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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Tag um Tag verging. Ein böser Geist schien auf der Bründlalm sein Unwesen zu treiben. Gleich in der ersten Woche hatte sich zu Enzi’s Kummer eine der beiden Ziegen, die der Bauer nachgeschickt, verstiegen oder erstürzt, und trotz des eifrigen Suchens war nicht Haar noch Knochen von dem Thiere mehr zu finden. Dann waren in kurzer Zeit von Döri’s kleiner Herde zwei Lämmer verschwunden; sie mußten während der Nacht von den Mutterthieren weggestohlen worden sein. Das aber waren Dinge, wie sie auf jeder Alm geschehen können, und Dori hätte darüber schwerlich so viel von seiner guten Laune verloren, wenn ihm nicht ein anderer Umstand schwer zu Gemüth gegangen wäre. Lange vor der Auffahrt schon hatte Enzi dem Burschen versprochen, ihm für diesen Sommer das Geschäft des Abtragens zu überlassen. Als aber am ersten Samstage die mit Käslaiben und Butterballen beladene Kraxe bereit stand und Dori sich schon zum Abtragen anschickte, erschien der Finkenbauer plötzlich in der Bründlhütte; der sprach zu Enzi von Verfettung und Blutstockungen, die sich bei ihm seit einiger Zeit verspüren ließen; und da es hiergegen kein besseres Mittel gäbe, als andauernde, ermüdende Bewegung, hätte er sich entschlossen, in diesem Sommer den wöchentlichen Almgewinn auf den eigenen Schultern ins Thal zu fördern. Und in der Folge erschien er auch pünktlich an jedem Samstage in der Bründlhütte, um sich bei Beginn der Dämmerung mit der schwer beladenen Kraxe auf den Weg zu machen. Da war nun freilich mit einem Male die ganze stille Hoffnung zerstört, welche Dori beim Abschied von Veverl auf diese Samstage gesetzt hatte. Sein einziger Trost war jetzt der Jäger, der doch manchmal ins Dorf hinunter kam; so oft er im Bergwald oder hoch oben auf den steinigen Hängen mit ihm zusammentraf, wußte er mit Fragen nach Veverl’s Aussehen und Befinden zu keinem Ende zu kommen. Als ihn der Jäger einmal wegen dieser g’spaßigen Neugier mit scherzenden Worten aufzog, meinte Dori mit einem hilflos verlegenen Lächeln: „Weißt, ich hab’ mich halt soviel an das liebe Deandl g’wöhnt – ja – mir is jetzt g’rad z’ Muth, wie ei’m Hundl, wo sein’ Herrn verloren hat.“

Geschickt verstand es Gidi, bei solchen Zusammenkünften die Rede auf Emmerenz zu bringen, und immer erhielt er dabei von Dori den gleichen Bescheid, wenn auch stets in anderen Worten.

„Ich weiß net, was mit der Sennerin is! Ich kenn’ s’ gar nimmer – und schier zum verwundern is, wie sich die verwandelt hat,“ erzählte Dori eines Tages. „Ganz z’sammgehn thut s’ – a ganz an anders G’sicht hat s’ kriegt. Ich sag Dir’s, Jaager, wirst es sehen, bei der kocht sich a Krankheit aus, a schwere Krankheit!“ Wenn Gidi solche Worte hörte, kam ein merkwürdiges Zwinkern über seine Lider, und ein leises Schmunzeln spielte um seine Lippen, obwohl er doch sonst immer mit einem Gesicht umherging, welches das Lachen verlernt zu haben schien. Schwere Sorgen mußten ihn drücken. Tag und Nacht war er auf den Füßen, denn Dori begegnete ihm zu den verschiedensten Stunden, und häufig an Plätzen, wo er den Jäger mit keinem Gedanken vermuthet hätte; oft tauchte er plötzlich vor dem Burschen aus einem Latschenbusche oder hinter einem Felsblock auf. Und wenn dann die Beiden Seite an Seite saßen, verriethen Gidi’s Mienen und Bewegungen ein unablässiges Spähen und Lauschen. Zu dutzendmalen hörte Dori von ihm die Frage: „Hast Niemand net g’sehn? hast Niemand net ’troffen?“ Immer war ein Kopfschütteln die einzige Antwort, die der Bursche zu geben wußte – und da hörte er einmal den Jäger mit erregten Worten sagen: „Ich kenn’ mich nimmer aus – ich weiß nimmer, was das is! Allbot find’ ich Trittspuren, bald da, bald dort, und nie net sieh ich an Menschen, und nie net hör’ ich ein’! Oft, wenn ich in der Früh an Platzln komm’, wo ich am Abend noch g’wesen bin, is in der Nacht wer drüber ’gangen. Und wenn ich die Fährten nachsuch’ – keine führt ins Thal! Und diemal hören s’ auf, wie wann der Kerl fortg’stiegen wär’ in die Bäum’ oder verschwunden in der Luft.“

Mit offenem Munde hörte Dori diese Worte, an, meinte dann, das wären „g’spaßige Sachen“ und sprach mit zögerndem Flüstern von mancherlei Spuk und Geistertreiben. „Gieb acht, Gidi, gieb acht,“ zischelte er dem Jäger ins Ohr, „da is ’was net richtig – daheroben is ja g’rad der Platz zu so ’was – weißt ja, was g’schehen is da in der Näh’, wo alleweil noch kein Marterl steht.“ Dabei winkte er mit der Hand hinüber nach dem Höllbachgraben.

