

„Nu was denn?“

Und der sechs Fuß hohe Mann beugte sich zu der alten Hexe nieder, weil er wohl merkte, daß sie was sagen wollte.

„Was denn, Mutter Jeschke?“ wiederholte er seine Frage.

„Joa, Geelhaar, wat sall ick seggen? Eccelius möt it weten. Un de hett nu ook wedder de Inschrift moakt. Awers een is, de weet ümmer noch en beten mihr.“

„Und wer is das? Line?“

„Ne, Line nich. Awers Hradscheck sülwsten. Hradscheck, de will de Kinnings und de Fru nich tosoamen hebb’n. Nich so upp enen Hümpel.“

„Nun gut, gut. Aber warum nicht, Mutter Jeschke?“

„Nu, he denkt, wenn’t los geiht.“

Und nun blieb sie stehn und setzte dem halb verwundert, halb entsetzt aufhorchenden Geelhaar auseinander, daß die Hradscheck an dem Tage, „wo’s los gehe“, doch natürlich nach ihren Kindern greifen würde, vorausgesetzt, daß sie sie zur Hand habe. „Un dat wull de oll Hradscheck nich.“

„Aber, Mutter Jeschke, glaubt Ihr denn an so was?“

„Joa, Geelhaar, worümm nich? Worümm sall ick an so wat nich glöwen?“


16.

Als das Kreuz aufgerichtet stand, es war Nachmittag geworden, kam auch Hradscheck, sonntäglich und wie zum Kirchgange gekleidet, und die Neugierigen, an denen den ganzen Tag über, auch als Geelhaar und die Jeschke längst fort waren, kein Mangel blieb, sahen, daß er den Spruch las und die Hände faltete. Das gefiel ihnen ausnehmend, am meisten aber gefiel ihnen, daß er das theure Kreuz überhaupt bestellt hatte. Denn Geld ausgeben (und noch dazu viel Geld) war das, was den Tschechinern als ächten Bauern am meisten imponirte. Hradscheck verweilte wohl eine Viertelstunde, pflückte Veilchen, die neben dem Grabhügel aufsprossen, und ging dann in seine Wohnung zurück.

Als es dunkel geworden war, kam Ede mit Licht, fand aber die Thür von innen verriegelt, und als er nun auf die Straße ging, um wie gewöhnlich die Fensterladen von außen zu schließen, sah er, daß Hradscheck, eine kleine Lampe mit grünem Klappschirm vor sich, auf dem Sopha saß und den Kopf stützte. So verging der Abend. Auch am andern Tage blieb er auf seiner Stube, nahm kaum einen Imbiß, las und schrieb, und ließ das Geschäft gehn, wie’s gehen wollte.

„Hür’, Jakob,“ sagte Male, „dat’s joa grad’ as ob se nu ihrst dod wihr. Süh doch, wie he doa sitt. He kann doch nu nich noch moal wedder anfang’n.“

„Ne,“ sagte Jakob, „dat kann he nich.“

Und Ede, der hinzukam und heute gerade seinen hochdeutschen Tag hatte, stimmte bei, freilich mit der Einschränkung, daß er auch von der vorausgegangenen „ersten Trauer“ nicht viel wissen wollte.

„Wieder anfangen! Ja, was heißt wieder anfangen? Damals war es doch auch man so so. Drei Tag’ und nich länger. Und paß auf, Male, diesmal knappst er noch was ab.“

Und wirklich, Ede, der aller Dummheit unerachtet seinen Herrn gut kannte, behielt Recht, und ehe noch der dritte Tag um war, ließ Hradscheck die Träumerei fallen und nahm das gesellige Leben wieder auf, das er schon während der zurückliegenden Wintermonate geführt hatte. Dazu gehörte, daß er alle vierzehn Tage nach Frankfurt und alle vier Wochen auch mal nach Berlin fuhr, wo er sich, nach Erledigung seiner kaufmännischen Geschäfte, kein anderes Vergnügen als einen Theaterabend gegönnt haben sollte. Deßhalb stieg er auch regelmäßig in dem an der Ecke der Königs- und Klosterstraße gelegenen „Gasthofe zum Kronprinzen“ ab, von dem aus er bis zu dem damals in Blüthe stehenden Königsstädtischen Theater nur ein paar Schritte hatte. War er dann wieder in Tschechin zurück, so gab er den Freunden und Stammgästen in der Weinstube, zu denen jetzt auch Schulze Woytasch gehörte, nicht bloß Scenen aus dem Angely’schen „Fest der Handwerker“ und Holtei’s „Altem Feldherrn“ und den „Wienern in Berlin“ zum Besten, sondern sang ihnen auch allerlei Lieder und Arien vor: „War’s vielleicht um eins, war’s vielleicht um zwei, war’s vielleicht drei oder vier.“ Und dann wieder: „In Berlin, sagt er, mußt Du fein, sagt er, immer sein, sagt er etc.“ Denn er besaß eine gute Tenorstimme. Besonderes Glück aber, weit über die Singspiel-Arien hinaus, machte er mit dem Leierkastenlied von „Herrn Schmidt und seinen sieben heirathslustigen Töchtern“, dessen erste Strophe lautete:

Herr Schmidt, Herr Schmidt,
Was kriegt denn Julchen mit?
      „Ein Schleier und ein Federhut,
      Das kleidet Julchen gar zu gut.“

Dies Lied von Herrn Schmidt und seinen Töchtern war das Entzücken Kunicke’s, das verstand sich von selbst, aber auch Schulze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_646.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)