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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Immerhin befremdete den freundlichen Priester der unsinnige Zorn des Alten weit weniger als das scheue, wortkarge, seitabblickende Wesen seines Mühmchens, das dann mit Eins ins helle Gegentheil, in ein lachendes, tändelndes, zuthunliches Plaudern umschlug, welches ihm die reine Komödie, welches ihm wie eine heitere Maske vorgenommen schien, um finstere Gedanken und Pläne vor seinem hellen Blick zu verbergen. Der kluge Mönch ließ sich davon nicht beirren, er faßte sein Mühmchen nur um so fester ins Auge und sagte es ihm bald auf den Kopf zu, daß es einen Entschluß gefaßt habe, und einen, welcher den Vater wenig erfreuen werde.

Bianca zuckte nur die Achseln dabei, aber sie antwortete weder ja noch nein.

„Kann ich Dir bei Deinem Vorhaben in nichts nütze sein?“ fragte Pater Otto.

„Bei was für einem Vorhaben?“ entgegnete Bianca, ohne daß ihre Harmlosigkeit überzeugend klang. Der Verdacht, daß am Ende doch der Vetter es gewesen sei, welcher den Vater gegen Edgar in solchen Harnisch gebracht habe, drängte sich ihr wieder auf und hieß sie vorsichtig sein und ihr Geheimniß Niemand preisgeben.

Pater Otto mochte wohl ahnen, was in ihrer unschuldigen Kinderseele sich für ein Wetter zusammenbraute; aber auch er hielt es nicht für nöthig seine Gedanken zu verrathen, er hob nur sachte drohend den Zeigefinger und sagte sanft: „Mädel, mach mir keine Dummheiten!“

„Mußt Du mich auch quälen?!“ rief Bianca. „Es thut mir leid, daß Du es diesmal bei uns so schlecht getroffen hast. Aber komm nur recht bald wieder!“

„Na, gar so bald wohl nicht!“ entgegnete lauernd der Priester. „Ich habe viel Arbeit in meiner Bücherei und werde schwerlich vor vierzehn Tagen wieder nach Wien herein kommen.“

Ein seltsam Feuer leuchtete bei dieser Versicherung in des Mühmchens Augen auf. Ei, die verrätherischen Augen! dachte Pater Otto still bei sich.

Bianca kehrte die Blicke derweilen ausweichend gegen Himmel und sagte so nebenhin – es klang nicht laut: „Wie schade! In vierzehn Tagen kann sich Allerhand ereignen!“

„Ja, ja!“ sagte der Vetter wie ein argloser Mann, der gar nichts merkt, und dann hieß er seine Muhme fein sanft und verträglich sein und nichts übers Knie brechen. Es werde schon Alles gut werden, mit Gottes Hilfe.

Ja wohl, wird es werden! sagte Bianca hinter ihm drein, da er fort war. Es wird! aber anders, als Ihr denkt!

Hierauf stürzte sie an ihr Schreibtischchen und stellte mit fliegender Feder an Edgar die Frage, ob er sie wirklich liebe.

Ein Dienstmann, den sie von der Straße heraufrief, brachte das Billet an den bezeichneten Ort. Und der Tag hatte sich kaum verfärbt, und Vater Latschenberger hatte kaum den Weg nach der „Blauen Flasche“ eingeschlagen, als auch schon Antwort in Bianca’s Händen war. Sie möchte getrost über Edgar verfügen und seine Liebe auf jede Probe stellen. Er habe keinen sehnlicheren Wunsch, als ihr nützlich zu sein.

Er wußte wohl nicht recht, was er versprach. Aber Bianca zweifelte keinen Augenblick daran, daß es ihm heiliger Ernst mit seiner Betheuerung sei, und daß sie mit ihm machen könne, was sie wolle.

Der andere Tag brachte etwas Klarheit in die Sache. Auf einem ihrer verstohlenen Spaziergänge, die sie, seitdem der Argwohn des Vaters in Verfolgungswuth ausartete, nur mit größter Vorsicht veranstalten durften, schüttete Bianca dem Geliebten ihr ganzes Herz aus. Sie wollte so bald wie möglich auf die Bühne, so bald wie möglich sich eine selbständige Stellung verschaffen und darum das Engagement in Königsberg um jeden Preis antreten. Der Vater wollte das um jeden Preis verhindern. Allein um ihr Probegastspiel zu absolviren, dazu brauchte sie die Erlaubniß des Vaters nicht. Hatte sie aber erst auf der Bühne gefallen, so konnte der gestrenge Herr seine Einwilligung nicht mehr versagen, zumal sie schon vorher eine Probe unabhängigen und unbeugsamen Willens gegeben haben werde, die ihn schon zur Einsicht und Nachgiebigkeit bewegen sollte. Aber eben dazu brauchte sie Edgar’s freundschaftliche Hilfe.

Dieser sah sie fragend an, wie Einer, der noch nicht begreift, was eigentlich von ihm verlangt wird.

