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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

gegenwärtig über das tropische Afrika besitzen, berechtigt uns nicht nur, sondern verpflichtet uns, die als ein weiteres Lockmittel gebrauchte Idee, Ackerbauer, die ihre Felder selbst bestellen sollen, mit ihren Familien im Kongostaate anzusiedeln, auf das Entschiedenste zu bekämpfen. Um diesen Vorschlag so scharf als möglich zurückzuweisen, habe ich vor mehr als Jahresfrist ausgesprochen, daß jeder derartige Versuch mit dem Friedhofe beginnen und mit dem Friedhofe enden werde.

Möglich ist es, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß im unbekannten Afrika noch einzelne in jeder Hinsicht begünstigte Gebiete aufgefunden werden, wo Familien von Europäern bei eigener körperlicher Arbeit gedeihen können. Möglich ist es auch, daß die Wissenschaft ein Mittel entdeckt, die künftigen Besiedler gegen die üblen Einflüsse des Klimas zu schützen. So lange dies aber nicht geschehen, müssen wir die Ausbeutung des tropischen Afrika dem Kaufmann und dem Pflanzer überlassen, im engsten Bunde mit dem Missionar und dem Forscher. Sie alle haben die wichtigste Aufgabe zu lösen: den Afrikaner zur Arbeit zu erziehen, die Hilfsquellen des Landes zu entwickeln.

Wir kommen zum Schluß, Herr Stanley. was ist nun, nachdem vieler Menschen Gesundheit und Leben, nachdem viele Millionen geopfert worden sind, nach einer sechsjährigen Arbeit gewonnen? Nichts als die Gewißheit, daß dem Unbekannten gegenüber nur die gründliche, sicher vorgehende Forschung und die gewissenhafte geduldige Arbeit den Erfolg verbürgen kann.

Noch leben wir in einer Zeit, in welcher die sensationelle Leistung die schnellste Anerkennung findet, in welcher die Arbeiten, die Autorität eines Forschers wenig gelten, wenn er nicht das Glück hatte, eine große Anzahl Kilometer zurückzulegen, unter mannigfaltigen Abenteuern ein unbekanntes Gebiet zu durchmessen, wenn er nicht zu den Berühmtheiten des Tages gezählt wird. Auch diese Strömung hat ihre Zeit, wie sie ihre Berechtigung haben mag. Die Lösung der einen Aufgabe schließt aber die Lösung der andern fast aus. Entdecker, die unter mancherlei Beschwerlichkeiten das unbekannte im Fluge durchmessen, nichts untersuchen können, als bestenfalls die nächste Umgebung ihrer Marschroute, gewinnen nur ein sehr bedingtes Urtheil über die Beschaffenheit großer Gebiete. Diese kennen zu lernen, ist aber jetzt die allen anderen voranstehende Aufgabe. Vielleicht ist der Wendepunkt bereits erreicht. Die eiserne Nothwendigkeit wird es mit sich bringen, das Touristen- und Entdeckerthum, den sensationellen Erfolg mit seinen vornehmlich die Phantasie erregenden und die große Menge bestechenden Gaben unterzuordnen den gemeinnützigen Resultaten der Wissenschaft. Eine gründliche Erforschung des Nächstliegenden, Kulturversuche mit Handelsgewächsen, die Entdeckung eines neuen Produktes für den Weltmarkt werden für wichtiger gehalten werden, als die Entdeckung eines neuen Berges oder Gewässers, als die Bereicherung der Karten um einige nach ihrer Lage meistens noch zweifelhaft bleibende Linien und Marken, als spannend beschriebene Reise-Erlebnisse.

Ihr Kongo-Unternehmen, Herr Stanley, ist verfehlt. Central-Afrika ist kein zweites Indien und wird es nicht werden, so lange wir leben. Verfehlt ist der Versuch, seine verheißenen Reichthümer der Menschheit zu Füßen zu legen. Der mögliche Gewinn für die Weltwirthschaft steht in gar keinem Verhältniß zu den aufgewendeten ungeheuren Mitteln. Diese Thatsache wird bestehen bleiben, auch wenn noch Jahre hindurch ungezählte Millionen in derselben Weise geopfert werden.

