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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Oho! oho!“ rief Pater Otto und lachte dann so in seiner Weise, wie er sich all Anfechtung und Bedenken vom Herzen wegzulachen pflegte.

Aber Bianca war es durchaus nicht zum Lachen, wie sie so in kaum zu meisternder Erregung auf ihren hohen Pantöffelchen in ihrer Stube hin und wider schritt und mit der langen lichtblauen Schleppe ihres spitzenbesetzten Künstlerinnenschlafrocks – das annoch kostbarste Stück ihrer ganzen Garderobe – bald am Pfeilerschränkchen hängen blieb, bald sich in ein Stuhlbein verwickelte. Das Weinen stand ihr nahe bei den Augen, und die Thräne der Wuth zitterte bereits in ihren höheren Tonen.

„So führt man sich im Salon einer Künstlerin nicht auf, und wenn man zehnmal der Vetter und der beste Freund ist! Nein, das thut man nicht! Das darf man nicht, als gebildeter Mann!“ Und dazu stampfte sie mit ihren Söhlchen einen langen Triller auf dem Teppich.

Pater Otto lachte zu Allem, zum gebildeten Menschen, zum besten Freunde, zum leiblichen Vetter und am allerunverschämtesten zu Bianca’s Prätension, eine Künstlerin zu sein. Zur Künstlerin werde höchstens er und sein rastloses Bemühen sie machen.

„Auf diese Art nicht!“ schrie ihn das Mühmchen an und kehrte ihm hastig den Rücken, da ihr die Thränen nun wirklich über beide Backen liefen. Und dann trommelte sie nervös mit den Fingerknöcheln einen Marsch auf dem Klavierdeckel – ob um ihren Zorn an dem unschuldigen Palisanderholz auszulassen oder um ein allenfallsiges Schluchzen zu übertönen, das bleibe dahingestellt.

„Du wirst Dir wehe thun mit diesem Zapfenstreich!“ rief Pater Otto ihr noch höhnisch zu. Bald aber merkte er, daß Bianca’s Aufregung nicht nur ihr selbst wehe that, sondern auch ihm.

Otto Fuchs war ein so großer Freund der Schönheit und der Musen, daß er ein junges Weib nicht weinen hören konnte, ohne daß es ihm ans Herz griff – und schon gar nicht, wenn diese Thränen mit einer Stimme schluchzten, wie Gott sie seiner Bianca in die Kehle gelegt hatte.

Das Mädchen, von ihrem Verdruß überwältigt, ließ ihre Thränen fließen. Sie hatte sich in einen ihrer kleinen Fauteuils geworfen, den linken Arm über der Lehne, das liebe Gesicht auf beiden Händen verborgen, dem Störenfried den Rücken zugewandt.

Pater Otto sprang auf die Füße. Er trat ihr näher. Er wollte nun erst recht aufbrausen. Aber er vergaß es, wie er ihre Schultern vom Weinen zucken sah.

Er legte einen Finger auf ihre Achsel und rief sie beim Namen.

Ohne sich umzuwenden, machte sie mit demselben Arm eine so heftige Bewegung, als wollte sie nach dem Vetter schlagen.

Er trat einen Schritt zurück. „Blanche, mach doch keine Dummheiten! Hör’ zu flennen auf! ... Verstehst?!“

„Geh doch weg, wenn Dich mein Flennen genirt! . . . Adio!“

„Bianca!“

Es war mit einem eigenthümlichen Ton gesprochen, dieses Bianca! Es hallte langhin, wunderseltsam durchs Gemach. Eine Welt von Sehnen und Verlangen schien in diesem Rufe auszuklagen und nachzuklingen.

Das Mädchen horchte betroffen auf, gesenkten Hauptes sah sie den Vetter, der mitten im Zimmer stand, mit den großen rathlosen blauen Augen starr an. „Otto, bist Du verrückt geworden?“ fragte sie leise.

Sie wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Aber als er nun die Augen aufhob und sie mit brennenden Blicken, die ihr immer näher und näher zu kommen schienen, betrachtete, da zuckte sie unwillkürlich zusammen und es war ihr, als lief ihr ein eiskalter Tropfen zwischen den Schultern hindurch.

Vor einem Geheimniß, das Beiden unbewußt weiß Gott wie lange mit ihnen gelebt hatte, war der Schleier zerrissen. Es erschreckte Bianca. Sie wollt’ es aus der Welt haben, um wieder frei athmen zu können. Sie wollte mit sehenden Augen nicht daran glauben müssen.

Derweilen rang Pater Otto nach Worten, die Alles erklären und Alles gewinnen sollten. Aber der sonst so redegewandte Meister brachte nichts hervor, als ein zwischen Vorwurf und Bitte schwankendes: „Du hast mich doch sonst immer lieb gehabt!“

„Ich habe Dich noch lieb!“ beeilte sich Bianca zu versichern.

