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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Spur nachgegangen und haben all Ihre Wachsamkeit an eine Kleinigkeit verschwendet, während ich mich in einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit auf Sie verließ.“

„Es ist keine Kleinigkeit,“ vertheidigte sich Sebald mit tiefgekränktem Selbstbewußtsein. „Eine Dynamitverschwörung!“

„Was?“ rief der Hofmarschall, entsetzt auffahrend. „Dynamit?“

„Man will eine Explosion im herzoglichen Palais veranlassen, die ganze durchlauchtigste Familie soll in die Luft gesprengt werden, auch der verwandte königliche Hof scheint bedroht zu sein, denn es war auch von ihm die Rede.“

Die Excellenz war kreidebleich geworden und mußte sich auf einen Gartenstuhl niederlassen.

„Sebald, das sind ja furchtbare Enthüllungen! Haben Sie Beweise dafür?“

„Die unwiderleglichsten. Mit meinen eigenen Ohren hörte ich, wie die Verbrecher von ihren blutigen Plänen sprachen.“

„Dann hatten Sie allerdings Recht, alles Andere in den Hintergrund zu stellen, wenn es das Leben der fürstlichen Familie gilt! Wo sind denn die Attentäter?“

„Dort oben,“ erklärte Sebald, nach dem Hügel hinaufzeigend. Der Hofmarschall sprang vom Stuhle auf, ihm schien jetzt plötzlich ein Licht aufzugehen.

„Was? In der Kirche?“

„Ja, aber fürchten Sie nichts. Excellenz, sie sind überwacht. Haller steht dort oben Posten und sorgt dafür, daß sie ungestört bleiben bis –“

„Mensch, das sollte ja gerade verhindert werden!“ rief die Excellenz verzweiflungsvoll. „Sind Sie denn von Sinnen, daß Sie auch noch Schutzwachen ausstellen dazu?“

„Aber wir mußten sie doch erst in die Falle locken! Die Kirche hat nur einen einzigen Ausgang, wenn er rechtzeitig verschlossen und besetzt wird, so sind sie gefangen, denn durch die hochgelegenen Fenster können sie nicht so ohne Weiteres ausbrechen. Die Bauern leisten uns jedenfalls die nöthige Hilfe, ich werde das Dorf alarmiren –“

„Hören Sie auf! Sie bringen mich um mit Ihren Albernheiten!“ unterbrach ihn der Hofmarschall wüthend. „Ich muß auf der Stelle hinauf! Ich thue Einspruch im Namen des Herzogs, Seine Durchlaucht haben mir unbedingte Vollmacht gegeben.“

Damit eilte er hinaus und an dem erstaunten Wirthe vorüber, der erschienen war, um der Extrapostchaise eine Verbeugung zu machen, und jetzt erst deren Insassen zu Gesichte bekam. Sebald folgte bestürzt, denn die Excellenz war ihm völlig unbegreiflich. Was sollte denn ein Einspruch im Namen des Herzogs nützen bei Menschen, die sich mit Mordplänen gegen das ganze fürstliche Haus trugen?

Am Fuß des Hügels trafen sie mit Herrn von Below zusammen, der sehr mißmuthig dort herumstrich. Er hatte Niemand im Pfarrhause angetroffen, aber gehört. daß die Damen noch hier seien, und suchte sie jetzt auf dem vermeintlichen Spaziergange, plötzlich aber blieb er stehen und rief in höchster Ueberraschung!

„Excellenz – Sie hier?“

„Herr von Below – wie kommen Sie nach Seefeld?“ rief der Hofmarschall ebenso überrascht.

Sebald stutzte, ihm begann doch eine Ahnung aufzudämmern, daß die Sache nicht ganz in Ordnung sei. Sollte er sich in diesem jungen Manne doch geirrt haben?

„Ich bin auf der Reise,“ erklärte der Majoratsherr, „aber wohin wollen Sie denn so eilig, Excellenz?“

„Ich – ich will den Sonnenuntergang nicht versäumen,“ versetzte der Gefragte, indem er begann den Hügel zu ersteigen, so rasch es seine Kräfte erlaubten.

„O, da gehe ich mit!“ rief Herr von Below, der glücklich war. daß er wieder Jemand zum Schwatzen hatte. „Der Sonnenuntergang ist so romantisch! Freilich, mir ist die Romantik übel bekommen, denken Sie nur, Excellenz, mein Wagen –“ und damit fing er an, die Geschichte zum dritten Male zu erzählen, noch ausführlicher als die beiden ersten Male, und hörte nicht wieder auf, bis man oben auf der Höhe war.

Der Hofmarschall hörte gar nicht darauf, aber er war so schnell aufwärts gestiegen, daß er stehen bleiben mußte, um Athem zu schöpfen, und da tauchte plötzlich Haller aus den Gebüsche auf und machte seine unterthänigste Meldung.

