Seite:Die Gartenlaube (1885) 797.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


erhielt, nach Italien und der Reichshauptstadt zurückzukehren, und noch dazu nur unter der ausdrücklichen Bedingung, auf alle und jede Betheiligung an den Staatsgeschäften zu verzichten und ganz und gar als Privatmann sich zu halten und zu führen.

So kehrte denn Tiberius, in sein fünfundvierzigstes Lebensjahr eingetreten, nach Rom zurück, wo die Leute ihn schon so ziemlich vergessen hatten. Nachdem er, wie der Brauch es forderte, seinen jetzt vierzehnjährigen Sohn Drusus auf dem Forum dem Volke als Volljährigen vorgestellt hatte, überließ er dem Jüngling das früher von ihm, dem Vater, bewohnte Haus des Pompejus in den Carinen und zog sich in eine in den Gärten des Mäcenas auf dem Esquilin gelegene oder, so zu sagen, verborgene Villa zurück, fest entschlossen, die ihm auferlegte Rückkehrsbedingung streng zu erfüllen. Darin beharrte er, wie es denn überhaupt als denkwürdig zu betonen ist, daß dieser Mann, welcher später den Despotismus zu einem Grauen erregenden Kunstwerke gestaltete, zu dieser Zeit keineswegs nach Macht und Herrschaft begierig schien. Ganz anders allerdings dachte hierin seine Mutter Livia, die fraglos in ihrer innersten Seelenfalte den Wunsch barg, ihren Sohn dereinst als Herrn der Welt zu sehen.

Dazu war freilich zunächst wenig oder gar keine Aussicht. Allein binnen kurzem gestalteten sich die Verhältnisse im augustischen Hause so, daß der geheime Gedanke der Augusta als kein so hoffnungsloser mehr erschien.

(Schluß folgt.)


Vor fünfzig Jahren.

Zur Erinnerung an die Gründung der ersten deutschen Eisenbahn.
Von Hugo Marggraf.

Die feierliche Eröffnung der Ludwigs-Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth am 7. December 1835.
Nach einem gleichnamigen Stiche von Wießner.

Es gehörte gewiß ein größerer Scharfsinn dazu, mittelst Dampf- und Spinnmaschinen aus einem Pfund Baumwolle einen 882 000 Fuß langen Faden zu produciren, als der Dampfkraft ein Niveau mitten durch Europa zu bahnen“ – so schrieb einst der in engster Beziehung zu dem Werden des deutschen Eisenbahnwesens stehende Nürnberger Bürger Johannes Scharrer. Viel Wahrheit liegt in diesen wenigen Worten! Die Geschichte der Dampfmaschine kennt drei scharf geschiedene Perioden, als deren Mittelpunkte Savary und Newcomen, welche (um d. J. 1705) die Dampfmaschine mit senkrechter, hebender Bewegung erfanden, James Watt, welcher (um 1782) derselben die drehende Bewegung ertheilte, und Robert Fulton, welcher (1807) deren fortschaffende Bewegung auf Schiffe übertrug, gelten können. Aber merkwürdig: die heute untrennbaren Gedanken der eisernen Spurbahn, der Dampfmaschine und der Lokomotive schritten Menschenalter hindurch unfruchtbar neben einander her, ohne sich zu vereinigen. Erst im Jahre 1829, als der Schienenweg zwischen Liverpool und Manchester der Vollendung nahte, war es einem der verdienstvollsten Männer unseres Jahrhunderts, dem erfolgreichsten Pionier des geflügelten Rades: Georg Stephenson beschieden, durch die Erfindung der Lokomotive in praktisch brauchbarer Gestalt, d. h. als Schnellläufer, die Dampfkraft dem Verkehr zu Lande dienstbar zu machen und dadurch den Grund zu einer völligen Umwälzung aller Lebens- und Staatsverhältnisse, zu einem ungeahnten Umschwung des Handels, der Industrie und des Verkehrs zu ebnen.

Gegen Ende des Jahres 1830 bestanden in England, Nordamerika, Frankreich und Oesterreich 445 Kilometer Eisenbahnen, von welchen 328 Kilometer mit Pferden, 107 mit Dampfwagen, die übrigen mittelst Seilebenen betrieben wurden. Am 5. Mai 1835 erschloß Belgien der Lokomotive die Einzugspforte, nunmehr ist auch für Deutschland der Tag gekommen, das fünfzigjährige Jubiläum seiner ersten Eisenbahn mit Dampfkraft als ein wichtiges Erinnerungsfest, ja als ein Nationalfest, zu begehen. Mit der am 7. December 1835 erfolgten Weihe der freilich nur kleinen, kaum eine Meile langen, wohl aber ganz den örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprungenen Schienenverbindung der beiden blühenden Schwesterstädte Nürnberg und Fürth begann für Bayern und für das gesammte deutsche Vaterland eine neue Aera friedlicher Kulturentwickelung. Wie die Tragweite jeder belangreichen Neuerung, so kann auch das Verdienst des ersten Eisenbahnunternehmens nur voll gewürdigt werden bei Betrachtung ihrer Vorgeschichte, welche hier in schlichten Worten gekennzeichnet werden soll.

Die ersten Vorschläge zu einer Eisenstraße zwischen Nürnberg und Fürth greifen ziemlich weit zurück und stehen in Zusammenhang mit der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_797.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)