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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

großen Silberknöpfen geschmückten Spenser an und griff nach dem Hute.

Wortlos stand Veverl inzwischen vor dem Tische, die Bewegungen des Bauern mit sorgenvollen Blicken verfolgend; doch als sie ihn der Thür zuwanken sah, eilte sie ihm nach mit der herzlichen Frage. „’leicht is der Jörgenvetter krank?“

Traurig schüttelte Jörg den Kopf und murmelte vor sich hin: „Was gäbet ich net Alles drum, wenn’s so wär’ – und alles Andere wär’ anders!“

Ohne dem besorgten Mädchen noch einen Blick zu gönnen, verließ er die Stube und wandte sich dem Hofe zu. Als er die Schwelle überschritt, streifte eine von der Höhe der Thür niederhängende Ranke seine Wange, er hob die Augen – „Willkommen!“ las er da oben zwischen Grün und Blumen.

„Ah ja – willkommen!“ klang es in schmerzvollem Hohne von seinen zuckenden Lippen. Mit heftiger Bewegung streckte er den Arm und riß die Inschrift mit den Blumen vom Gebälke, trug sie in die Küche und warf sie in das lodernde Herdfeuer. Feuchten Auges sah er zu, wie die Flamme mit Knistern und Qualmen das Tannreis und die Blumen ergriff und die Inschrift unter schwarzem Ruße erlöschen machte.

Das Kinn auf der Brust, die Hände der schlaff hängenden Arme zu Fäusten geballt, so wanderte er durch das abendstille Dorf dahin. Die Leute, die ihm begegneten, grüßten ihn mit freundlichem Gruße; er sah ihre Grüße nicht und ließ sie ohne Antwort.

Als er vor der Schwelle des Pfarrhofes die Glocke zog, hob er zum ersten Male wieder das Haupt und die Augen.

Mit dumpfem Halle fiel hinter ihm die Thür ins Schloß.

Längst war die Sonne niedergegangen, und tiefe Dämmerung webte schon über den rauchenden Dächern, als Jörg aus dem stillen Hause wieder auf die Straße trat. Ihm folgte der greise Pfarrer im langen Talare, auf dem Haupte das kleine, schwarze Schäppelchen, das von einem Kranze schneeweißer Haare umzogen war. Die milden, ehrwürdigen Züge des greisen Priesters sprachen von tiefer, schmerzlicher Bewegung, und feucht schimmerten seine Augen. Er legte dem Bauer die Hand auf die Schulter und sagte leise:

„Geh’ jetzt nach Hause, Jörg, und suche Ruhe und Ergebung zu finden. Du weißt, Einer ist über uns – dessen Wille geht vor unseren Wünschen und unserer Liebe.“

„Ich g’spür’s – ich g’spür’s!“ fuhr Jörg mit schluchzenden Worten auf.

„Ja, ja – ich weiß, wie Dein Herz an den Beiden hing – und – ich selbst dank’ es meinem Gotte, daß meine selige Schwester diesen Tag nicht hat erleben müssen. Aber wir, Jörg – wir Beide – wir müssen uns als Männer zeigen! Weißt Du – leben, das heißt leiden. Aber wir sind Christen – gelt, Jörg – gute Christen! Und siehst Du – da müssen wir es auch in blutigen Thränen dem Heilande nachthun – und müssen sagen: Herr, Dein Wille geschehe! Geh’ nur – geh’, Jörg – geh’! Was für morgen früh noch zu besorgen ist, das will ich schon auf mich nehmen. Und – morgen soll dann Alles vor sich gehen, wie wenn Alles gut und richtig wäre. Weißt Du – was Du dem alten Freunde vertraut hast, das braucht der Pfarrer nicht zu wissen.“

„Hochwürden!“ stammelte Jörg unter Thränen, und heißer Dank sprach aus dem Klange seiner Stimme. „Ich hätt’ ja nie den Muth net g’habt, um so viel z’ bitten – und lügen – lägen hätt’ ich auch net können. Aber – aber jetzt – Hochwürden –“ Die Worte versagten ihm, als er nun die welke, zitternde Hand des greisen Priesters ergriff und mit ungestümen Lippen küßte.

„Aber Jörg! Jörg!“ wehrte der Pfarrer mit tief bewegter Stimme, seine Rechte aus den Händen des Bauern lösend. „Geh’ – geh’ jetzt nach Hause! Es ist spät geworden – und ich habe ja auch noch ein paar Wege zu machen. Also – gute Nacht, Jörg, gute Nacht!“

„Gut’ Nacht!“

Noch einmal umfaßte Jörg die Hand des Pfarrers mit festem Drucke. Dann wandte er sich, rückte seufzend den Hut und schritt der Straße zu.

Noch hatte Jörg seinen Hof nicht erreicht, als das Abendgeläute mit sanftem Klange vom Kirchthurme hinaus scholl über das nebeldampfende Thal.

Jörg nahm den Hut vom Haupte, faltete in zögerndem Weiterschreiten die Hände, und raunend bewegten sich seine Lippen.

