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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

diese Richtung nahmen. Manchmal, das heißt nur wenn Sperber nicht dabei war, sang sie ihn mit einer Innigkeit und Wonne an, daß der Gesangsprofessor überrascht aufhorchte und sich fragte, was denn über seine Schülerin gekommen wäre. Hatte wirklich die Liebe dem Geschöpf die Zunge gelöst, oder war es reine Begabung, die unbewußt so herzergreifende Töne fand?

Bianca hütete sich wohl, Sperbern, der nach dem letzten Wortwechsel mit dem gebietenden Vetter artiger und zuvorkommender denn je war, irgend etwas davon merken zu lassen, was sie selber noch nicht als die Liebe in ihrem Herzen anerkennen wollte. Aber es war doch so eigenthümliche Luft um Bianca herum, in der es sich wonniger und freier und hoffnungsfreudiger athmete als vordem.

Edgar von Sperber vermochte sich keine Rechenschaft darüber zu geben, allein er empfand es und war sehr glücklich darüber. Sein täglicher Wunsch auf dem Wege nach der Florianigasse war nur, daß jetzt nicht wieder zur Unzeit der perfide Pater Otto im Hause Latschenberger auftauchte und sich mit seinem salbungsvollen Humor ins Mittel legte!

Der Undankbare ahnte nicht, wie viel, ahnte nicht, daß er Alles, was ihn jetzt so glücklich machte, dem Verwünschten schuldig war!

Ach, es war jetzt so behaglich bei Bianca! Sie sang so schön wie nie ... so kam es wenigstens Sperbern vor. Und sie duldete, daß er sie ab und zu bei der Hand nahm und ihr in die Augen sah, die gar so wunderschön waren. Und sie unterbrach ihn nicht mehr wie sonst mit trillerndem Gelächter, wenn er ihr verliebtes Zeug vorplauderte.

In ihrer Stimme war ein Schmelz, in ihren Blicken eine Feuchtigkeit, über ihrem ganzen Wesen ein Hauch wonniger Schwärmerei, daß Edgar sich streng zusammennehmen mußte, um nicht vollends den Kopf zu verlieren und in einem unbewachten Augenblicke mehr zu sagen oder zu thun, als annoch hätte hingehen dürfen.

Ein ganz anderes Gesicht als die liebe Bianca machte jetzt freilich ihr Vater dem allzu oft vorsprechenden Besuch, wenn Edgar das Unglück hatte, früher in die Florianigasse zu gerathen, als der „Herr von Latschenberger“ sich auf den Weg nach der „Blauen Flasche“ oder nach der „Pfeife“ begeben hatte.

Genau in derselben Progression, in welcher Bianca sich liebenswürdiger und weiblicher bewies, neigte jetzt ihr Vater mehr und mehr zu schwarzgalligem Mißtrauen und bärbeißiger Grobheit.

Was er nur hatte? fragte Bianca. Die Schwestern zuckten höhnisch-ärgerlich mit Mundwinkeln und Schultern. Aber Gewisses wußten sie auch nicht und ahnten nur etwas, aber es war ihnen nicht klar was. Sollte sich Pater Otto hinter den Alten gesteckt haben? Aber das war nicht seine Art, auf Bianca zu wirken.

Nein, der Vater hatte den gelehrten Herrn Cousin ebenso wenig gesehen seit jener hitzigen Abendstunde, als die Tochter. Otto war gewiß all die Wochen nicht aus seinem Kloster in die Stadt gekommen und hatte wohl eben viel zu thun.

Nun wollte sie manchmal, daß er wieder vorspräche, so in der alten klugen überlegenen Weise. Sie hätte gern mit ihm geredet ... worüber denn? … war es denn schon spruchreif in ihr? … Das eben wußte sie nicht und hätte den Erfahrenen, der viel gesehen und gelernt hat, gern darum gefragt ... wenn er’s hören konnte. Und daß er wieder Alles, was sein Mühmchen betraf, mit Geduld und Klugheit hören konnte, das glaubte sie. Und mit Recht.

Inzwischen ereignete sich etwas, das „Herrn von Latschenberger“ in die höchste Aufregung und Entrüstung versetzte und auch seine Töchter nicht wenig bewegte.

Den üblichen Bemühungen eines Theateragenten war es gelungen, für das schöne Mädchen, dessen umfangreiche Stimme und immerhin belangreiche Ausbildung schon bei den öffentlichen Prüfungen, die ihr Gesangsprofessor veranstaltet, freundliches Aufsehen erregt hatten, ein Engagement auszufinden.

Die Aufnahme dieses Vorschlages war bei den Mitgliedern der Familie Latschenberger eine sehr verschiedene. Während Bianca vor Freude in die Höhe hüpfte und mit den Händen klatschte, platzte der Papa mit schallendem Schimpfen los, wie man einem Stern erster Größe (er sprach nie anders von seiner Tochter, wenn er gut von ihr sprach), ja wohl einem Stern erster Größe, der die Lucca und die Patti, wie die Krauß und die Nilsson in Schatten zu stellen Glanz genug hätte, ein solches Lumpenengagement da hinten in der Schubiakei anzubieten auch nur wagen dürfte!