„Sie sind wirklich drinnen. Excellenz! Und einen Kasten haben sie mit in die Kirche geschleppt, jedenfalls voll Dynamik. Nur der dritte Verschwörer fehlt, der sich so dumm anstellte und immer nach seinem Koffer schrie –“

Er verstummte, denn urplötzlich tauchte der Vermißte, der einige Schritte zurückgeblieben war, vor ihm auf, und zwar unmittelbar hinter dem Rücken Seiner Excellenz. Diese Nähe schien dem braven Haller so bedenklich. daß er alle Vorsicht vergaß und eine Bewegung machte, um den Attentäter beim Kragen zu nehmen, aber der Hofmarschall bemerkte das und fuhr ihn zornig an:

„Was fällt Ihnen ein? Halten Sie etwa den Freiherrn von Below, den Majoratsherrn von Waltersberg, auch für einen Verschwörer?“

„Ich ein Verschwörer? Mein Himmel, das ist mir ja noch niemals passirt, dafür bin ich noch nie gehalten worden!“ rief Kuno von Below mit einem Gesicht, das diese Versicherung allerdings glaubhaft erscheinen ließ. Haller war bestürzt zurückgewichen und starrte mit offenem Munde erst den Majoratsherrn und dann seinen Vorgesetzten an, dem jetzt auch sein fataler Mißgriff klar wurde. Aber der Hofmarschall ließ ihnen keine Zeit zur ferneren Aufklärung, er schritt rasch die steinernen Stufen hinauf und öffnete die Thür der Kirche. Herr von Below, der jetzt doch endlich merkte, daß irgend etwas Besonderes vorging, schloß sich ihm neugierig an, und hinter ihnen traten die beiden Beamten ein.

Die sinkende Sonne warf ihre letzten Strahlen durch die Kirchenfenster und erfüllte das kleine Gotteshaus noch mit leuchtendem Glanze. Der goldig rothe Schein umfloß die ehrwürdige Gestalt des alten Priesters, der im vollen Ornate vor dem Altar stand, und lag wie verklärend auf den Häuptern des jungen Paares, das sich soeben von den Knieen erhoben hatte. Neben einem hochgewachsenen Manne mit blondem Haar und Bart und ernsten Zügen stand eine junge Braut, im einfachen weißen Gewande, von dem duftigen Schleier umwallt, den Myrthenkranz in den dunklen Haaren. Sie barg gerade in diesem Moment ihr Haupt an der Brust ihres Gatten, der sie mit voller Innigkeit an sich zog.

„Zu spät! Also ist es doch geschehen!“ murmelte der Hofmarschall, dem ein einziger Blick gezeigt hatte, daß die Ceremonie bereits vorüber war. Er sah jetzt auch die beiden anderen Personen zur Seite des Altars, einen Herrn in straffer militärischer Haltung und eine alte Dame, die ganz in Thränen und Rührung zerfloß, sie hatten offenbar der eben vollzogenen Trauung als Zeugen beigewohnt.

Das Oeffnen der Thür machte die in der Kirche Befindlichen aufmerksam, sie blickten dorthin und sahen eine Gruppe, die völlig vernichtet schien durch den Anblick, der sich ihr bot. Der Ruhigste war noch Herr von Below, weil er die Sache einfach nicht begriff. Er sah Valeska Blum, seine angebetete Valeska, die er um jeden Preis heirathen wollte, als Braut an der Seite eines Anderen, und dieser Andere war – sein neuer Inspektor!

Sebald dagegen war in tödlichem Schrecken zusammen gefahren, denn ihm ward erst jetzt die ganze Größe seines Irrthums klar, jetzt wußte er auch auf einmal, wo er jene Stimme schon gehört hatte, und das Entsetzen über seine eigene Blindheit entriß ihm einen halblauten Ausruf:

„Prinz Leopold!“

Das Brautpaar wandte sich jetzt auch um und die Stirn des jungen Fürsten verfinsterte sich, als er die Eindringlinge gewahrte, dann aber richtete er sich hoch und stolz auf, und seiner Gattin den Arm reichend, führte er sie gerade dem Hofmarschall entgegen.

„Sieh da, Excellenz, sind Sie gekommen, uns Ihren Glückwunsch zu unserer Vermählung abzustatten?“ fragte er mit kühler Höflichkeit. „Sie kommen gerade zu rechter Zeit.“

„Durchlaucht!“ murmelte Jener ganz fassungslos. „Ich kam im Auftrage Ihres herzoglichen Bruders und werde nicht umhin können, ihm zu melden –“

„Das ist nicht nöthig, denn das habe ich bereits selbst gethan,“ unterbrach ihn Leopold. „Der Brief. worin ich dem Herzog das Geschehene mittheile, ist bereits geschrieben und sollte in einer Stunde abgehen. Da Sie einmal hier sind, Excellenz, so darf ich Sie wohl bitten, die Beförderung zu übernehmen und ihn in die Hände meines Bruders zu legen.“

Der Hofmarschall verbeugte sich schweigend, er sah. daß jeder Einspruch hier zu spät kam, aber seine Verneigung galt nur dem Prinzen allein, er ignorirte absichtlich die junge Frau an dessen Seite.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_710.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)