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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Blätter und Blüthen.

Das Lesen verschlossener Briefe. Der berühmte Physiologe Professor Dr. W. Preyer in Jena hat soeben ein hochinteressantes Werkchen vollendet, welches in nächster Zeit in Th. Grieben’s Verlag (L. Fernau) in Leipzig erscheinen wird. Das Buch führt den Titel „Die Erklärung des Gedankenlesens“ und enthält die neuesten Forschungen, welche Professor Preyer über diese verwickelte und die Gemüther gegenwärtig so vielfach beschäftigende Frage angestellt hat. In dem Kapitel „Das Errathen gedachter Zahlen, Buchstaben, Figuren, Melodien“ bespricht der Verfasser auch das Lesen verschlossener Briefe und knüpft daran einige Bemerkungen von so hohem praktischen Interesse, daß wir uns nicht versagen können, dieselben im Nachstehenden wörtlich wiederzugeben:

Das Lesen beschriebener Zettel, welche verschlossen auf die Stirn des Gedankenlesers gelegt werden, ist weiter nichts als ein auf absichtlicher Täuschung beruhendes Taschenspieler-Kunststück.

Wird z. B. auf vier gleichgroße, gleichartige Zettel von mehreren Personen oder von einer je ein Name geschrieben, so kommt es nur darauf an, den Inhalt eines Zettels zu kennen, um den aller übrigen – und seien es noch so viele – dem erstaunten Auditorium laut vorzubuchstabiren, während der betreffende Zettel zusammengefaltet ist. Denn kennt der Taschenspieler nur einen Zettel, so nimmt er diesen zuletzt und sagt, was er enthält, beim ersten an die Stirn gehaltenen, als wenn dieser das enthielte, was in Wirklichkeit der auf dem Tische liegen gebliebene enthält. Dann öffnet er den ersten Zettel, liest für sich, was er enthält, und sagt: „Richtig“. Darauf wird der zweite Zettel an die Stirn gehalten und der Inhalt des eben geöffneten ersten verkündet, als wenn er dem zweiten zugehörte, und so fort bis zum letzten, dessen Inhalt vorweggenommen war und der nun den des vorletzten zugewiesen erhält. Die Täuschung ist nachher nicht mehr herauszufinden, weil alle Zettel durch einander geworfen werden und der Inhalt jedes einzelnen richtig – nur in unrichtiger Folge – angegeben wurde. Es kommt also nur darauf an, den Inhalt des einen Zettels vorher zu kennen.

In verschiedener Weise kann der „Hellseher“ sich diese Kenntniß verschaffen. Er kann z. B. den Zettel selbst schreiben oder einen verschwiegenen Bundesgenossen haben oder auch einen leeren Zettel den beschriebenen hinzufügen und behaupten, der erstausgelegte Zettel sei leer, sei durch ein Versehen hinzugekommen; er wird nach dem Oeffnen sogar mit der Rückseite dem Publikum von weitem gezeigt. Aber diese Kunstgriffe sind überflüssig, wenn der Taschenspieler sich geübt hat, aus der Entfernung an den Bewegungen des Schreibstiftes direkt zu erkennen, was geschrieben wird. Ob „Wilhelm“ oder „Otto“ geschrieben wird, erkennt man in drei Meter Entfernung leicht bei guter Beleuchtung; selbst dann nimmt der vermeintliche Hellseher wahr, was auf einen der Zettel geschrieben wird, wenn er abseits sitzt, den Kopf senkt und mit der Hand die Augen bedeckt, als wenn er sich für die schwierige Aufgabe sammeln wolle. Er sieht dann an der Hand vorbei auf den am günstigsten placirten Schreiber. Ich habe bereits von dieser Art, Geschriebenes vom Nebenzimmer aus zu erkennen, an anderer Stelle gesprochen[1].

Ueberhaupt ist diese ganze Spielerei hier nur deßhalb besonders erwähnt worden, weil die betreffenden Kunststücke ungebührlich viel von sich haben reden machen und noch jetzt Manche meinen, es sei bevorzugten Gedankenlesern oder „Hellsehern“ möglich, ohne Hilfe der Augen einen verschlossenen Brief mittels der Stirnhaut oder auch der Magengrube zu lesen, ohne ihn zu öffnen.