„Aber wie?“ klang es bitter von spöttisch verzogenen Lippen zurück.

„Narr, der Du bist! So lieb, wie keinen anderen Menschen auf der Welt!“

„Aber . . .?“ fragte der Priester hastig.

„Aber,“ fuhr das Mädchen mit der Ruhe, die es wiedergewonnen hatte, fort, „ich kann mir denken, daß ich einen Anderen noch lieber haben könnte, als ich Dich lieb habe.“

„Herrn Edgar von Sperber vielleicht?“ rief der Mönch, und man sah dabei die blanken Reihen seiner Zähne.

„Das weiß ich nicht.“

„Wirklich nicht?“

„Meiner Seel’, nein! Vielleicht, vielleicht auch nicht! . . . Du kennst mich. Ich bin nicht verliebter Natur. Ich habe nichts im Kopf als meine Kunst und mein Singen. Daran hängt mein Herz mit aller Leidenschaft. Die Menschen sind mir mehr oder weniger gleichgültig, meine Verwandten und etliche Musikanten vielleicht ausgenommen. An Baron Edgar hab’ ich mich gewöhnt. Er ist so ein guter, braver, artiger Mensch. Ich mag’s gern, wenn er andächtig vor mir dasitzt und jeden Ton von mir nur gerade so auffangen möcht’ mit Ohren und Augen. Und ich ärgere mich, wenn Du ihn ohne Grund verjagst. Mir fehlt was, wenn er nicht da ist.“

„Möchtest Du ihn heirathen?“ rief jetzt Pater Otto laut und bestimmt, nachdem er hastig an sie herangetreten war und sie beim Handgelenk ergriffen hatte, just als fürchtete er, sie möchte ihm entschlüpfen, ohne diese Frage zu beantworten.

Bianca erschrak, aber gleich darauf fing sie herzlich an zu lachen, sie wand sich an seiner Hand und bog sich vor- und rückwärts, so überwältigend komisch klang ihr diese Frage.

„Ich heirathen? . . . und Den?! . . . Unsinn! Wer denkt an so was! Aufs Theater will ich. singen will ich, gefallen will ich, sehr gefallen, wie die Lucca, wie die Patti gefallen haben, berühmt und reich will ich werden, eine große Sängerin werden ! . . . aber heirathen? jetzt schon? eh’ ich nur einmal aufgetreten bin? Und das glaubst Du von mir? Ich hab’s ja gesagt, Du bist übergeschnappt! Ahaha! Mir thut das Herz weh vor lauter Lachen.“

Sie mußte sich niedersetzen und hielt die Hand an die linke Seite.

Pater Otto ergriff einen Stuhl und stellte ihn hart neben den ihrigen. Er war im Tiefsten erschüttert, und doch war ihm, als hätt’ ihm Jemand einen Mühlstein von der Brust genommen. Er war darauf gefaßt gewesen, daß ihm Bianca nicht mehr von der Wahrheit in ihrem Herzen bekennen würde, als ihr zuzugestehen räthlich schiene. Allein dies Erstaunen ob seiner von Eifersucht eingegebenen Zumuthung, dies Gelächter und diese Worte kamen von Herzen, sie sprachen Bianca’s seelische Ueberzeugung aus und bliesen den quälenden Argwohn, daß die geliebte Muhme daran dächte, sich dem Baron hinzugeben, in alle Winde.

Der kleinen Scandrini war in der That noch nie der Einfall gekommen, ob sie den reichen jungen Mann, der sie so sehr verehrte, heirathen könnte. Daß eine große Sängerin – und sie hielt sich bereits in ihrem Sinnen und Denken für eine solche – Anbeter hatte, die ihr Blumen und Bonbons und, trotz Pater Otto’s kurzgezogenem Register, noch andere und kostbarere Dinge in Hülle und Fülle zu Füßen legen durften, das verstand sich bei ihr von selbst; das gehörte zu einer richtigen Primadonna. Daß aber solch eine Primadonna noch irgend etwas Anderes dafür zu gewähren oder zu leisten hätte, als jeden Abend auf den Brettern vor den Lampen schön zu singen und vielleicht etwa noch schön auszusehen, das stand nicht in ihrem Codex, das war ihr rein zum Lachen. Wenn sie sich eine Huldigung gefallen ließ, wenn sie ein Geschenk aus den Händen eines Verehrers anzunehmen geruhte, wenn sie vollends beim Singen Jemand in ihrer nächsten Nähe duldete, war das nicht hohe Auszeichnung und Gnade genug? Sie hatte eine gewaltige Meinung von ihrer Kunst und dem Adel der Kunst.

Da ihr der Vetter den verrückten Vorschlag ins Gesicht warf, ob sie den Baron heirathen möchte, klang ihr das nicht viel besser, als wenn er ihr zugemuthet hätte, drei Stock hoch zum Fenster hinaus zu springen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_747.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)