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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Dixi! Punktum! war das Siegel auf unerschütterlichen Entschlüssen, gegen welche jede Widerrede ausgeschlossen war. Gegengründe verfingen so wenig als Thränen und Bitten, wenn Papa Latschenberger gesprochen und seinen fatalen Punkt unter seine Meinung gesetzt hatte.

Seine Mädchen wußten das. Auch sein jüngstes. Allein so sehr es wünschte, mit dem Manne, den es herzlich liebte, in Freud und Leid vereinigt zu werden, so wenig traute es dem rauhhaarigen Vater die Art zu, so heikle Angelegenheit glückbringend in die Hand zu nehmen. Er war der Mann nicht, Baron Sperber zu einem Entschluß zu bewegen, den dieser vielleicht noch gar nicht ins Auge gefaßt hatte, und der ihm aus der Pistole geschossen auch schwerlich einleuchten würde.

Pater Otto, das war der Mann dazu! Aber hätte Bianca dem Papa bekannt, daß sie den Vetter schon mit der heiklen Aufgabe betraut habe, dem lieben Baron auf den Zahn zu fühlen, so würde sie bei Jenem Alles auf einmal verdorben haben. Denn Ehren-Latschenberger hielt was auf seine Würden als Vater und Bürgersmann. Ein Anderer hatte keineswegs da vorzugreifen. Er brauchte noch keinen Vormund, weder geistlichen noch weltlichen. Er war der Vater seiner Kinder. Und er wußte besser, als irgend Jemand, was sich schickte und wie man für die Seinigen einstand.

Der Erfolg war auch darnach. Bianca gab sich in den folgenden Tagen die größte Mühe, ihren Edgar, den sie auf dem Wege nach und von der Opernschule sprach, von Besuchen im Hause fern zu halten. Sie klagte ihm die liebe Noth, die sie jetzt mit den Launen des Vaters habe, dem irgend etwas im Geschäft wider den Strich gelaufen sein müsse, denn er sei zänkisch und ungerecht gegen alle Welt, und am ungerechtesten gegen sein jüngstes Kind.

Der Liebhaber hörte dem Mädchen wohl mit Rührung zu; aber gerade Bianca’s getrübtes Wesen regte seine Sorgen auf. Und eines schönen Sonnabends, wo er es vor Sehnsucht nach der behaglichen Stube voll Musik und Blumenduft und dem süßen Mädchen mitten darin gar nicht mehr aushalten konnte, sah er es auf einmal klar als seine Pflicht ein, dem alten Latschenberger den struppigen Kopf zurecht zu setzen und ihm das Unrecht ins Gewissen zu reden, seinem Kinde, solch einem Kinde das Dasein ohne Noth zu vergällen.

Die Gelegenheit hierzu war recht günstig.

Als er mit einem Riesenblumenstrauß in der einen, den kurzen Schnurrbart in der andern Hand, geschniegelt und gebügelt und schönster Erwartungen voll, vor der Thür der Latschenbergerischen Wohnung wartete, bis diese auf sein wiederholtes Klingeln hin geöffnet werde, hörte er drinnen die fette Stimme des Familienvaters, der da eine seiner Töchter anherrschte: „Im Zimmer bleibst! Ich werd’ schon selber aufmachen. Punktum!“

Und das besorgt’ er auch. Aber, nachdem die Thür geöffnet war, hieß er den freundlich Grüßenden durchaus nicht willkommen, sondern blieb vierschrötig, breitgegrätscht auf der Schwelle stehn und sagte, während er über dem Spizbauch die schwankenden Quasten seines Schlafrocks durch einander schlang: „Mein lieber Herr Baron, nix für ungut! Aber ich kann nicht umhin zu finden, daß Ihre Besuche für anständige Mädel zu häufig erscheinen. Ich bin der Vater. Ich habe für den guten Ruf meiner Töchter zu sorgen. Und damit nix für ungut, wie schon gesagt, und ich wünsch’ Ihnen anderstwo einen recht vergnügten Abend, Herr Baron, und bleiben S’ fein gesund!“

Die Pforte des Latschenberger’schen Paradieses war darauf so rasch vor Sperber’s kreidebleicher Nase geschlossen worden, daß er sich fragte, ob er den ganzen Auftritt nicht geträumt habe, und unwillkürlich die Hand noch einmal nach dem Klingelzug erhob.

Aber im nächsten Augenblick besann er sich auf die Wirklichkeit und, statt noch einmal Einlaß zu verlangen, nahm er den großen schönen Strauß in zornige Hand und warf ihn so heftig auf die so oft glückseligen Herzens überschrittene Schwelle, daß die Papierhülle nur so klatschte und die bunten Kelche, die jäh geknickten, sich kläglich an die harten Bretter schmiegten, als hauchten sie sterbend: warum öffnet ihr euch nicht diesem guten Mann?

Es war der lezte Strauß, den Fräulein Latschenberger von Edgar von Sperber erhielt. Und es braucht nicht gesagt zu werden, daß sie seine Blumen mit Küssen bedeckte, nachdem sie den Theueren erst die Treppe hinuntergehen gehört und ihm dann verstohlen nachgespäht hatte, bis er um die Ecke der Florianigasse ohne sich umzusehen verschwunden war.

