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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


zwanziger Jahren war und sonst ein sehr gesundes wohlgenährtes Aussehen hatte – wie er so dastand, mußten wir unwillkürlich über den drolligen Gesellen lachen.

Da lachte er denn mit. Und recht von Herzen.

Edgar von Sperber war ein lebenslustiger, behaglicher und dazu bildhübscher Geselle, mit dem angenehm zu verkehren. Er stammte aus einer angesehenen Familie von Kaufleuten, die seit Jahrhunderten in Hamburg saßen, dort zu solider Wohlhabenheit gelangt und bei guter Gelegenheit einmal – es war noch nicht gar lange her – vom Kaiser von Oesterreich geadelt worden waren. Seinen Großoheim James Edward Sperber nannte man einen der Könige der Südsee, weil die Leute seines Hauses dort Niederlassungen von Bedeutung gegründet hatten und seine Schiffe gewaltigen Handelsverkehr mit jenen Gegenden unterhielten. Edgar berühmte sich nie des Reichthums seiner Familie. Daß aber die hohe Gestalt des mächtigen Kaufherrn James Edward Sperber häufig in seinen Gesprächen auftauchte, war eine Familiengewohnheit, die man ihm um so weniger übelzudeuten brauchte, als er sie von Kindesbeinen an üben gehört und dem entsprechend selbst geübt hatte. Wer freut sich nicht guter Altvordern! Edgar, reich und lebenslustig, stand im Begriff, sich die Welt zu betrachten, um sich da ein Heim zu gründen, wo es sich nach seinem Geschmack am besten leben ließ. Er schwankte noch zwischen Paris und Wien und schien sich während dieses Schwankens am letztgenannten Orte so ausnehmend zu gefallen, daß er vor der Hand an ein Weiterziehen nicht dachte.

Manche nannten ihn den Dicken, obwohl seine Leibesfülle keine übermäßige war und zu seiner Größe nicht im Mißverhältniß stand. Er hatte lichte lachende Augen, lichtbraunes Haar, das er wie auch den Bart ganz kurzgeschoren trug, und pflegte beim Gehen sich nach jedem Schritte ein wenig auf dem Ballen zu heben, was seinem Wandel trotz seiner Größe etwas anmuthig elastisch Behagliches verlieh. Er war immer elegant, wenn auch manchmal mit einer gewissen absichtlichen Nachlässigkeit gekleidet. Sein Wesen und Gebahren schien, wie das so mancher guten Hamburger, schon von Weitem andeuten zu wollen, daß der liebe Gott, ohne ein Versehen zu begehen, ihn ebenso gut auf der andern Seite des Kanals, unter richtigen Engländern hätte auf die Welt setzen können. Er war von hohem Wuchs, von anheimelnder Rede und von jener natürlichen Ungezwungenheit des Gehabens, die unbesorgt an Uebermuth, an Keckheit streift und zumeist auf dem sicheren Grunde eines zuverlässigen väterlichen Vermögens fußt. Aber er war gut und gutmüthig sowohl aus Klugheit wie von Natur.

Einer jener gescheiten, starken, großen, wohlbeleibten Männer, die aussehen wie die Enkel Simsons und die wie dieser nur allzu geneigt und geeignet sind, sich von einer Delila, wenn sie schön und geschickt ist, um den kleinen Finger wickeln zu lassen.

Wie er sich zu uns gesellte, mußt’ ich denken, das wär’ eigentlich ein Mann für Bianca Scandrini, wie geschaffen dafür, daß er sich in sie und auch sie sich in ihn – soweit ihr das überhaupt möglich war – verliebte.

Und da Gedanken manchmal auch unausgesprochen sich von einem auf den andern elektrisch übertragen oder, wenn das besser klingt, in der Luft liegen, so bin ich überzeugt, daß in demselben Augenblick Bianca, wie ihre beiden schrecklichen Schwestern, der leibliche Vater wie der leibliche Vetter, ja selbst der junge Baron denselben Gedanken hegten wie ich, wenn auch Jeder auf andere, Jeder auf seine Weise, wobei es denn freilich nicht zu leugnen sein wird, daß der nämliche Gedanke sich in Edgar von Sperber’s fürwitzigem und leichtlebigem Kopfe ganz anders in Wunsch und Absicht umsetzte, als unter der geweihten und graduirten Stirn des Paters Bibliothekars und Vetters der schönen Sängerin.

Bei Keinem von uns gewann dieser Gedanke noch Worte. Einstweilen herrschte nur harmlose Lustigkeit und gleichgültiges leichtes Geplauder, bis endlich auch der schweigsame Vater sich an der allgemeinen Unterhaltung betheiligte, indem er mit vollendeter Sicherheit die Behauptung aufstellte, daß er von diesem Vergnügen nun übergenug habe und daß es Zeit sei, nach Hause zu gehen.

Edgar, der nun eben erst warm werden wollte, war von diesem jähen Abbruche vergnüglicher Beziehungen sichtlich betroffen. Er kleidete diese Betroffenheit in eine sehr artige Einladung zum Souper. Edgar war eine von den glücklichen Naturen, die zu jeder Tages- oder Nachtzeit aus beliebigem Anlasse und unter allen Umständen zu soupiren bereit sind.

