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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mit seinem näselnden Organe das „Gloria“ oder das „Agnus Dei“ sang. Auch der Frau Gräfin hatte Johanna’s Gesang gar wohl gefallen; sie erkundigte sich bei dem Pfarrer nach dem Mädchen, erfuhr da natürlich das Allerbeste – und die Folge davon war, daß Johanna auf das Schloß geladen wurde.

Sie kam – und mußte kommen und wiederkommen, so großes Gefallen fand die vornehme Dame an der schön und tief veranlagten Natur des bezaubernden Geschöpfes, an seinem fein bescheidenen Wesen und an seinem für ein Mädchen fast reichen Wissen. Und gar, als im Herbste die traurigen Tage kamen, in denen die zunehmende körperliche Schwäche des Grafen mit ungeahnter Schnelligkeit die Auflösung herbeiführte, da ließ die trauernde Wittwe das Mädchen, dessen Anblick ihr schon ein Trost zu sein schien, kaum mehr aus ihrer Nähe.

Dieser von beiden Seiten so herzliche Verkehr setzte sich im folgenden Frühjahre fort, als die Gräfin mit ihrem Sohne wieder in das Dorf zurückkehrte. Wie im vergangenen Sommer, so behandelte Luitpold auch jetzt die junge Freundin seiner Mutter mit ausgesuchter Höflichkeit – und dennoch wechselte er niemals andere Worte mit ihr, als eben jene, die der Verkehr bei Tische und das kürzere oder längere Zusammensein mit ihr in den Zimmern seiner Mutter gezwungener Weise erforderte. Ueberdies – er war ja die meiste Zeit vom Schlosse abwesend. Ganze Wochen durchstreifte er, die Büchse auf dem Rücken, unter Gidi’s Führung die Berge, von denen er mit jedem erlegten Wilde der Mutter einen herzlichen Gruß in das Thal sandte. Wenn er dann für einige Rasttage in das Schloß zurückkehrte, geschah es wohl, daß die Gräfin mit einem Lächeln, welches sich freilich nicht allzu fröhlich ansah, den Sohn ermahnte, über seinen Hirschen und Gemsen nicht ganz der Mutter zu vergessen.

Aber all diese Mahnungen blieben fruchtlos, sie schienen eher das Gegentheil von dem zu bewirken, was sie erwirken sollten – und das war um so mehr zu verwundern, als doch sonst an Luitpold die innige Liebe und die hohe Verehrung für die Mutter aus jedem seiner Blicke, aus jedem seiner Worte sprach. Luitpold’s immer wiederholte Rede: „Im Winter, liebe Mama, will ich Dich für diesen Sommer doppelt entschädigen!“ – das war noch der einzige Trost, der aus solchen fruchtlosen Mahnungen für die Gräfin entsprang. Enger und enger schloß sich die Gräfin in diesen stillen, einsamen Tagen an Johanna an – und als der Herbst mit seinen rauhen Stürmen und seinen wirbelnden, welken Blättern in dem lieblichen Bergthale Einzug hielt, da war geschehen, wovon Jörg zu Gidi gesprochen: die Frau Gräfin hatte sich dem Bauer gegenüber so lange aufs Bitten verlegt, bis er die Schwester mit ihr in die „Münchnerstadt“ hatte ziehen lassen.

Jörg hatte ungern das Ja gesagt, denn der Anblick seiner Hanni war ja auch ihm eine Freude, die er schwer entbehrte – aber er hatte ihr angemerkt, wie sehr ihr eigenes Herz an dieser Reise hing, wenn sie auch keine Silbe darüber verlauten ließ, wohl um den Bruder nicht zu kränken – und dann hatte Jörg auch bedacht, daß die Hanni nach solch einem Sommer im Dorfe einen gar traurigen Winter haben würde, um so mehr, da in den letzten Septembertagen ihre alte, mütterliche Freundin aus dem Pfarrhofe in den Kirchhof übergesiedelt war.

Jetzt freilich, in seiner ungewissen Sorge, reute ihn jenes Ja – und ein um das andere Mal murmelte er vor sich hin: „Ich hätt’s net zulassen sollen!“ Und nach einer stummen Weile fuhr er auf, wie in Unwillen wider sich selbst. „Ich hab’ dazu noch ’was g’hört g’habt – selbigsmal – was mich hätt’ stutzig machen müssen. Weißt – Dein junger Herr Graf, der hat fein gar kein b’sonders gut’s G’sicht dazu g’macht, wie er derfahren hat, daß d’ Hanni mit seiner Frau Mutter geht.“

„Jetzt das möcht’ ich schon wissen, von wem Du so ’was g’hört haben kannst?“ frug Gidi hastig und mit ungläubiger Miene.