Kein vorsichtiger Beurtheiler wird behaupten, daß Innerafrika eine einzige große Wüstenei sei; er wird aber auch nicht behaupten dürfen, daß es ein einziges fruchtbares Gefilde sei. Auch dort werden meistbegüustigte Landschaften neben wenig begünstigten sich finden. Alle Anzeichen sprechen aber dafür, daß die letzteren: Grassteppen und Savannen die größte Ausdehnung besitzen. Wer sollte sich verlocken lassen, in der unbekannten Ferne, unter zehnfach größeren Schwierigkeiten und Gefahren seine Kraft einzusetzen, so lange ihm die Nähe, manche in jeder Hinsicht begünstigte Küstenlandschaft noch Raum für seine Thätigkeit bietet?

Vergeblich ist Ihr Bemühen, Herr Stanley, den Kongostaat als ein Dorado darzustellen. Die eigentliche, die mühevolle, die lange Arbeit hat erst zu beginnen – und, ich wiederhole, wer möchte die gerade dort beginnen, wo alle Verhältnisse ungünstiger liegen als sonst wo? Mit weit geringeren Mitteln, aber mit größerer Gewissenhaftigkeit und Besonnenheit, wird man in den bequem liegenden begünstigten Küstengebieten das mit ausdauerndem Fleiße erarbeiten, was Sie und die Association vom Unbekannten im Fluge erhaschen wollten. Und wenn dies voll und ganz geschehen, dann erst wird man seine Blicke weiter richten. Die künftige Eisenbahn, die dann Innerafrika uns näher bringt, die wird nicht Ihrem Wege folgen, Herr Stanley – es sei denn, sie würde als ein unfaßbar hochherziges Geschenk für alle Völker gebaut, als ein Hochweg für die Civilisation, der ein Menschenalter hindurch Jedwedem so gut wie unentgeltlich zu Diensten sein müßte.


Wolfsjagden.

(Mit Illustration S. 736 und 737.)

Wolffen und Beeren, an den brichet nyemand keynen Frid,“ lautet eine Stelle im Gesetz Karl’s des Großen. Gottlob, die Zeiten, wo wir uns in Deutschland mit den Wölfen so ernstlich herumplagen mußten, sind glücklich überstanden. Der berüchtigte Wolf, der nach Kobell’s Angabe neun Jahre lang in der Gegend von Schliersee und Tegernsee sich umhertrieb und in dieser Zeit, vom Wildprett abgesehen, gegen 1000 Schafe gerissen und also einen Schaden von etwa 20000 Mark gestiftet hat, zählt längst zu jenen historischen Merkwürdigkeiten, an welche die jüngere Generation nur schwer glauben mag. Unsere Vorfahren haben, wie schon der alte Geßner berichtete, den Wolf so gründlich „verletzt, geschedigt und getödt, mit etlichen Instrumenten, gruben, gifft und aatz, Wölffallen, angel, strick, garn und Hünden, geschoß und dergleichen, daß wir richtige Wolfsjagden jetzt nur in Bildern aus fremden Ländern zu Gesicht bekommen.

An den Marken der Kultur aber wird der Vertilgungskrieg gegen den gefräßigen Räuber noch immer mit alter Energie fortgesetzt und ist bis auf den heutigen Tag so mannigfaltig geblieben, wie ihn Geßner vor Jahrhunderten schilderte. In allen Ländern werden auf ihre Erlegung Prämien ausgesetzt und die Jäger hierdurch besonders angespornt, alle Kunstgriffe und Listen zur Anwendung zu bringen. Rechnet man den Ertrag des Pelzes und die Schußprämien zusammen, so ergiebt sich nach Brehm in manchen Ländern ein Reingewinn von etwa 60 Mark für jeden erlegten Wolf.

Die Treibjagden, wie sie auf Wölfe in der Regel veranstaltet werden, sind schon oft beschrieben worden und bieten kaum ein besonders originelles Schauspiel. Sie müßten denn sonst unter Trommelschlag stattfinden, wie dies in manchen Ländern der Fall ist. Dann wird die Sache abenteuerlicher, wenn die Sturmwirbel durch den Wald erschallen und sich mit den lauten Rufen der Treiber zu einem wilden Lärm vereinigen.

