Seite:Die Gartenlaube (1885) 676.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Herr von Below gerieth einen Moment lang in Verlegenheit bei dieser mit voller Sicherheit ausgesprochenen Voraussetzung, faßte sich aber schnell und antwortete tapfer: „Nein – eine Künstlerin!“

Jetzt stutzte der junge Fremde und blieb plötzlich stehen.

„Eine Künstlerin? Doch nicht etwa vom Hoftheater?“

„Ganz recht. Sie werden sie jedenfalls kennen, da Sie in unserer Residenz bekannt zu sein scheinen. Fräulein Valeska Blum, der Abgott des Publikums, ein Talent ersten Ranges und dabei eins der liebenswürdigsten Mädchen – kurz ein Engel!“

(Fortsetzung folgt.)

Die Gründung der französischen Kolonie in Berlin.

In den Septembertagen des Jahres 1685 herrschte ungewöhnliche Aufregung in der stillen Gemeinde, welche eine kleine Anzahl in Berlin lebender französischer Protestanten schon seit Jahren gegründet hatte. Die Mitglieder derselben waren zum Theil freiwillig nach Deutschland gekommen, um hier im Dienste des Hofes oder als Gewerbetreibende Unterhalt zu finden, zum Theil hatten sie nothgedrungen vor etwa 15 Jahren ihre Heimath verlassen, um den Verfolgungen zu entgehen, die sie dort um ihres Bekenntnisses willen erleiden mußten. Unter dem gerechten Scepter des protestantischen Fürsten durften sie hier in Ruhe und Frieden ihren Gottesdienst abhalten und ungehindert ihren Beschäftigungen nachgehen. Jetzt aber ergriff bange Sorge ihre Gemüther; vom alten Vaterlande drang schlimme Kunde in ihre neue Heimath. Am 25. September des genannten Jahres saßen die Mitglieder der Gemeinde in ernster Berathung beisammen und trugen folgende inhaltschwere Zeilen in ihre Protokolle ein: „Das Konsistorium war heute ausnahmsweise versammelt, um für die Bedürfnisse der armen französischen Flüchtlinge zu sorgen, die täglich in großen Massen ankommen und wahrscheinlich noch zahlreicher werden durch die heftige Verfolgung, der unsre Brüder ausgesetzt sind.“

Kostüm einer Réfugié-Dame.

Was die im Rath Versammelten befürchteten, sollte sich bald bewahrheiten. Denn was ihre Glaubensbrüder einst in blutigen Kämpfen errungen: die dürftige Anerkennung ihrer Menschenrechte, welche in dem Edikte von Nantes den gesetzgeberischen Ausdruck gefunden hatte, war rettungslos verloren. Wieder einmal schritt die Macht vor dem Rechte in der Weltgeschichte, und ein Gesetz, das Hunderttausende schützen sollte, hatte in den Augen der Stärkeren nur die Bedeutung eines vergilbten Pergamentstreifens. Als die Mitglieder der damaligen Berliner Gemeinde Frankreich verlassen hatten, waren die Bedrückungen, mit denen man den Nachkommen der Hugenotten das Leben schwer machen wollte, noch recht kleinlicher Art. Es waren lauter Chikanen, die damals der Stärkere ins Werk setzte. Man verbot den Reformirten, ihre Psalmen zu singen, sowohl in ihren Werkstätten als auch vor den Thüren ihrer Häuser. Ja, ihr Gesang mußte selbst in der Kirche verstummen, wenn eine Procession vorüberging; ihre Beerdigungen durften nur bei Tagesanbruch oder spät am Abend stattfinden, und nie mehr als zehn Personen sollten das Leichengefolge bilden. Ihre Hochzeiten durften nur in den durch das Römische Kirchenrecht festgesetzten Zeiten abgehalten werden, und der Hochzeitszug sollte nur aus zwölf Personen bestehen.

