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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


thut, da will s’ kein Dank dafür – ich weiß ja, daß D’ ihn gern g’habt hast.“

„Ja, Finkenbauer, gern, von Herzen gern! Aber – aber ’raussagen muß ich’s – – mein’ Lieb’ hängt an ei’m andern auch, der jetzt im Sterben liegt – drin in der Münchnerstadt. Du weißt schon, wen ich mein’ – Du weißt es schon!“

„Nix weiß ich – nix – gar nix!“ flog es in zitternder Hast von den Lippen des Bauern.

„So mußt net reden, Finkenbauer,“ erwiderte Gidi mit fliegenden Worten, „Du mußt der Erste g’wesen sein im Ort, der ’s g’hört hat – g’hört von dem, der schuld is dran! Na – na – gar net sagen kann ich Dir’s, wie mir’s z’ Muth war, jetzt g’rad, wo d’ Schloßhauserin dag’wesen is mit dem Brief vom alten Eustach’. Mein armer, lieber, junger Graf – und – nachher – Du gütiger Herrgott – mein arme Frau Gräfin! Na – na! Sag’ mir nur ’grad, Finkenbauer, wie hat dem Ferdl so ’was zustehn können, daß er so ’was thut!“

„Gidi, Gidi,“ stöhnte Jörg, „der Ferdl is drüben, wo kein’ mehr fragen kannst und keiner Red’ mehr steht. Und über an Todten sollst net reden, wo net weißt –“

„Alle, alle sagen’s – drin im Grafenhaus – es kann kein Anderer g’wesen sein, als wie der Ferdl. Wie er ’rein is ins Haus, hat freilich keiner g’sehen – aber alle haben’s g’sehen, wie er ’naus is – kreidenblaß und ganz verzweifelt, wie wenn der leidige Satan her wär’ hinter ihm – – und droben nachher, droben haben s’ den jungen Grafen g’funden, unter der Thür, von Blut übergossen, mit ei’m Säbelhieb g’radaus über d’ Stirn und über’n Kopf. Der Ferdl hat ihn derschlagen, Finkenbauer – Dein Bruder – Dein Bruder!“

Todtenstille herrschte in dem Gemache. Aug’ in Auge standen sich die Beiden gegenüber. Die Faust auf die Tischplatte stützend, richtete Jörg sich hoch empor, und eine steinerne Starre lag über seinem Gesichte, während von seinen farblosen Lippen rauh und heiser die Worte brachen: „Und – und wann’s so wär’ – – weißt es denn auch, ob ihm net Recht g’schehen is Dei’m – Dei’m Grafen?“

„Recht?“ fuhr Gidi auf. „Was könnt’ mein junger Graf dem Ferdl an’than haben! Und – ich weiß schon – wenn ich mir auch sonst noch denk’, was man sich denken muß, wenn man alles anschaut, was g’schehen is – aber – was der Ferdl sich auch ein’bildt haben mag – mir, Finkenbauer, mir kannst es glauben – was keiner g’sehen hat, hab’ ich mit meine Jägeraugen g’merkt. Stund’ um Stund’ im letzten Sommer war ich mit mei’m Grafen, wenn’s ihn alleweil fort’trieben hat aus’m Schloß, und wenn’s ihn wieder ’runter’zogen hat, kaum daß er droben war mit mir auf unsere Berg’. Mir kannst es glauben – wenn einer is, dem der Hanni ihr traurigs Sterben ’neing’langt hat ins tiefste Herz, so war’s mein junger Graf. Und wie’s jetzt allweil zu’gangen sein mag mit der Hanni – – da schau her, Finkenbauer – da leg’ ich mein’ Hand auf’n Tisch, und weghacken laß’ ich mir s’, wurzweg vom Arm, wenn mein junger Graf ’was Uebls hat verüben können.“

Vorgereckten Halses stand der Bauer und starrte mit düster funkelnden Blicken in das vor Erregung glühende Gesicht des Jägers; seine Lippen bewegten sich, als wollte er sprechen. Nun aber schüttelte er den Kopf, und in sich versinkend, drückte er den Hut über das ergraute Haar. „Gidi – Gidi –“ stieß er in einem Tone hervor, der warnend klang und drohend zugleich, „Dein’ Hand mußt net verschwören – zieh’ Dein’ Hand z’ruck, denn es wär’ mir leid drum – – wann ich reden möcht’!“ Und ohne dem Jäger einen Gruß zu bieten, schritt er der Thür zu.

Aufseufzend trat er hinaus unter die rauschenden Bäume und eilte dem Thore zu. als wäre die Erde, die sein Fuß berührte, Feuer unter seinen Sohlen. – –

Als am Abend der Tisch der Bauernstube des Finkenhofes wieder geräumt und das Dankgebet gesprochen war, entzündete Veverl ein Kerzenlicht und verließ mit einem schüchternen „Gut’ Nacht!“ die Stube. Eine Weile machte sich die Bäuerin mit allerlei zu schaffen, dann trat sie vor den Bauer hin, der regungslos noch immer auf seinem Platze saß.