„Ah was, Dummheiten!“ fuhr Gidi ärgerlich auf.

Und von diesem Tage an unterließ er es, zu Dori von den Sorgen zu sprechen, die jene räthselhaften Trittspuren ihm bereiteten.


Die Tage begannen schon wieder kürzer, die Nächte kühler zu werden. Der Bergwald dehnte sich in dunklem Grün, die Almenrosen hatten ausgeblüht, doch auf den windumwehten Schroffen und Gehängen spannte jetzt die lieblichste aller Hochlandsblumen ihre schneeigen Sterne in stiller, keuscher Schönheit über das ärmlich kümmernde Höhengras.

Wenn der Sommer scheiden will mit seinen Rosen und Schwalben, wenn der nahende Herbst den Bergen die ersten kalten Stürme einherschickt über Gletscher und ewigen Schnee, während man drunten im geschützten Thale den Nahenden noch kaum verspürt – das ist die Zeit der Edelweißblüthe.

Da war es in der zweiten Augustwoche, als Dori eines grauenden Morgens aus der niederen, dachförmigen Reisighütte kroch, welche er sich hoch oben im Gestein errichtet hatte, um der auf den Lahnern weidenden Schafherde auch zur Nachtzeit nahe sein zu können. Von der Kälte, die er während des Schlafes gelitten, waren ihm die Glieder so steif geworden, daß es ihn Mühe kostete, durch das wirre Latschengezweig nach der Stelle zu gelangen, von welcher er die Glocke des Widders und die Schellen der Mutterthiere hörte. Mit hellem Zungenschlag und blökendem Rufe lockte er die Thiere. Am hurtigsten folgten die Lämmer seinem Locken, und er überzählte sie, während sie ihm unter lustigen Sprüngen näher kamen. Sieben zählte er – das achte fehlte. „Jesses na! Es wird doch net schon wieder –“ stammelte er erschrocken und machte sich auf die Suche.

Der Mittag kam, und Dori hatte das Lamm nicht gefunden – dafür aber in der Nähe des Weideplatzes auf feuchtem Sande die frische Fährte eines genagelten Männerschuhes.

Nun eilte er zur Sennhütte hinunter, um der Emmerenz zu berichten, was vorgefallen. Obwohl die Beiden nichts Anderes dachten, als daß das Lamm gestohlen worden wäre – vielleicht von Einem, der längst wieder über der nahen Grenze drüben in sicherem Verstecke saß – verbrachten sie doch den ganzen Nachmittag mit Suchen und Suchen. Sie hatten sich getrennt, und Dori suchte gegen den Höllbachgraben zu, dabei gerieth er in die Nähe der Jagdhütte und sah, wie Gidi gerade das Häuschen verließ. Er rief den Jäger an und eilte auf ihn zu.

„Was sagst – jetzt geht mir schon wieder a Lampl ab.“

„Seit wann?“ fuhr Gidi auf.

„Seit heut’ in der Nacht.“

Gidi that einen leisen, gedehnten Pfiff. „Jetzt da schau – jetzt is das a Schafdieb g’wesen! Und ich hab’ mir schon ’denkt – Weißt, heut in der Nacht bin ich droben g’sessen unter der Höllenleithen, weil ich g’meint hab’, ich müßt’ doch amal draufkommen, was denn das allweil für a Treiben is im Berg umander. No – und wie ich so sitz’ – um a zwei ’rum in der Früh kann’s g’wesen sein – da hör’ ich auf amal Steiner gehn, auf a vier-, fünfhundert Schritt’ von mir. Z’erst hab’ ich g’meint, es is a Gams lebendig – wie ich aber auf amal an Bergstock g’hört hab’, nachher hab’ ich mir ’denkt: holla! Mondlichten is freilich gewesen, aber wenn’s amal über hundert Schritt ’naus geht, da derkennst ja nix inehr – und der Kukuk hat mir eingeben müssen, daß ich mein’ Hund daheim hab’ lassen in der Hütten! A Zeitlang hab’ ich Dir g’lust – und wie ich g’hört hab’, daß ’s gegen den Höllbachsteig ’nunter geht, da bin ich Dir aber auf, oben ’rüber über’n Höllbach, bergab bis auf’n Steig und wieder in d’Höh’ bis zur selbigen Lichten im Altholz – Du kennst es ja! da, hab’ ich mir ’denkt, muß er mir g’rad in d’ Hand’ laufen. Und richtig – keine fünf Minuten bin ich Dir noch g’sessen, da hab’ ich ihn schon daher rasseln hören. Und jetzt steht er da vor mir auf a fufz’g a sechz’g Schritt. An Mordsbart hat er g’habt und lange Haar’ wie a städtischer Maler – und auf’m Buckel droben hat er was ’tragen – ja g’schworen hätt’ sich, es is a Gamsjahrling g’wesen. ,Halt Lump!‘ fahr’ ich auf und bin mit der Büchsen auch schon im G’sicht. Aber natürlich – so auf’s G’rath’wohl schießen kannst dengerst auch net – und ich b’sinn’ mich noch kaum, is er mit ei’m Satz schon drunten g’wesen über’m Steig’. Ich aber hint’nach unter die Bäum’, bergab, bergauf, übers G’steinet und durch

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