Zu den interessantesten Jagdmethoden gehören ohne Zweifel diejenigen, die im Grunde genommen regelrechte Parforcejagden bilden. Hoch im Norden und an den Südgrenzen Europas sind sie noch im Brauch, unter Anwendung verschiedener Mittel, die der Natur des Landes entsprechen. In Norwegen haßt man den Wolf ganz besonders, da er dort ungeheuren Schaden anrichtet, so daß in Lappland z. B. das Wort „Frieden“ gleiches bedeutet wie Ruhe vor den Wölfen. Kein Wunder also, daß man in jenen nördlichen Gebieten mit dem Raubthier möglichst kurzen Proceß macht. Sobald der erste Schnee gefallen, rüsten sich die Lappen mit einem Stocke aus, an dessen Ende ein scharfes Messer festgebunden ist, schnallen ihre Skys, Schneeschuhe, an und treiben die Wölfe auf. In tiefem Schnee auf waldloser Ebene kann der Wolf gegen den Skyläufer nicht aufkommen, er wird bald eingeholt und mit dem scharfen Messer aufgespießt. Diese eigenthümliche Jagdart dürfte bald in Mode kommen, denn die sportbedürftigen Engländer haben an ihr einen besonderen Geschmack gefunden, und man sieht schon in illustrirten englischen Blättern pelzverhüllte Touristen aus dem stolzen Albion abgebildet, wie sie mit Speer und auf Schneeschuhen die Schneefelder Norwegens unsicher machen.

Buntfarbiger gestaltet sich die Wolfsjagd auf den endlosen Ebenen der russischen Steppe. Der Wolf wird hier förmlich zu Tode gehetzt. Auf munteren Rossen ziehen die Kosaken oder Pferdehirten aus ihren Siedelungen in das wogende Grasmeer hinaus. Werden die Wölfe aufgetrieben, so folgen ihnen die Reiter nach, und vorwärts, mit dem Wind um die Wette, stürmen der Flüchtling und die Verfolger. Nach einigen Stunden erlahmt die Kraft des Raubthieres; mit geiferndem Maule, die dürrgewordene Zunge lang vorgeschreckt, keucht der Wolf mühsam vorwärts, bis er den Rest seiner Kräfte zusammennehmend, still stehen bleibt und sich gegen seine Verfolger zur Wehr setzt. In demselben Augenblick aber fliegt ihm ein Lasso um den Hals, oder der Jäger springt vom Pferde ab und schlägt das müde gewordene Thier mit einem Knüppel todt. Manche schieben ihm einen alten Lappen in den Rachen, packen ihn am Genicke und bringen ihn geknebelt und lebend nach Hause. In diesem Wettlaufe auf Leben und Tod spart man Pulver und Blei.

Aehnlich verfahren die Czikos in der Pußta, bei denen der Lasso bei Wolfsjagden eine hervorragende Rolle spielt.

Ein eigenthümlicher Reiz liegt in einem solchen verwegenen Jagen. Den Bergbewohner mag die Steppe durch ihre Monotonie ermüden, für den Sohn der Ebene ist sie der Innbegriff der Freiheit. Wie den Seemann eine unbegreifliche Sehnsucht auf die unendlichen Wogen des Oceans hinauslockt, so fühlt sich auch der Kosake in seiner Stimmung gehoben, wenn er auf seinem muntern Pferde durch die Wogen der grünen Kräuter dahinjagt und über die unermeßlichen Flächen bis zum fernen Horizonte sein Auge ungehindert schweifen läßt. Von seinem hohen Sattel beherrscht er die weite Umgebung, nichts kann ihm entgehen, er ist der unbeschränkte Herrscher – der wahre König der Steppe.

Nur im Winter drohen ihm hier Gefahren. Wenn plötzlich der Schneesturm losbricht, den Tag zur Nacht verwandelt, die Stege und Pfade verweht, dann schreitet das müde Pferd mit weit vorgeschobenen Nüstern langsam vorwärts, und der Reiter horcht hinaus in das Heulen des Windes, um das Geläute der Glocken einer fernen Kirche zu vernehmen, das für den Verirrten im Aufruhr der Elemente allein den rettenden Wegweiser bildet. Dann mag er zusammenzucken, wenn aus der Ferne das Geheul der Wölfe an sein Ohr dringt, dann muß er manchmal vor der hungrigen Meute flüchten, auf Leben und Tod von den Wölfen gejagt. J.     


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