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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

zuflüstern – aber wenn ich dann wieder aufsah – da stand Mademoiselle Virginie vor meinen Blicken, sie, mit dem anmuthig sinnenden Ernst und dem so eigenthümlich fragenden Blicke, in dem ich immer die Worte zu lesen glaubte: „Ja – liebst Du mich denn?“

Und obgleich ich kein Geheimniß vor ihr verbergen konnte, darauf konnte ich ihr doch keine Antwort geben, denn ich wußte wirklich selbst nicht, ob es Liebe war oder der unnennbare Reiz der von ihr heraufbeschworenen Erinnerungen, was mich mit so unwiderstehlicher Macht zu ihr hinzog. …

Zehn Jahre war ich in der Welt herumgeschleudert worden, hatte meine bei den Meistern der Diplomatie, den Türken, erworbene Gewandtheit im Verkehre mit Arabern, Aegyptern, Peruanern und Gauchos, Japanesen und Chinesen erprobt und war so glücklich gewesen, mir überall die Zufriedenheit meiner Vorgesetzten zu erwerben, da keine Zacharula mehr auftrat, die mich den Verschleppungskünsten exotischer Staatsmänner zugänglich gemacht hätte; sollte jetzt eine Virginie die gleiche Macht gewinnen? Ja, ich konnte es nicht leugnen, das schöne, ernste Mädchen hatte mich unbeschreiblich gefesselt, ohne doch Zacharula’s Bildniß zu verdunkeln, ein Widerspruch, der mich in einsamen Stunden lebhaft beschäftigte und mir doch unerklärlich blieb, da ich, wie der scharfsinnige Leser längst errathen haben wird, zu einem Don Juan ganz und gar keine Anlagen hatte. Ich war häufig, fast täglich bei den beiden Damen, was bei der übrigen eleganten Welt in Uniform und Civil nicht wenig Neid erregte, da die Gräfin leidend war und daher Geselligkeit weder suchte noch in ihrem eigenen Heim, einer von ihr allein bewohnten prächtigen Villa, pflegte.

Eines Abends frug mich die liebenswürdige, alte Dame, wie es doch komme, daß ich noch unvermählt sei, und ich bekannte ihr zögernd und mit einiger Verlegenheit, daß eine unglückliche Liebe, welche mein Herz nicht vergessen könne, die Schuld trage.

Ich glaubte Virginie außer Hörweite unseres Gespräches, da ich sie am Fenster stehen und träumerisch, ja, wie mir schien, wehmüthig in die mondhelle Sommernacht hinausblicken sah.

Die Gräfin erwiderte nichts auf dieses mein Bekenntniß; sie sah mich nur nachdenklich an, und ich nahm an, daß sie vielleicht im Schatze ihrer Erinnerungen nach einer weiblichen Persönlichkeit suche, die sie mit mir, dem einst so fröhlichen und heiteren Gesellen, in Zusammenhang bringen könne.

Natürlich mußte dieses Beginnen resultatlos bleiben.

So saßen wir eine kleine Weile stumm einander gegenüber, bis das Mädchen die silberne Theemaschine herein brachte und Virginie langsam herüber kam, um, wie allabendlich, den Thee zu bereiten. Jetzt kam das Gespräch wieder in Gang, berührte aber mit keiner Silbe die Frage der Gräfin und meine Antwort.

Wir verhandelten im Gegentheil recht harmlose Dinge, während ich jeder der graziösen Bewegungen Virginiens mit meinen Augen folgte. Beim Nachtische fehlten die Rosinen und Mandeln nicht, welche Virginiens Lieblingsspeise waren. Ich fand einen Doppelkern und wollte mit dem reizenden Mädchen Vielliebchen essen.

Wir benahmen uns, wie mir erst heute so recht klar wird, wie ein paar rettungslos Verliebte – ich für meinen Theil bot ihr die Hälfte meines Fundes so ungeschickt wie ein verliebter Schüler, und sie nahm sie so zögernd und verlegen wie ein Backfischchen – doch nur kurze Augenblicke währte ihre Verwirrung, dann schien ihr plötzlich ein sie lebhaft beschäftigender Gedanke zu kommen. Ihre Augen blickten mit dem lauernden Ausdrucke der kleinen Virginie von einst in mein Gesicht, und die kleinen spitzen Zähne schimmerten feucht und glänzend zwischen den rothen weichen Lippen, als sie mit einem zweifellos übermüthigen Lächeln erklärte: „Ich bin bereit dazu, mein Herr – aber – ich stelle eine Bedingung.“ Sie hielt dabei den Mandelkern zwischen ihren schlanken Fingern und sah mich noch immer an, fragend, verschmitzt, lauernd, ich finde keinen andern Ausdruck.

„Nun, und diese Bedingung?^ frug ich ein wenig zaghaft bei der Erinnerung an frühere Kämpfe und regelmäßige Niederlagen von meiner Seite.

