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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Halse reichenden Hemde, das liebliche, von den offenen Haaren umflossene Gesicht sanft eingedrückt in das schneeige Lammfell, und übergossen vom falben, zitternden Scheine der flackernden Fackel.

Seufzend wandte er sich endlich ab; Veverl konnte ihm mit den Augen nicht folgen, denn sie wagte nicht sich zu rühren; sie hörte nur, daß er im Ofen ein Feuer entzündete, ab und zu ging und mit allerlei Geschirr hantirte. Wirre Gedanken schossen ihr durch das Köpfchen, aber sie vermochte keinen mehr zu Ende zu denken, es lag über ihr wie eine Betäubung, wie ein seelischer Rausch. Eine prickelnde Wärme durchrann ihren ganzen Leib. Sie fühlte sich so leicht – und es war doch die beginnende Erschlaffung nach all der Aufregung und Uebermüdung, was sie empfand. Sie spürte ihre Glieder nicht mehr, kaum noch den leise schmerzenden Fuß. Die Lider wurden ihr schwer, seufzend schloß sie die Augen und lauschte gedankenlos der seltsamen Musik, zu der das Knistern der Fackel, das Prasseln des Feuers und jenes unablässige Murmeln und Rauschen in ihren Ohren sich verwob. Leiser und leiser klang ihr diese Musik, sie schien sich zu entfernen, endlich verstummte sie und Veverl hörte nichts mehr.

Da ließ sich durch die Felswand des Höhlenraumes ein Geräusch vernehmen, das dem Rollen und dem Aufschlag eines fallenden Steines glich. Jener am Ofen hob lauschend den Kopf. Noch dreimal hörte er in gleichen Zwischenräumen dieses Geräusch sich wiederholen, und nun verschwand er mit eilenden Schritten in dem dunklen Trichter des Felsenganges.

Stille Minuten verstrichen. Im Ofen verstummte das Prasseln und das Fauchen der ziehenden Flamme, und als das Feuer erloschen war, da war auch die Fackel niedergebrannt bis auf einen müde flackernden Stumpf.

Sanft und ruhig gingen die Athemzüge der Schlummernden. Manchmal rührte sie leicht die Lippen, als spräche sie im Traume. Nun plötzlich schrak sie leise zusammen und schlug mit einem tiefen, stockenden Seufzer die Augen auf. Das Erwachen erst verrieth ihr, daß sie geschlafen hätte. War sie denn aber auch wirklich erwacht? Oder schlief sie noch und träumte nur, daß sie erwacht wäre? Ja, gewiß, so mußte es sein, denn wenn sie wirklich und wahrhaftig wach gewesen wäre, hätte sie doch nie und nimmer hören können, was sie hörte: diese halblaute Stimme, die aus den Felsen zu quellen schien und auf ein Haar der Stimme des Jörgenvetters glich! Der Jörgenvetter, der war ja meilenweit vom Orte - auf Geschäften in einem fernen Dorfe. Und wie käme der auch zum Edelweißkönig! Da müßte er doch die Königsblume gebrochen haben, die sie selbst gebrochen hatte, die also kein Anderer mehr brechen konnte. Fast hätte sie lachen mögen über ihren unsinnigen Traum – dann wieder kam es ihr so wunderlich vor, daß sie sich im Traume sagen konnte, daß sie träumte. Und was sie in diesem Traume die Stimme des Jörgenvetters reden hörte, das war „schon gar zu g’spaßig“. Sie hörte ihn vom Edelweißkönig erzählen, Alles, was sie selbst von ihm gewußt, Alles, was sie selbst den beiden Kindern einst von dem guten Alfen erzählt hatte – und das Alles erzählte der Jörgenvetter eben Dem, von dem er erzählte, dem Edelweißkönig. Denn auch die Stimme des Alfen hörte und erkannte sie in ihrem Traume. Und wie sich der verwunderte über Alles, was er von sich zu hören bekam! „Ja, was D’ sagst! Ja, jetzt versteh’ ich’s – jetzt versteh’ ich Alles! Na so ’was! Aber da paß auf – da will ich noch mein’ Freud’ dran haben! Hab ja so gar wenig g’nug!“ so hörte Veverl in ihrem Traume den Edelweißkönig sagen, als dem Jörgenvetter die Weisheit auszugehen schien. Nein, wie man nur so unsinnig träumen kann! Dann meinte sie leise Schritte zu vernehmen, die näher kamen und vor ihrem Lager still hielten – und nun träumte sie gar, der Jörgenvetter flüsterte dem Edelweißkönig zu: „Schau s’ nur g’rad an! Wie lieb als s’ daliegt! Han, g’fallt s’ Dir net auch?“ Und weiter war es ihr, als schwiege der Edelweißkönig eine Weile, als hörte sie ihn dann mit einem tiefen, zitternden Seufzer sagen: „O mein Gott, Jörg – wie müßt’ das schön sein: leben können, und leben in Glück und Licht, mit ei’m, das ei’m ang’hört mit Leib und Seel’, das sich mit ei’m freut in guter Zeit und ei’m in harbe Stunden d’ Haar wegstreicht aus der sorgenden Stirn. Aber – Du lieber Himmel – wie dürft’ denn ich mir so ’was noch verhoffen!“