Das Geläute verstummte – Jörg stand still und hob wie in ängstlichem Lauschen den Kopf – jetzt schauerte er in sich zusammem als wäre ihm der Ton der Glocke, die nun zu läuten anhub, durch Mark und Bein gegangen.

Es war der dünne, wimmernde Ton der Todtenglocke.

An den Häusern öffneten sich die Fenster, aus den Thüren traten die Leute und sammelten sich auf der Straße zu kleinen Gruppen, mit hastig durch einander schwirrenden Fragen.

Wer konnte gestorben sein, da doch Niemand im Dorfe schwer krank darniederlag? Hatte es ein Unglück gegeben? Wen mochte es getroffen haben? Oder war am Ende Schlimmeres geschehen? Verbrechen und Mord?

Niemand wußte auf diese Fragen eine Antwort zu geben – und der sie hätte geben können, schritt gesenkten Hauptes, mit thränenden Augen und krampfhaft geschlossenen Lippen wortlos seiner Wege, heimwärts, dem Finkenhofe zu.


Ein großer Raum mit weißgetünchten, niedrigen Wänden, rechts von der Thür der braunlackirte Geschirrschrank, links der eiserne Ofen, eine rings um die freien Wände sich ziehende Holzbank, in der Fensterecke das Krucifix, und darunter der lange, schmucklose Eichentisch – das war die „Ehhaltenstube“ im Gesindehause des Finkenhofes.

Ein trübe brennendes Oellämpchen, das an der Wand auf einem kleinen Brettchen stand, warf seine matten Lichter über den Tisch, um welchen die Dienstboten bei der dampfenden Schüssel saßen. Emmerenz als Oberdirne führte den Vorsitz – eine gedrungene Gestalt von derb gesunden Formen. Der graue Lodenrock reichte kaum bis zu den Knöcheln der nackten, im Verhältnisse zu der Gestalt auffallend kleinen Füße. Das dunkelbraune, miederartige Tuchleibchen, dessen Achselspangen über die runden Schultern auf die drallen Arme nieder geglitten waren, umspannte straff die üppige Büste. Dem grobleinenen, kurzärmligen Hemde waren hoch am Halse mit rother Wolle zwei Buchstaben eingemerkt, E. und B., und darunter eine Zahl, welche verrieth, daß Enzi vor siebenundzwanzig Jahren das Licht der Welt erblickt hatte. Der etwas kurze Hals, den zwei mollige Faltenringe umzogen, trug einen kugelrunden Kopf, über welchem das reiche, röthlich blonde Haar mehr praktisch als geschmackvoll zu einem dicken, zausigen Knoten zusammengewirbelt war. Das Gesicht mit den in gesunder Röthe strotzenden Wangen, mit den vollen Lippen, zwischen denen die weißen Zähne hervorblitzten, mit der kleinen, leicht aufgestumpften Nase und mit den Blau-Augen unter den starken, lichten Brauen machte wohl den Eindruck gemüthlichen Frohsinns. Manchmal aber fuhren die Lippen wie schwellend auf, die Brauen schürzten sich wie unter trotzigen, zürnenden Gedanken – und das sah sich auf diesem Gesichte so seltsam an, fast wie Wetterleuchten bei heiterem Abendhimmel. Zu beiden Seiten der Oberdirne saßen Valtl und die alte Waben, neben dieser machte sich Dori breit; ihm gegenüber saß die Stalldirn’, welche beim Essen fleißiger die Zähne zu rühren liebte, als die Hände bei der Arbeit; der Schmied, die Hausmagd und der Holzknecht ergänzten die Runde.

Die Mahlzeit war beendet. Emmerenz erhob sich vom Tische und begann das Geschirr zusammen zu räumen, während sich die anderen gemächlich aus den Bänken hervorschoben.

„Du –“ flüsterte Dori dabei mit lustig zwinkernden Augen dem Holzknecht zu, „heut’ beim Heimfahren hab’ ich mir a neus Betsprüchl aus’denkt – da paß auf!“

Emmerenz trug das Geschirr nach dem Schranke; als sie zum Tische zurückkehrte und Dori, der als der jüngste Dienstbote nach jeder Mahlzeit das Dankgebet zu sprechen hatte, noch immer keine Miene machte, dieser Pflicht nachzukommen, mahnte sie ihn mit den Worten: „Was is denn, Dori – wird heut’ nimmer ’bet’?“

Der Bursche schien auf diese Aufforderung gewartet zu haben, denn übereilig stellte er sich nun vor dem Tische in Positur, schlug mit weit ausfahredem Daumen das Kreuz, faltete die Hände und begann:

„Jetzt hab’ ich ’gessen,
Bin noch net satt,
Hätt’ gern noch ’was ’gessen,
Hab’ nix mehr g’hatt.
Die Zähn’ sind ’s Beißen g’wöhnt,
Der Magen is weit gedehnt,
Drum hungert’s mich allezeit
Jetzt und in Ewigkeit – Am –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_720.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)