Also mußte sie’s noch deutlicher sagen. Sie nahm ihn vertrauensvoll bei der Hand und raunte ihm zu: „Edgar, wir müssen fliehen, wenn wir glücklich werden wollen!“

„Fliehen?! Ausgezeichnet!“ rief Sperber. So etwas hatt’ er sich schon lange gewünscht; aber in seinen kühnsten Träumen hätte sein Muth sich nicht zu solch einer lauten Andeutung verstiegen.

Er küßte von Freude ganz hingerissen seiner himmlischen Bianca beide Hände. Recht erstaunt sah das Mädchen auf ihn herab. Was doch ihr Vorschlag für eine seltsame Wirkung auf den jungen Mann hervorbrachte! Es war doch eine recht schauerliche, gar nicht ungefährliche Sache, ein trauriger Nothbehelf, wo keine andere Hilfe mehr ersichtlich; aber daß er sich über diesen fatalen Vorschlag freute wie ein Kind, dem man den Weihnachtsbaum voller Herrlichkeiten und Süßigkeiten zeigt, das verstand sic nicht recht und fragte sich jählings, ob sie nicht groß Unrecht anstellte.

Allein Zeit und Umstände waren langem Besinnen und Erwägen so abhold, daß sie noch in derselbigen Stunde Alles verabredeten, was vorbereitet, was unterlassen werden mußte, wenn ihre Flucht aus Wien gelingen sollte.

Am dritten Tag darauf, ziemlich früh am Morgen, hatte sich Bianca von ihrem Vater verabschiedet, um, wie sie vorgab, zu einer Tante zu fahren, die in Gumpoldskirchen einen Weingarten hatte und sich ab und zu im Sommer eine ihrer Nichten zu längerem oder kürzerem Besuch ausbat.

An der Sache war nichts Auffallendes. Die Einladung der Tante war schon vorige Woche gekommen; ob man ihr folgen sollte, war gestern ausführlich verhandelt worden. Der alte Latschenberger erklärte, daß er froh sein wolle, wenn ihm das verweinte Gesicht seiner bockbeinigen Jüngsten für eine Woche aus den Augen geräumt werde.

Der Gefallen sollte ihm schon erwiesen werden, und zwar für länger, als er meinte! dachte Bianca dabei; aber sie hütete sich wohl, zu sagen was sie dachte.

Mit leichtem Gepäck, was sie zur Noth in der Hand fortzutragen vermochte, so wie man’s eben für eine Woche aufs Land mitnimmt, wenn man ein bescheidenes Bürgermädel ist, trat Bianca auf die Gasse.

Daß Eins von den Ihrigen sie auf die Bahn brächte, hatte sie trotz des Verdrusses, den sie bis zum Abschied rege gehalten, nicht hindern können. Aber die Schwester war’s zufrieden, daß sie, an der Südbahn angekommen, in demselben Komfortabel, der Beide herausgebracht hatte, wieder zurückfuhr, ohne die Schmollende bis auf den Perron zu geleiten und zu warten, bis der Zug abdampfte. Sie hatten sich Beide nichts mehr zu sagen als Lebewohl!

Bianca betrat aber den Perron gar nicht, wartete nur in der Vorhalle so lang, bis der Einspänner mit ihrer Schwester hinter der Linie verschwunden war, und schritt aus einem anderen Thor des Bahnhofs auf einen anderen wohlbekannten Wagen zu, dessen Kutscher, hinter dem rechten Ohr den Strohhalm einer Virginiacigarre, im Knopfloch eine großaufgeblühte rothe Rose, fast von der gleichen Farbe seiner Nasenspite, gar ehrerbietig das gnädige Fräulein begrüßte. Er glaubte, sie sei wohl eben mit der Bahn angekommen und sein Herr habe ihr, galant wie immer, seinen Fiaker zur Verfügung gestellt.

Der Schlag klappte zu. Die feurigen Rosse zogen an. Bianca’s Entschluß war That geworden.

Sie hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Vorhänge zu beiden Seiten des Wagens herabzuziehen.

Sie war allein in dem bläulich überschimmerten Gelaß, das mit rasender Eile über das glatte Pflaster dahinstob. Sie preßte die Hand aufs Herz und sah sich rund um. Ein kleiner Korb, eine große Decke, ein Reisenecessaire, das war Alles, was sie Außergewöhnliches bemerkte. Die drei Stücke nahmen wenig Raum ein. Es sollte jede auffällige Zurüstung vermieden werden. Edgar hatte solche auch für hinderlich oder gar schädlich erklärt. Was der Mensch auf Reisen braucht, kriegt man für Geld zu kaufen. Und Geld wollt’ er mitnehmen, daß er genugsam einkaufen konnte was Bianca’s Herz begehrte.

Sie verstand nichts vom Reisen. Sie hatte sich in jeden Vorschlag gefügt, den er gemacht. Sie wollte nur fort, um auf irgend einem Umweg zur rechten Zeit ihr Engagement zu erreichen. Dazu waren freilich noch ein paar Monate Zeit. Aber die würden schon herumgehen, angenehm oder nicht, in irgend einem schönen verborgenen Erdenwinkel in Italien, in Frankreich …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_784.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)