Unter Schubiakei verstand er eine der ehrenwerthesten alten Provinzen des Königreichs Preußen, denn es handelte sich um ein Engagement beim Stadttheater in Königsherg.

Als das die beiden älteren Schwestern begriffen hatten, fingen sie schrecklich an zu weinen, denn Preußen galt ihnen als der Inbegriff alles Oeden, Langweiligen und Ungastlichen auf der Welt. Vor ihren thränenden Augen ging das arme Blankerl einer schauerlichen Zukunft auf diesem Weg entgegen.

Der Vater hieß sie schweigen und nicht so dumm sein und wetterte ferner gegen die schamlose Niedertracht, seinem Kinde, solch einem Stern erster Größe, eine Anstellung bei einem Stadttheater zuzumuthen. Gab es nicht kaiserliche, königliche und in Gottes Namen auch andere Hoftheater genug, daß sich etliche derselben um die Ehre rissen, Bianca zu gewinnen? An ein gemeines Stadttheater durfte sie ihre Kraft nie wegwerfen! N..i..e! Nie!

Die schluchzende Einwendung der unglücklichen Tochter, daß an den Stadttheatern zu Frankfurt, Hamburg, Leipzig die schönsten Opernkräfte wirkten, ward mit hallendem Hohn überschrieen. Für einen richtigen Bezirksdemokraten, wie Papa Latschenberger einer war, gab es ohne Hofgunst keine Kunst! Unmöglich!

„Und kurz und gut, ich als Vater habe auch noch ein Wort dreinzureden, was aus Dir wird und wohin Du gehst oder nicht gehst. Und ich sage Dir, aus diesem Engagement wird nichts! Ich leid’s nicht, daß Du in die Schubiakei, ich verbiet’s, daß Du nach diesem Nest gehst, wo nichts zu holen ist, als alle Wochen ein frischer Katarrh. Dixi! Punktum!“

Damit schloß er seine Rede, schlug die Thür hinter sich zu und verfügte sich, um seine Gesundheit nicht länger unter ungelöschtem Aerger leiden zu lassen, spornstreichs nach der „Blauen Flasche“.

Nun der gestrenge Herr Vater das Feld als Sieger geräumt hatte, brachen die beiden Schwestern ungestört in neues Weinen, Klagen und Schelten aus, rangen auch ein wenig die Hände dabei.

Allein Bianca hörte gar nicht auf sie hin. Sie saß stumm da, die Ellenbogen auf den Knieen, die Hände verflochten und ließ vom vornüber gebeugten Angesicht die Thränen auf den Fußboden fallen.

Sollte ihre Bühnenlaufbahn enden, noch ehe sie begonnen hatte? bildete sich der Vater ein, daß die Patti gleich in Her Majesty’s Theater angefangen hatte? war die Lucca nicht unter den Choristinnen entdeckt worden? Sollte sie hier in ihrem Stübchen in der Florianigasse die Ohren der großen Welt und den Wettlauf geldgieriger Impresarii auf sich lenken? Heilloser Unsinn!

Sie wollte nicht unter väterlichem Unverstand leiden! Aber wie war ihm zu begegnen? wie war einer Erklärung des Vaters zuvorzukommen, ehe dieselbe den wackeren Agenten kopfscheu machte? Es waren Zwanzig da, welche sich um das Engagement in Königsberg rissen, und Hunderte, welche sie darum beneideten. Griff sie nicht zu, so war die Stelle morgen besetzt. Sagte man dem Vermittler für seine guten Dienste Grobheiten, so wird er sich hüten, sich ein zweites Mal für so närrische, so undankbare Leute zu bemühen. Dann hatte Bianca das Nachsehen, und sie konnte lange warten, bis ihr wieder einmal gute Gelegenheit so nahe gebracht wurde.

Aber nur wer sich selbst aufgiebt, ist verloren. Sie war der Musikant, sie war die Künstlerin, sie, nicht der Papa! Sie mußte auch wissen, was sie thun oder lassen durfte. Und sie wollte nicht ihre Zukunft freventlich aufs Spiel setzen lassen und die Hände im Schoß dabei zusehen und eitle Thränen weinen.

Sie fuhr sich mit den Fäustchen über die nassen Augen, sprang auf die Füße und riß ihren Hut aus der Schachtel.

„Mädel, wohin willst Du?!“

Keine Antwort.

„Bianca, Du wirst doch nicht?!“

„Laßt mich zufrieden! Ich bin nicht verrückt, aber Ihr vielleicht!“

Damit war sie auf dem Wege zum Agenten, dessen sie sich auch für den Fall sichern wollte, wenn der Papa käme, einen Strich durch die Rechnung, will sagen durch den angebotenen, in

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