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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

entzückt durch sein Instrument und seine Kunst – denn August Wilhelmj, der Geiger, ist der Sohn des vielgenannten rheinischen Weinhauses.

In einem Tempel, einem über 8 Meter hohen Kuppelgewölbe, auf einem Lager von vier kunstvoll durch Meister Kremer in Eltville gefertigten „Sätteln“ liegt das Riesenfaß von Hattenheim. Dasselbe, aus der Werkstatt des Küfers Ignaz Müller in Eltville hervorgegangen, hält circa 50 Stück, das Stück gleich 1200 Liter, also nahe 80 000 Flaschen Wein. Es ist ein vollständig rundes Gebinde, während die meisten großen Fässer, auch das Heidelberger, oval erbaut sind. Das dazu verwendete „slavonische“ Eichenholz ward gleichfalls in Wien prämiirt und 14 Eisenreife von einem Gesammtgewichte von nahe 3000 Kilo halten den Riesenbauch zusammen. Es bedürfte wahrlich nicht der „Kanzel“, welche sich vor dem Vorderboden aufbaut, um jeden Eintretenden hier feierlich zu stimmen. Diese Kanzel im Stile des 16. Jahrhunderts gehalten und nach einem Modell aus einer alten Benediktiner-Abtei gefertigt, ruht auf einer Balustrade, welche nach dem Muster alter Chorstühle geschnitzt ist. Sechs Meter ragt der Riese empor, auf seinem Boden könnten mit Leichtigkeit 18 bis 20 Personen tafeln. An der Kopfseite über der Kanzel prangt in Holzschnitzerei das Hauswappen Wilhelmj, gleich den kurfürstlichen Wappen an den Fässern in Würzburg. So ändern sich die Zeiten! Jahreszahlen künden die Gründung der Handlung und die Eröffnung der Kellerräume in Hattenheim.

Und welch ein Vorzug! Das Faß ist in beständigem Gebrauch, denn darinnen wird jährlich nach der Kelterung der „Tischwein“ zum Lager gebracht, deraus den „kleineren“, das heißt nicht hochfeinsten „Lagen“ des ausgedehnten Weinbergbesitzes des Hauses Wilhelmj gewonnen wird. Beim sogenannten „Abstich“ entleert man den Riesen durch einen Schlauch in acht Stück haltende Lagerfässer, welche sich in einer Kellerabtheilung unter dem Kellerraum des Riesengebindes befinden. Der Transport des in Eltville gefertigten Monstrums geschah während der Nacht, mit Benutzung des doppelten Schienengeleises der Eisenbahn. Von der Station bis zum unweit gelegenen Keller (etwa 100 Schritte) brauchte man – drei Nächte.

Wohl hat Hermann Dickmann, der den ganzen Raum mit trefflichen Sprüchen geschmückt, Recht, wenn er in einer Inschrift am Fasse sagt:

„Was Heidelberg! Was Hattenheim!
Der Dichter versöhnt euch durch einen Reim:
Dem Alten bleibt die Historie –
Dem Jungen winkt der Zukunft Glorie!“

Und rechts und links vom Altvater des Kellers sehen wir Reihen von Doppelstückfässern gelagert (jedes zu circa 3000 Litern) und über diesen bilden abermals zwei Reihen Stückfässer (von je 1200 Liter Inhalt) ein imponirendes Spalier. Und wenn nun, wie wir es oft gesehen, dieser ganze Raum in buntem Lichterschmuck erglänzt, wenn eine gläubige und seelige Gemeinde hier dem Weingott ihre Andacht bezeugt, wenn ein Glas vom Besten die Zungen löst, dann widerhallt der Raum nicht nur von Rede und Gegenrede, dann mag’s auch der Griesgram leiden, daß „hier der Becher überschäumt!“

Dann tönt neben dem Augenblicks-Spruche des Poeten auch oft ein fröhlich Lied vom fröhlichen Leben am Rhein.


Aus der schwäbischen Türkei.

Zwei ungarische Villeggiatur-Briefe.
Von Karl Braun-Wiesbaden.
II.