Trotz dieser mit bemerkenswerther Hartnäckigkeit immer wiederholten Behauptung ist nicht ein einziger derartiger Fall von einem Physiologen konstatirt worden. Es ist aber nicht überflüssig, hier zu bemerken, daß allerdings mit Hilfe der Augen versiegelte Briefe, ohne sie im Geringsten zu verletzen, in vielen Fällen gelesen werden können, auch wenn der Umschlag aus sehr dickem Papiere besteht. Ich habe nämlich, als ich die ungleiche Dicke der Vogeleierschalen mittels meines Embryoskops (Eispiegels) prüfte und den Embryo im unversehrten Hühnerei beobachtete, auch Versuche angestellt, um zu ermitteln, wie viel Lagen gewöhnlichen Brief- und Aktenpapiers auf und unter ein beschriebenes Blatt gelegt werden müssen, um die Schrift im durchfallenden direkten Sonnenlicht, bei maximaler Empfindlichkeit des Auges, unleserlich zu machen. Ich fand unter Anderm, daß man mit Leichtigkeit, wenn nur das Auge sich vorher 10 bis 15 Minuten lang in der Dunkelkammer ausgeruht hat, eine Schrift über dem Spiegel des Embryoskops noch lesen kann, welche mit acht Lagen Kanzleipapier bedeckt ist, und habe auch Andere überzeugt, daß man in dieser Weise namentlich solche Briefe, ohne zu entsiegeln, zum großen Theil leicht entziffern kann, welche mit dunkler Tinte nur auf einer Seite beschrieben sind, wogegen es sehr schwer ist, in dem Gewirre der Linien sich zurechtzufinden, wenn vier beschriebene Seiten zusammengefaltet und über die zuerst geschriebenen Zeilen wieder querüber geschrieben wurde. Auch giebt es farbige Papiersorten, welche wie Karton schon bei dreifacher und sogar zweifacher Lage zu wenig Licht durchlassen, um eine Entzifferung zu gestatten.[2]

Ich erwähne diese sehr einfache Art, gewöhnlich für unsichtbar gehaltene Schrift zu sehen, deßhalb, weil sie manche Leistung der „Hellseher“ erklären kann. Denn es ist mittelst des Eispiegels in der Regel leichter, den Inhalt eines Briefes oder Telegramms ohne die geringste Beschädigung, Anfeuchtung oder sonstige Veränderung des Umschlags zum Theil zu erkennen, als die Art der Bewegungen eines Hühnchens im Ei. Wer also den Zettel, dessen Inhalt allein dem Schreiber bekannt ist, auch nur während einer Viertelstunde oder nur während fünf Minuten aus den Augen verliert, etwa mit einem ähnlichen vertauscht werden läßt oder seine Aufmerksamkeit davon abwendet, kann leicht immer da getäuscht werden, wo direktes Sonnenlicht, elektrisches oder Magnesiumlicht nebst dem Eispiegel im Nebenzimmer zur Verfügung steht. Und wem daran liegt, eine Bürgschaft für die Wahrung des Briefgeheimnisses zu haben, wird gut thun, ein Stück Karton in den Briefumschlag hinzuzulegen oder diesen inwendig schwarz zu färben. Telegramme können jedoch in der gegenwärtigen Form der Ablieferung, wenn sie nicht unmittelbar in die Hände der Adressaten gelangen, nicht geschützt werden. Man kann sie in der beschriebenen Weise, ohne Beschädigung und ohne daß der Adressat es bemerkt, in kürzester Zeit zum Theil lesen.


Galant. (Mit Illustration S. 709.) Das ist eines jener verzweifelten Fremdwörter, welche der Uebersetzung Schwierigkeiten bieten. Verbindlich? Höflich? Artig? Nein, diese Begriffe sind geschlechtslos, „galant“ aber ist ganz entschieden männlich, und zwar eine männliche Eigenschaft, welche wiederum nur in Beziehnng auf Frauen sich erweist. Wenigstens im Sinne unseres heutigen Sprachgebrauchs. In diesem Sinne kann ein Herr nie in Herrengesellschaft galant sein, eine Dame kann es überhaupt nicht sein.