„Vom Eustach, vom alten Kammerdiener.“

„No, da bist aber g’scheit g’wesen,“ ereiferte sich der Jäger, „wenn so einer alten Ratschen[1] was glauben hast können.“

Jetzt weißt – wann er auch ’leicht a bißl übertrieben hat – ’was dran g’wesen muß halt doch sein. Und da wird halt jetzt der noble junge Herr der Hanni ’s Leben recht sauer g’macht haben – und wird ihr halt die Bauerntochter allweil vorg’rieben haben – in sei’m Grafenhaus. Das hat man ja so wie so sehen können – im letzten Sommer – daß er sich a bißl gar hochmüthig stellt – gegen d’ Hanni –“

„Hochmüthig? Mein junger Herr Graf? Und hochmüthig gegen d’ Hanni?“ platzte der Jäger los, um dann Jörg mit einem unsicheren Blicke zu streifen und zögernd beizufügen: „No mein – das heißt – weißt – wie man halt so ’was anschaut.“

Forschend hob Jörg die Augen zu dem Gesichte des Jägers, als vermuthe er, daß hinter diesen letzten unbehilflichen Worten mehr zu suchen wäre, als sie zu sagen schienen. Gidi aber hielt den Blick des Bauern aus, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Und während die Beiden so saßen, Aug’ in Auge, hörten sie plötzlich durch das offene Fenster Dori’s flüsternde Stimme: „Da schau, Veverl, was ich Dir mit ’bracht hab’.“

„Geh’ – den schönen Veigerlbuschen!“ hörte man das Mädchen stammelnd erwidern.

„Ja – was is denn – Veverl! Was hab’ ich denn ang’stellt – han – warum weinst denn jetzt?“

„Vor Freud’ – und – und – weißt, die Bleamerln mahnen mich halt an mein liebs Vaterl selig – in jedem Fruhjahr’ hat er mir die ersten Veigerln heim ’bracht, wo er g’funden hat – und – drum sag’ ich Dir schon so viel Dank – schau – so viel –“

„No – wenn’s Dich nur freut – wenn’s Dich nur freut!“ hörte man den langohrigen Burschen mit einer Stimme sagen, die wie Schluchzen und zugleich wie unterdrücktes Jauchzen klang. „Und alle Jahr’ – alle, alle, hundert Jahr’ lang, sollst die ersten haben – und jedesmal an Buschen, schier größer als wie mein Kopf –“

„So viel Veigerln findt er net!“ lächelte in der Stube der Jäger dem Bauer zu, während Dori draußen vor dem Fenster mit hastigem Flüstern weitersprach:

„Aber gelt – mußt fein zu niemand nix sagen, daß die Bleameln von mir hast – weißt –“ Dori’s Stimme nahm einen rührend schlichten Klang an, „weißt – sonst spötteln s’ mich wieder – wegen Deiner – und – das kann ich halt gar net hören – das sticht mich ganz in mir drin – und schon gar, wenn’s der Valtl derfahren thät’ –“

Leiser und leiser war die Stimme geworden – die beiden mußten sich aus der Nähe des Fensters entfernt haben – und nun erlosch sie ganz. Drinnen in der Stube aber brach Jörg die Stille, indem er sich an Gidi wandte:

„Ja, Du – was ich heut’ schon lang hab’ sagen wollen – gelt, Du hast ’was gegen den Valtl?“

„Ich?“ that der Jäger ganz verwundert. „Ah na – gar kein’ Schein. Wie kommst denn jetzt auf so ’was?“

„No – ich mein’ halt – weil ihn allweil gar so g’spaßig anschaust – und nachher – ich hab’ halt derfahren, daß er öfters in der Nacht net daheim is – ja – und gestern, wie’s so um Tagsgrauen g’wesen is, da hab ich im Zufall zum Fenster ’nausg’schaut – und da is er über d’ Wiesen ’runterg’stiegen, vom Bründlkopf her.“

„Wird halt in die obern Höf’ wo fensterln g’wesen sein,“ warf Gidi mit anscheinender Gleichgültigkeit ein, im Stillen dachte er aber doch daran, daß er am verwichenen Morgen vergebens nach dem Falzgesange des Auerhahns ausgehorcht hatte, der vor zwei Tagen im Frühlichte auf der Höhe des Bründlkopfes noch so lustig „geschnackelt“ hatte.

„No ja – es kann ja sein, daß nix dahinter is,“ meinte Jörg. „Wenn aber was dahinter wär’, nachher kannst offen mit mir reden. Mich kennst! Auf mei’m Hof, da duld’ ich kein Unrechtlichkeit.“

Noch hatte Jörg nicht ausgesprochen, als sich vom Hofe her Veverl’s ängstlich erregte Stimme vernehmen ließ: „So lassen S’ mich doch aus! Was wollen S’ denn von mir?“ – und gleichzeitig hörte man ein ganz absonderlich hölzernes Gelächter.

„Jeh – der Kommandant!“ fuhr Gidi auf.

„Was will denn der wieder amal in mei’m Hof?“ murmelte Jörg, die Stirn furchend. „Den ganzen Winter über hat er sich net sehen lassen.“

„Wahrscheinlich, seit d’ Hanni aus ’m Haus is!“ lächelte der Jäger.

Schwere Tritte klangen im Flur, ein Geräusch ließ sich hören, als würde ein Gewehr niedergestellt – dann öffnete sich langsam die Thür.


  1. Klatschbase.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_703.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)