Zunächst muß ich bemerken, daß die Deutschen im Samogyer Komitat, nördlich von Szigetvár, durchaus nicht, wie in so vielen Büchern geschrieben steht, „Schwaben“ genannt werden, sich auch selber nicht so nennen und auch durchaus nicht so genannt werden wollen. Und sie haben Recht. Sie sind keine Schwaben, sondern, wenn nicht alle Anzeichen trügen, bayerischer Herkunft. Ihre deutschen Namen, die sie mit Sorgfalt konserviren, nur daß sie nach ungarischer Landessitte den Familiennamen an die erste und den Tauf- oder Vornamen an die zweite Stelle setzen – heißen z. B. Seydl, Speidl, Pranckl, Huber, Mayr, Kaiser, Gerstner etc. Ich habe bei Herrn Pfarrer Nemes in Nágy-Harságy, der uns mit großer Freundlichkeit aufnahm, die Register der Kopulationen, Taufen und Todesfälle nachgesehen bis weit in das achtzehnte Jahrhundert zurück. Die pfarramtlichen Funktionen wurden damals von den Franziskanern in Szigetvár verrichtet. Die Register sind mit großer kalligraphischer Hand geschrieben. Namentlich glänzt der Pater Fulgentius durch die Schönheit seiner Handschrift. Erst im Jahre 1809 wurde ein Kuratgeistlicher hier eingesetzt. Er kam von Káposvár, der jetzigen Komitats-Hauptstadt, und hat uns eine Schilderung seiner damaligen (1809) Fahrt von Káposvár nach Szigetvár hinterlassen. Er kann nicht genug klagen über die Unwegsamkeit dieses Landes. „Nichts als Himmel und Wald,“ schreibt er, „nur hin und wieder ein gräfliches Jagdhaus“; die Bauern, die in diesen Urwäldern hausten, waren arm und unwissend über alle Maßen – Alle, ungarische wie deutsche.

Jetzt ist das eine blühende, frohmüthige und sonnenhafte Landschaft, in welcher die Herrschaft und die nunmehr von den Feudallasten befreiten Bauern mit einander wetteifern in Kultur und Wirthschaftlichkeit.

Ich habe bei den ältesten deutschen Bauern dieser Gegend Erkundigungen darüber eingezogen, wie und woher ihre Vorfahren in dieses Land gekommen. Alle stimmen darin überein, daß ihre Urgroßväter vor mehr als hundert Jahren von den Grafen Festetits in das Land gerufen worden. Sie seien aus dem katholischen Deutschland gekommen – aus welcher Gegend, aus welchem Land, aus der Nähe welcher Stadt, darüber wissen sie nichts zu sagen. Einige behaupten mit Bestimmtheit, sie seien aus Bayern gekommen, so hätten sie es von ihren Vorfahren vernommen. Und in der That nicht nur, wie ich bereits erwähnt, ihre Familiennamen, sondern auch ihre Mundart spricht für bayerischen Ursprung. Allein bestimmte Ueberlieferungen oder gar Urkunden besitzen sie nicht. Auch in den Archiven der Grafen von Festetits hat sich trotz der großen Mühe und Sorgfalt, womit ein früherer Pfarrer von Nagy-Harsagy darnach geforscht hat, nichts über diese Kolonisationen vorgefunden. Daß die Bauern selber darüber wenig Auskunft zu geben im Stande sind, ist sehr begreiflich. Auch die deutschen Bauern, welche vor ein- oder zweihundert Jahren nach Amerika gegangen, wissen selbst wenig oder gar nichts von dem Leben ihrer cisatlantischen Vorfahren.

„Unsere Voreltern hier in diesem ungarischen Lande,“ erzählte mir ein siebzigjähriger deutscher Bauer, „haben es früher recht schlecht gehabt; aber wahrscheinlich hatten sie es in Deutschland noch schlechter, sonst hätten sie doch ihre Heimath nicht verlassen und sie gänzlich vergessen. Der hochgeborene Graf hat sie in das Land gerufen und ihnen Grundeigenthum versprochen, und er hat sein Versprechen gehalten. Mein Großvater hat mir das oft erzählt, und mein Urgroßvater ist unter den ersten Ansiedlern gewesen. Jeder hat seine Session erhalten (Session nennt man hier die bäuerliche Vollhufe, wahrscheinlich ist es eine Abkürzung von Possessio [Besitz], und man darf nicht vergessen, daß Latein die Gerichtssprache war, auch für Grundbuchangelegenheiten). Eine ganze Session, das war viel Land. Jetzt haben in Folge des Anwachsens der Bevölkerung und der freien Erbtheilung unter sämmtlichen Kindern viele nur eine Viertelsession. Aber jetzt ist ein Viertel mehr werth als damals das Ganze. Damals war es wildes rauhes, schweres Land, in welchem der Pflug zerbrach. Jetzt ist es altbebauter, mürber und fruchtbarer Boden. Wir stehn uns besser bei der Freiheit der Menschen und des Bodens, als die Kroaten und Serben bei ihrer Hauskommunion und sonstigem Zwang der Gemeinschaft. Unsere Voreltern, die ersten Ansiedler, hatten es schlimmer. Die Herrschaft gab ihnen zwar das Land und das Holz aus ihren Waldungen, um Haus, Stall und Scheune zu bauen. Aber dagegen hatten die Väter auch schwere Lasten zu tragen. Sie mußten doppelten Zehnten geben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_690.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)