„Jörg – ich leg’ mich schlafen.“

Er nickte nur.

„Gelt, Jörg – gelt – bleibst auch nimmer z’ lang! Schau – mußt doch a bißl an Dich selber denken – und – und an Deine Kinder.“

Wieder nickte er wortlos vor sich hin. Schweigend blieb Mariann’ vor ihm stehen, dann strich sie ihm langsam die zitternde Hand über das ergraute Haar, und zwei Zähren rollten ihr über die Wangen. Hastig wandte sie sich ab, und die Schürze vor die Augen drückend, ging sie der dunklen Kammer zu. Lange saß sie im Finstern auf dem Rande ihres Bettes, ehe sie sich zu entkleiden begann. Als sie in den Kissen lag, vernahm sie aus der Stube nur das träge Ticken der Wanduhr und von Viertelstunde zu Viertelstunde ihren rasselnden Schlag.

„Jörg!“ rief sie einmal mit leisem Mahnen, ohne eine Antwort zu erhalten.

Sie hörte noch, wie die Uhr die elfte Stunde ausschlug, dann überkam die Erschlaffung des beginnenden Schlummers ihren Leib.

Plötzlich fuhr sie empor; sie wußte, daß sie geschlafen hatte, aber das Geräusch, von dem sie erweckt worden war, klang ihr noch in den Ohren nach; das war ein Klirren gewesen, als hätte draußen im Hofe Jemand an eines der Stubenfenster gepocht.

Jetzt wiederholte sich das Klirren, und im gleichen Augenblicke hörte Mariann’, wie der Bauer aufsprang vom Tische mit ersticktem Schrei, mit den stammelnden Worten: „Heiliger – Herrgott – alle guten Geister – loben – loben –“

Da erloschen seine Worte in einem gurgelnden Laute, aus dem nicht Angst und Schrecken klangen, sondern jäher Jubel und jauchzende Freude.

Mariann’ hörte seine Schritte dem Flur entgegen eilen, hörte, wie der Riegel der Hausthür zurückgestoßen wurde – dann herrschte lautlose Stille.

Mit zitternder Hast erhob sie sich und stürzte nothdürftig gekleidet in die Stube; die Thür stand vor ihr offen, sie eilte in den Flur und über die Schwelle, nun verharrte sie und rief den Namen ihres Mannes mit bebender Stimme hinaus in die Nacht, da hörte sie ein schwaches Geräusch und gewahrte unter den nahen Bäumen eine Gestalt; deutlich unterschied sie bei dem aus den Fenstern fallenden Lichtscheine das blasse Gesicht des Bauern, sie wollte sich ihm nähern – er aber winkte ihr mit erhobenen Armen hastig zu, daß sie bleiben, daß sie zurückgehen möchte – und jetzt verschwand er um die dunkle Ecke des Hauses.

An der Wand sich hintastend, kehrte Mariann’ in die Stube zurück und ließ sich vor dem Tische auf die Holzbank nieder, die zitternden Hände im Schoße faltend.

Sie harrte und harrte – eine Stunde verstrich – dann hörte sie draußen auf der Grät[1] das sachte Knirschen vorsichtiger Tritte. Das mußte der Bauer sein. Nun trat er in den Flur, schloß die Hausthür, schob den Riegel vor – das alles that er so leise, kaum vernehenlich – – und jetzt erschien er über der Stubenschwelle.

Seine Brust arbeitete, sein Athem flog, eine dunkle Röthe brannte auf seinen Wangen, welche naß waren von Thränen, seine Lippen zitterten wie zwischen Lachen und Weinen, und Weh und Freude sprachen zugleich aus den flackernden Blicken seiner weit geöffneten Augen.

Mariann’ sprang auf und schlug die Hände in einander. „Um Christi willen – Jörg – was hast – was is denn g’schehen?“

Da begann er mit den Armen zu fuchteln. wankte Schritt um Schritt dem Tische zu und schüttelte unter Schlucken und Würgen den Kopf, als wollte er durch Erschütterung die lallende Zunge lösen.

„Mariann’ –“ brach es ihm endlich in stammelnden, halb erstickten Lauten vom Munde, „es giebt noch an Gott, Mariann’ – es giebt noch an Herrgott – es – es giebt noch ein’ – es giebt noch ein’!“

„Jörg – Jörg – ja wie is mir denn – so sag’ mir g’rad –“ schluchzte das Weib und streckte die Hände, um des Bauern Arm zu fassen.

Er aber wehrte sie von sich – in helles Weinen ausbrechend, stürzte er vor dem Tische auf die Kniee, rang die Hände in einander, starrte mit glühenden Augen empor zum Krucifixe und hub zu beten an – laut und hastig – mit einer Stimme, welche bebte und zitterte vor trunkener Freude.

  1. Terrasse.
(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_760.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2022)