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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Der nördliche Raum hat im Inneren zwei lange Reihen Steinbänke, es waren die Futtertröge für das Zugvieh, der südliche Raum enthält in fünf Reihen aufgestellte aus Bruchsteinen geschichtete Pfeiler, welche offenbar ein aus Stroh und Palmblättern gebildetes Schattendach trugen. Hier wurden die Zugthiere untergebracht, von denen zwischen den Steinpfeilern der Decke je eine Reihe Platz fand. Es war hier Raum für 250 Ochsen vorhanden. Kamele bedurften keiner Stallungen, und die Kornspeicher pflegen in Aegypten aus einfachen Mauereinfriedigungen zu bestehen, innerhalb welcher das Getreide zu hohen Haufen aufgeworfen wird.

Am Ostende des Viehhofs gewahrt man eine tiefe Grube ohne Mauerreste, die wahrscheinlich zur Aufnahme des bei gelegentlichen Regengüssen auf der Thalsohle zusammenfließenden Wassers diente. Die eigentliche Wasserstation lag in einer südlichen Seitenschlucht, ein Kilometer vom Kastell entfernt, in höherer Lage, so daß eine Röhrenleitung wohl zu diesem herunterführen konnte.

Alle diese Wasserwerke vermochten indeß für die Bedürfnisse einer so großen Niederlassung, in welcher sich die Vornehmen noch obendrein den Luxus von Bädern gestatten konnten, allein nicht auszureichen. Jedenfalls waren beständig Hunderte von Kamelen auf den Beinen, die Tagereisen weit, vom Nil oder von den natürlichen Cisternen der Gebirge das Wasser in größeren Mengen herbeitrugen.

Eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bietet der Tempel, welcher auf einer Felsanhöhe dicht unter dem Fuße der nördlichen Thalwand errichtet war. Von der Nordwestecke des Kastells führt an dem Wohnhause des Befehlshabers vorbei eine breite Rampe hinauf, die in eine Treppe mit 20 Stufen ausläuft. Letztere führt zu einer Plattform, auf der die Trümmer eines Altarsteins liegen, dessen Inschrift besagt, daß der Präfekt (Eparch) Sulpicius Simius ihn im 12. Jahre des Trajan (110 n. Chr.) errichten ließ.[1] Auf der Plattform folgt eine unvollendete Vorhalle. Der vollendete Theil des Tempelbaues besteht aus einem zweikammerigen festen Mauerwerk mit eigenthümlichen Nischen, Thür- und Fensteröffnungen.

Obgleich die baulichen Einrichtungen dieser Niederlassung auf einen weit größeren Maßstab im Betriebe der Arbeiten schließen lassen, als es am Porphyrberge der Fall war, so scheint doch die Annahme gerechtfertigt, daß die Werke am Mons Claudianus nur während der Regierung der genannten zwei Kaiser in Thätigkeit waren und dann für immer liegen gelassen worden sind. Der Porphyrites zeigt ein weit entwickeltes Netz von geebneten Wegen und aufgemauerten Rampen, die zur Fortschaffung der Blöcke an allen Berggehängen in Zickzackwindungen ansteigen. Man scheint am Berge des Claudius hauptsächlich große Säulenschäfte und Kapitäle gebrochen zu haben. Die größten Stücke derselben finden sich theils dicht am Kastell, theils auf den Höhen in Nordost von demselben, wohin eine breite Rampe mit an den Abgründen hochaufgemauerter Grundlage hinaufführt.

In einem kleinen Nebenthal, das unterhalb der Niederlassung von Osten her aus den Bergen herabsteigt, liegen auf einer in der Thalsohle errichteten Rampe vier Säulen von sechs bis neun Meter Länge aufgestapelt, gleichsam zum Aufladen auf Karren bereit. Der massigste Monolith, den diese Steinbrüche noch aufzuweisen haben, ist eine Säule von 18 Meter Länge und 2,6 Meter Durchmesser. Sie liegt geborsten am Ursprunge des soeben erwähnten Säulenthals. Auf jeder Seite sieht man an der roh zugehauenen Masse eine wulstartige Anschwellung, entsprechend den Zapfen an den Seiten einer Kanone. In diesem Wulst sind zwei tiefe Löcher angebracht, zur Aufnahme der bei der Fortschaffung in Anwendung kommenden Klammern. Durch eine derartige Einrichtung wurde die Masse des Säulenschafts vor Verletzung geschont. Zu demselben Zwecke waren alle Säulen mit einem verdickten Ende versehen. Zu welchem Tempelbau diese Säulen bestimmt waren, ist unbekannt, jedenfalls handelte es sich um ein Werk erster Größe. Wie in den Granitsteinbrüchen am Felsberg und bei Assuan wurden auch hier vorzüglich isolirte Blöcke in Angriff genommen, da diese mehr Gewähr gegen die Gefahr unerwarteter Risse boten. Das Absprengen geschah durch lange Reihen ausgemeißelter Löcher, in welche Holzkeile von 11 Centimeter Länge und 7 Centimeter Dicke trocken eingetrieben wurden, um später befeuchtet zu werden. Ueberall, wo die langen Zickzacklinien der Keillöcherreihen die mühsame Arbeit der Steinmetzen verrathen, liegen Kohlenreste und Eisenschlacken umher. Hier wurden die Meißel und Steinhauerwerkzeuge umgeschmiedet, geschärft und gehärtet. Die großen Rohblöcke (schlechtweg „marmor“ genannt), die bereits freigelegt waren, wurden zur leichteren Fortbewegung zunächst auf Füße von kleinen Steinen gesetzt. Dann wurden sie mit fortlaufenden römischen Nummern und der Chiffre des Werkführers (Philosophen) versehen, z. B. P D XLVI. Einem Jeden war wahrscheinlich eine bestimmte Zahl fertigzustellender Blöcke zugewiesen, vielleicht auch entsprach eine gewisse Zahl dem abzubüßenden Strafmaße des Staatsgefangenen.