Es gab eine Zeit, in der das Wort „galant“ ein zweideutiges Wort wurde. Im 18. Jahrhundert schrieb Jemand ein Buch „Das galante Sachsen“, welches wir heute „Das liederliche Sachsen“ betiteln würden. „Ist’s auch kein Mann, sei’s derweil ein Galan,“ sagt Mephistopheles.

Man hat Wörter, welche im Laufe der Zeit zu verlorenen Söhnen herunter kommen, nachdem sie einst bessere Tage gesehen, wie: Kerl, Knecht, Bube, Frauenzimmer u. dergl. Andere wieder, welche, obwohl von roher Herkunft, allmählich in die Aristokratie des Wortschatzes der Sprache emporsteigen. So das Wort galant. Der Incroyable auf unserer Illustration (so nennt man bekanntlich Leute in dieser Tracht der großen französischen Revolution) gehört mitsammt der Dame in riesigem Hut und modernisirtem Griechenkostüm in die Zeit, da jenes Wort seine frühere Bedeutung verloren hat. Nur trug es den besseren Charakter noch mit einer gewissen Absichtlichkeit zur Schau, wie bekehrte Sünder gern ihre junge Frömmigkeit, und diese gespreizte Absichtlichkeit der Galanterie jener Zeit ist vortrefflich in der Haltung des braven „Citoyen“ (Bürgers) abgespiegelt. Inzwischen ist die Galanterie zu jener absichtslosen Bescheidenheit gelangt, welche ihr einen Platz in dem peinlichsten Anstandskodex sichert. Sie bezeichnet die ritterliche, zuvorkommende Behandlung des schwächeren weiblichen Geschlechts. Ein galanter Sohn, ein galanter Bruder – welch ein Juwel! Und ein galanter Ehemann – nun, er zählt ja zweifellos zu den heißesten Wünschen jeder Frau und Jeder, die es werden will.

Galant – ich gebrauchte soeben die beste Uebersetzung dafür: „ritterlich“. V. B.     


Das Körner-Museum in Dresden. In Nr. 16 dieses Jahrgangs brachte die „Gartenlaube“ einen ausführlichen Artikel über das Körner-Museum und sprach am Schlusse desselben den Wunsch aus, der Bestand der außerordentlich reichen Sammlung möchte für die Zukunft gesichert werden. Das ist jetzt geschehen. Als Mitte September in Blasewitz bei Dresden der Gedenktag gefeiert wurde, an welchem Schiller vor hundert Jahren zum ersten Male die Schwelle des Körner’schen Hauses überschritt und dort gastlichste Aufnahme fand, wurde zwischen Dr. Peschel und den Stadtverordneten Dresdens auch der Vertrag abgeschlossen, durch welchen das Körner-Museum käuflich in den Besitz der Stadt Dresden übergeht. –th.     


Bilder-Räthsel.


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

M. Z. in Stuttgart Wir haben im Laufe dieses Jahres durch einen hervorragenden Künstler Aufnahmen an Ort und Stelle machen lassen. Leider erkrankte derselbe kurz darauf schwer, so daß die Ausführung sistiert werden mußte. Wir bitten um Geduld. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

M. Mazzelini in Wien. Verfügen Sie gefl. über Ihr Manuskript.

Franz Lisa O. Dankend abgelehnt.

F. L. in M. Wenden Sie sich an einen Arzt.


[ Inhaltsverzeichnis dieser Nr., hier nicht dargestellt. ]



Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_716.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2024)
  1. In meinem Buche „Aus Natur- und Menschenleben“. Berlin 1885. S, 298.
  2. Das Instrument, welches diese Verletzung des Briefgeheimnisses ermöglicht, habe ich in der „Zeitschrift für Instrumentenkunde“ beschrieben im Mai 1882. (S. 171.)