Durch diese Vorschriften, auf deren Handhabung streng geachtet wurde, konnten jedoch nur die Schwächsten eingeschüchtert werden. Darum stieg bald das Maß der Verfolgung, bis diese endlich zu einer wahren Hetzjagd ausartete. Wo das Wort des Priesters die Ketzer nicht zu bekehren vermochte, wo das Geld zur Verleugnung des Glaubens keine rechte Lockung abgab, dorthin wurde als letztes Mittel die rohe Soldateska der damaligen Zeiten geschickt. Und das half schon mehr, die Dragoner Ludwig’s XIV. brachen bei Tausenden und aber Tausenden den Widerstand; denn sie wußten in kürzester Zeit Haus und Hof zu Grunde zu richten, sie schleppten die bei ihrem Glauben beharrenden Männer ins Gefängniß, eskortirten die Frauen ins Kloster. Diesen schauerlichen Spuren des religiösen Fanatismus folgten gemeine Leidenschaften und niedrige Habgier. Schrieb doch am 21. September 1681 eine der berüchtigten Damen Frankreichs, Frau von Maintenon, an ihren Bruder, der soeben eine Gratifikation von 800 000 Livres erhalten hatte: „Lieber Bruder, ich bitte Dich, wende dieses erhaltene Geld nützlich an. In Poitou kann man jetzt Land für nichts haben; die Verzweiflung der Hugenotten wird bald zwei Drittel der Provinz zum Verkauf bringen. Du kannst Dir daher mit Leichtigkeit ein gar schönes Besitzthum in Poitou erwerben.“[1]

Während die Sieger also die Beute theilten, flohen Scharen der Bedrängten in die benachbarten Länder, und viele lenkten ihre Schritte nach der Hauptstadt des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, von dessen edler Gesinnung ihre in der Mark weilenden Genossen ihnen schon früher berichtet hatten. Aber die Meisten von ihnen hatten nur das nackte Leben gerettet, und die kleine französische Gemeinde in Berlin sah sich bald der nöthigsten Hilfsmittel entblößt. In dieser Bedrängniß beschloß das französische Konsistorium in Berlin am 25. September 1685, dem Kurfürsten ein Gesuch zu unterbreiten, in welchem dasselbe die Noth der Gemeinde darlegte und unterthänigst um Ueberweisung von leer stehenden Wohnungen an die Flüchtlinge bat. Schon in wenigen Tagen, am 1. Oktober 1685, erfolgte eine gnädige Antwort, in der mehr bewilligt wurde, als das Gesuch forderte. Friedrich Wilhelm ertheilte dem französischen Konsistorium die Erlaubniß zu einer Hauskollekte und erließ gleichzeitig an das deutsche Konsistorium den Befehl, die Geistlichen der Mark aufzufordern, von den Kanzeln herab ihren Gemeinden das große Elend der ihres Glaubens wegen Vertriebenen zu schildern und sie zur Mildthätigkeit zu ermahnen. Er selbst gab 2000 Thaler zur Berliner Hauskollekte.

Während in dieser menschenfreundlichen Weise ein deutscher Fürst für das Wohl der französischen Flüchtlinge sorgte, beschloß Ludwig XIV. den Federzug zu führen, der allein genügte, ewige Schande an seinen Namen zu ketten. Das vergilbte Pergament, das den Namen eines seiner königlichen Vorgänger trug, war ihm, dem Hüter des Rechts, im Wege; es vertrug sich nicht mit den rechtlosen Zuständen, die in Frankreich herrschten, und so unterzeichnete er am 18. Oktober 1685 den Widerruf des Ediktes von Nantes.

Der Pöbel verstand es, das königliche Wort in praktische That zu übersetzen, und noch an demselben Tage wurde die


  1. Vergl. die hochinteressante Festschrift: „Geschichte der französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen“. Von Dr. Ed. Muret. In derselben ist auch eine ganzseitige Reproduktion des Kostüms einer Réfugié-Dame (Stadtanzug) enthalten, das wir in verkleinertem Format unsern Lesern vorführen. Das Originalkostüm befindet sich im königlichen Nationalmuseum zu München und ist Eigenthum des Prof. Dr. Paul von Roth in München.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_676.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)