Sie stürzte hinaus, raffte den Strauß, der fast so rauh mißhandelt worden war, wie ihr liebendes Herz, mit beiden Händchen vom Boden auf, und euch Blumen, die ihr just noch euer Geschick beklagen durftet, euch ward ein schönes Los kurz vor dem Tode!

Dem Vater Trotz! dem Gekränkten ewige Liebe! Scene und Arie, begleitender Chor und Brummbaß! … Angeblich schlaflose Nacht bei sämmtlichen Mitwirkenden.

Ob sich Edgar und Bianca den nächsten Tag auf dem Wege zur Opernschule gesprochen haben? … Wie Ihr nur so fragen mögt! Eine Unterredung von einer Länge, von einer Herzlichkeit, von einer Bangigkeit, wie noch keine dagewesen in den Annalen aller Sperber’schen Liebschaften. Alle möglichen Gründe, welche den Alten zu so grobem Vorgehen bewogen haben mochten, wurden erörtert. Verleumdungen, geschäftlicher Aerger, Mißtrauen etc. Aber, ob es Edgar ehrlich meine, das fragte Bianca nicht.

Das war Pater Otto’s Sache! Und überdies, des Mädchens Sinnen und Trachten stand heute nicht auf also bänglichen Erörterungen. Die Frage, ob sie Beide sich ohne Beschwer wiedersehen und weiterlieben könnten, lag ja weit näher und ging Jedem von Beiden so dringend ans Herz, daß andere Fragen dagegen gar nicht aufkamen.

Wenn Bianca jetzt Edgar betrachtete, meinte sie ihn früher nie recht ins Auge gefaßt zu haben, denn dann hätt’ es ihr schon früher einleuchten müssen, wie hübsch und wie vornehm er aussah, und wie ihm die Liebe zu ihr aus allen Blicken leuchtete. Wenn sie ihn jetzt betrachtete, fiel ihr immer ein, was jüngst ihr Gesangsprofessor gesagt hatte, daß ihr nun erst das Licht der Kunst im Herzen aufgegangen sei, daß sie erst vor Kurzem die Sprache des Herzens reden gelernt habe …

Sie dankte dem lieben Edgar also auch einen merklichen Fortschritt auf ihrer Künstlerlaufbahn! Das entschied über Alles. Und so meinte sie nachgerade vollen Ernstes, ohne diesen Edgar fernerhin nicht mehr leben zu können.

Diese vielleicht etwas voreilige Ueberzeugung wirkte nun weder beruhigend noch klärend auf die stürmische Gemüthsverfassung der leidenschaftlichen Sängerin. Im Gegentheil ward ihre Stimmung immer kriegerischer. Sie meinte sich erzwingen und ertrotzen zu sollen, was der Vater so voreilig und jähzornig verweigerte.

Sie konnte sich zwar vorhersagen, daß der Mann, welcher einmal sein Dixi! und Punktum! erlassen hatte, sich so bald keines Besseren belehren lassen werde, und auf diese Weise schon gar nicht; allein es war ihr ganz recht, ihn noch mehr ins Unrecht zu setzen, wenn er nicht nur den Mann, welchen sie liebte, von seines Hauses Schwelle grob verjagte, sondern auch ihrem Künstlerlauf sein Veto in den Weg legte. So war’s ja klar, daß er ihr Alles verleiden und verwehren wollte, was ihr das Leben überhaupt werth machte, die heilige Kunst und die süße Liebe, und daß sie sich selbst helfen mußte, rücksichtslos, entscheidend, rasch!

In dieser ungeduldigen Laune faßte sie getrosten Muthes die Sache beim verkehrten Ende an.

Sie wartete Pater Otto’s Vermittlung gar nicht ab, sondern riß jede Gelegenheit vom Zaune, dem Vater begreiflich zu machen, daß er nichts Eiligeres zu thun habe, wenn er es anders gut mit seiner Bianca meine, als Herrn Baron Sperber wieder höflich in sein Haus einzuladen und den Kontrakt mit Königsberg zu unterzeichnen.

Der Alte verlor alle Fassung ob solcher Frechheit, Unvernunft und Verstocktheit. Er tobte, wetterte, fluchte. Die Mädchen weinten und klagten laut. Auf der Tagesordnung des sonst von Musik und Wohlklang durchzogenen Hauses Latschenberger stand häßlich schallender Verdruß, Zank und Bekümmerniß die ganze Woche hindurch.

Bianca lief mit rothgeweinten Augen herum und ergab sich einer Verbitterung, die Schlimmes befürchten ließ.

Als nun am Samstag Pater Otto mit seinen menschenfreundlichen Vorsätzen angerückt kam, fand er es freilich unmöglich, bei dem über alle Maßen entrüsteten Spießbürger auch nur das Geringste auszurichten. Sämmtliche Latschenbergerischen Herzen flammten in Wuth, und der Rauch, der von diesen wüthenden Herzen aufstieg, umnebelte ihre Häupter so dicht, daß kein Licht der Vernunft und Milde mehr hindurchdrang.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_783.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)