Anders Vater Latschenberger, der die Einladung eines ihm nur oberflächlich bekannten Kavaliers zu so vorgerückter Stunde mit sittlicher Entrüstung ablehnte und kurzangebunden den Seinigen den nächsten Weg zur Garderobe deutete.

Edgar sah betrübt hinter jenen drein. Er hätte so gern noch ein Stündchen mit Blanche verplaudert. Sie war ihm schon früher als schön aufgefallen. Aber noch nie erschien sie ihm so lustig, so geistreich, so entzückend wie heute, da sie eine Viertelstunde, ach, höchstens zehn Minuten an seinem Arme hinwandelte und ihre wunderbaren Augen durch die Löcher ihrer Maske leuchten ließ, das es einem das Herz im Leibe verbrannte. Edgar fing allen Ernstes den alten Latschenberger zu verfluchen an, der harmloser Freundlichkeit mit der Trutzmiene eines beleidigten Dämons begegnete.

Allein Edgar von Sperber war zum Fluchen nicht gemacht. Er ging lieber mit gutmüthigem Gesicht den Abziehenden in die Garderobe nach, um wenigstens noch ein Abschiedswort an Bianca zu richten und vielleicht ihr Gesicht zu sehen.

Die Familie mühte sich in verschiedenen Winkeln in ihre Mäntel und Hüllen zu kriechen. Alles war hier noch streng vermummt und verlarvt, denn die Stube war voll von Leuten, die zum Aufbruche rüsteten, und man war darauf bedacht, sein Inkognito bis ans Ende festzuhalten.

Edgar fand, die er suchte, abgewandt, mit dem Rücken gegen die Ballgäste, das Gesicht der Wand zugekehrt, in einer Ecke, wo sie sich viele Mühe gab, mit Hilfe einer ihrer Schwestern ein Paar lange knappe graue Wollgamaschen über Ballschuhe und seidene Strümpfe zu ziehen.

Es war nur ein verstohlener Augenblick, aber Edgar wollte darauf schwören, er hätte sein Tag noch nichts Reizenderes gesehen, als diese wunderbar gefesselten Feenpfötchen von grauen Filetmaschen halb verkappt.

Doch da stand schon die kleine Maske vor ihm und sagte: „Sie wieder da, Baron? . . . Das ist hübsch von Ihnen, daß Sie mir ordentlich gute Nacht sagen!“ Damit reichte sie ihm eine ganz kleine schwarze Hand in einem tadellosen französischen Handschuh hin.

So klein sie war, diese schwarze Hand, sie faßte fest zu. Edgar beugte seinen Mund auf sie nieder und bewunderte in diesen Händen das würdige Geschwisterpaar der beiden grauverkappten Füßchen, die es ihm gerade vorher angethan hatten.

Es stand in derselben Sekunde bei ihm fest, daß diese Füßchen heut Abend in keinen gemeinen Miethwagen steigen sollten, und er beeilte sich, den Damen und dem Vater seine Equipage zum Nachhausefahren anzubieten.

Das war etwas Anderes! Zum Soupiren war es zu spät, aber je früher desto besser heimzurollen, in einem bequemen Wagen, einem unnumerirten, kavaliermäßigen – dieser Versuchung kann ein Wiener Herz nicht widerstehen. Der Alte gewährte dem jungen Mann die Gnade, darum er gebeten wurde, und ließ es sich gefallen, das Edgar den Theaterportier nach seinem Kutscher rufen hieß. Am Arm das süße Geschöpf, das sich wie ein Kätzchen in der Nachtkühle schaudernd an seine Seite schmiegte, stand er einige Minuten harrend im Hofe, darin die Wagen einrollten.

„Wenn ich nur Einmal Ihr Gesicht gesehen hätte!“ sagte er leise zu ihr. Es that ihm in diesem Augenblick wunderlich wohl, mit der Verhüllten, nur einen Schritt von der ohrenspitzenden Sippschaft entfernt, im Geheimen zu flüstern.

Bianca schien es nicht eben anders zu gehen. Neckend antwortete sie: „Ich bin zu eitel, Ihnen heut mein Gesicht zu zeigen, das stundenlang unter der Maske gelitten hat. Aber Sie kennen es ja schon, es ist ein recht alltägliches Gesicht, und man kann es auch alle Tage sehen.“

„Könnt’ ich es doch alle Tage sehen!“ antwortete der Baron hastig und mit einem Seufzer, der aus ehrlichem Herzen kam.

Bianca lachte laut auf.

„Warum lachen Sie mich aus?“ rief Edgar.

„Ich denke nicht daran. Aber es muthet mich komisch an, daß Sie sich ungeschickter stellen, als Sie sind. Mein Vater wird sich ein Vergnügen daraus machen, Ihren Besuch zu empfangen – wenn auch nicht just alle Tage.“

Edgar wußte offenbar nicht gleich, was er auf so viel Freundlichkeit sagen sollte, er war stumm, aber da rollte schon sein Gefährt vors Portal.

(Fortsetzung folgt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_731.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)