„Der verlierende Theil muß sich verpflichten,“ begann sie weise und mit wichtiger Miene, „dem gewinnenden die Bestimmung der Buße zu überlassen, und jeder Bestimmung, die überhaupt im Bereiche der Möglichkeit liegt, nachzukommen.“

Auf dem feinen Gesicht der Gräfin zeigte sich unverkennbar Mißbilligung bei diesem Vorschlage ihrer Tochter – sie mochte an die Konsequenzen eines solchen Vorschlages denken – genug, sie begann zu protestiren, aber auf einen Wink Virginiens, den ich wohl nicht bemerken sollte, aber eben deßhalb gerade bemerkte, gab sie ihre Vorstellungen nach einem langen, fragenden Blicke auf ihre Tochter wieder auf – während ich mich galant zustimmend verneigte.

Gleich darauf berührte der Mandelkern die weichen, rothen Lippen des schönen Mädchens. Wie ich ihn beneidete!

So galant ich dem Vorschlage Virginiens beigestimmt – ich war fest entschlossen die Wette ungalanter Weise zu gewinnen.

Leider war aber Virginie ebenso fest entschlossen sie nicht zu verlieren, und in solchen Fällen ist bekanntlich das stärkere Geschlecht immer das unterliegende. Als ich am andern Morgen, mehr aus Mode als aus Bedürfniß, meinen Brunnen trinken ging, erscholl plötzlich unter dem dichten Schleier einer Dame hervor, die bis dahin durch ihren müden, schleppenden Gang und das Gebeugte ihrer Haltung mein aufrichtiges Mitgefühl erregt hatte, das verhängnißvolle „Guten Morgen, Vielliebchen!“

Meine Proteste gegen dies völkerrechtswidrige Verfahren blieben unbeachtet und wurden von der Gräfin, deren Entscheidung wir anriefen, als nichtige Winkelzüge charakterisirt und als unbegründet mit den Worten abgewiesen: „O, bitte, Sie sind mir auch ein sauberer Diplomat, der den abgeschlossenen Vertrag brechen möchte, kaum daß seine Unterschrift darunter trocken geworden ist.“

Was war da zu thun? Ich ergab mich auf Gnade oder Ungnade und bat, mein Urtheil zu fällen und, wenn irgend möglich, auch gleich zu vollstrecken, da ich alles Unvermeidliche gern hinter mir hätte.

Die Damen lachten, und Virginie begann grausam: „Ja, ich habe schon darüber nachgedacht und das Für und Wider erwogen, und ich bin zu dem Schlusse gekommen, daß – Sie müssen – Sie sollen –“ verlegen bohrte sie die Spitze ihres eleganten Sonnenschirmchens in den Kies des Weges, den wir eingeschlagen hatten – „ich bin dafür, daß Sie – arbeiten.“

„Arbeiten?“ frug ich verblüfft und trat entsetzt einen Schritt zurück, wobei der Ausdruck meines Gesichtes nicht eben geistreich gewesen sein mag. „Befehlen das gnädige Fräulein Frohne?“ setzte ich dann, mich fassend und die Dinge von der humoristischen Seite nehmend, hinzu; „bitte, wünschen Sie, daß ich für Sie Holz zerkleinere, oder unter Assistenz Ihrer Köchin Pasteten backe, ich muß natürlich alles unterschreiben, und wenn es mein eigenes Todesurtheil wäre.“

Virginie lachte fröhlich auf, und dies Lachen war wieder ganz das Lachen meiner ersten Liebe. „Nein! – – Welche Befürchtungen!“ beruhigte sie mich fast mitleidig, „natürlich wird das geistige Arbeit betreffen, was – nun, was man von Ihnen verlangt.“

Ich athmete auf.

„Es handelt sich dabei um Ihre – Fähigkeiten,“ fuhr sie tieferröthend und mit gesenkten Augen fort; „ich möchte –“ sie stockte.

Ich stutzte. „Um meine Fähigkeiten?“ wiederholte ich fassungslos und begann die Enden meines Schnurrbartes zu maltraitiren, „zweifeln die Damen an meinem Können? Soll ich einer Prüfungskommission vorgestellt werden?“

„Herr Legationsrath!“ warf die Gräfin lächelnd und kopfschüttelnd ein, „welche Idee!“

„O, nach meinen Erfahrungen in Konstantinopel, gnädigste Gräfin,“ begann ich diese „Idee“ zu vertheidigen, während ich mich. lebhaft an die zuletzt Sprechende wandte, „steht da nicht das Aeußerste zu erwarten? Ich befinde mich nicht zum ersten Male in dieser Situation. Sie werden sich erinnern, daß ich immer gezwungen war das Feld zu räumen. Sollte es Ihrem Gedächtniß gänzlich entschwunden sein, was ich gelitten habe in jenen lustigen Kriegen?“

Die Gräfin entgegnete nichts, aber ein Schatten flog über ihr Gesicht, als sie beschwichtigend abermals den Kopf schüttelte; ein Schatten, den ich nicht begriff und der mich nur noch mehr verwirrte.

„Bitte, hören Sie und erkennen Sie, wie gütig ich bin,“ begann Virginie auf der anderen Seite mit ihrer melodischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_658.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)