Die zu den Steinbrüchen hinaufführenden Rampen und Wege waren, meist in Abständen von acht bis zehn Meter auf beiden Seiten, mit zwei Meter hohen kompakten Steinhaufen von halbtonnenförmiger Gestalt besetzt. In Ermangelung von Felsen mußten diese Steinhaufen als Stützpunkte zur Befestigung der Flaschenzüge, Krähne und anderer „ingenia artis“ dienen, wenn die abgesprengten Massen thalwärts fortbewegt wurden. Diese Einrichtung hat sich in anderen Steinbrüchen aus der Römerzeit bisher nicht nachweisen lassen.

Der Leser wird aus der Beschreibung des römischen Kastells mit dem Tempel dahinter, zur Linken auf unserm Bilde, den Viehhof erkennen. Der höchste Berg auf der rechten Seite ist der gegen 2000 Meter Meereshöhe erreichende Gebel Fatireh. Zum Verständniß des Lesers habe ich auch mit Fleiß eine Steinbruchstraße, besetzt mit den halbtonnennförmigen Steinhaufen, der großen Säule von 18 Meter Länge und einem auf Füße gestellten Rohblock, in den Vordergrund der linken Seite gebracht, während in Wirklichkeit diese Gegenstände auf die gegenüberliegende Thalwand im Nordwesten vom Kastell hingehören.

Die beigegebene Ansicht ist von einem auf der Südseite der römischen Niederlassung gelegenen Standorte, am Abhange der das Thal um 100 bis 200 Meter überragenden Hügel aufgenommen. Dem Auge des Beschauers bietet sich hier ein für die Granitregion der östlichen Wüste sehr charakteristisches Bergpanorama dar. Einem erstarrten Strome gleich zieht sich zu seinen Füßen die macadamartig ebene Thalsohle mit ihrem feinen hellleuchtenden Gerölle im Bogen durch die bald in Gestalt breiter Kegel und Kuppen, bald als dachförmige Rücken auftretenden Vorhügel hin; im Hintergrunde sieht man die Einmündungsstelle in das Hauptthal. Obgleich hier und dort durch eigenthümlich gestaltete höhere Einzelberge unterbrochen, verschmelzen doch alle die Vorhügel, wenn man von den Hauptbergen auf sie herabzublicken Gelegenheit findet, in ein endloses Gewirre, zu einem förmlichen Hügelbrei, und die Erdoberfläche erscheint wie eine Reliefkarte mit ihren zahllos verzweigten Thalsenkungen, Runzeln und Furchen. Dieses Gewirre weit überragend starren in stolzem Aufbau aus Tausenden und abertausenden von Zacken und Kegeln gebildet die großen Massen des Centralstocks in die Lüfte, es sind die Wirbelglieder des eigentlichen Gebirgsrückgrats. Wie aus dem Häusermeer einer großen Stadt die gothischen Dome, so überragen hier diese Götterburgen die kleineren Schöpfungen der Geotechnik, die menschlichen Verhältnissen näher liegen. Unsere europäische Gebirge bieten nur selten Beispiele einer derartig ausgeprägten Gebirgsaristokratie.

Alles strahlt hier wider und glüht in der Lichtfülle der ägyptischen Sonne. Die in einander geschobenen mannigfaltigen Bergumrisse, die mit ihren lang ausgezogenen Linien bei uns in Europa sich durch ebenso viele Farbentöne perspektivisch gliedern und sich in blauen und violetten Abstufungen von einander abheben würden, flimmern hier in einem unbestimmten Gemenge, nur die auffälligsten Gestalten, einige spitze Kegel und Zacken, selten einmal ein beschatteter Steilabsturz, unterbrechen diese Einförmigkeit, und Kontouren, die durch kilometerweite Abstände von einander geschieden sind, fließen in eins zusammen, als gehörten sie zu ein und derselben Bergwand. Ganz anders freilich gestaltet sich das Bild, sobald während der Wintermonate Wolken den Himmel überziehen; da treten plötzlich Tausende bisher versteckter Gestalten hervor und schwanken unstät im beständigen Wechsel der Schatten durch das kaleidoskopartig wogende Hügelmeer.


  1. Die zum Architrav bestimmt gewesenen Steinbalken, die Wilkinson beschreibt, habe ich nicht auffinden können. Die darauf befindliche Inschrift soll sich auf das zweite Regierungsjahr des Hadrian (119 n. Chr.) bezogen haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_652.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)