Nein – wie einem nur im Traum der Ton einer Stimme so ans Herz greifen und einem so weh thun kann, schier gar zum Weinen weh! Und so natürlich meinte Veverl dieses Weh zu träumen, daß sie völlig zu spüren glaubte, als schlichen ihr zwei heiße Thränen durch die geschlossenen Lider auf die Wangen. Immer und immer nur in ihrem Traume dachte sie an diesen herzergreifenden Ton und achtete kaum darauf, daß sie auch noch träumte, als vertröste der Jörgenvetter den Edelweißkönig auf eine kommende Zeit, als nähme er mit herzlichen Worten von ihm Abschied und verspräche ihm ein Wiedersehen in einer der nächsten Nächte. Dann plötzlich sah sie die Beiden vor sich, so deutlich wie mit offenen, wachen Augen, sah den Jörgenvetter dem dunklen Trichter des Felsenganges zuschreiten und darin verschwinden, den Alfen aber regungslos vor ihrem Lager verharren und vor sich niederstarren mit gesenkten Augen. Und während sie seinen schweren Athemzügen lauschte, war es ihr, als würde es ihr selbst ganz schwer auf der Brust. Dann wieder sah sie in ihrem Traume, wie der Alf mit einem tiefen Seufzer die Hände zur Stirn hob, wie er sich niederkauerte auf den felsigen Grund, die Arme über den Bettrand legte und in ihnen das kummervolle Gesicht verbarg. So sah sie ihn lange, lange liegen und blickte mit regungslosen Augen nieder auf sein braungelocktes, im Fackelscheine goldig glänzendes Haupt. Endlich hob er wieder den Kopf und legte ihn seufzend in die aufgerichtete Hand. Und da schaute ihm Veverl unablässig in das blasse Gesicht – und es war ihr so leid, daß er die Lider geschlossen hielt, daß sie seine Augen nicht sehen konnte. Je länger sie dieses Gesicht, das von quälenden Sorgen und nagendem Kummer zu erzählen schien, betrachtete, desto weher und mitleidiger ward ihr ums Herz. Sie konnte die Augen kaum abwenden von den tiefen, finsteren Furchen auf dieser sorgenvollen Stirn, welche die Schatten der überhängenden Haare noch mehr verdüsterten. O du lieber Himmel! Es ist doch ein recht armseliges Leben, so ein Geisterleben, „g’wiß net zum neiden“! Immer so allein und verlassen!

Veverl wußte nicht, wie es geschah – sie hob nur mit einem Male die Hand, und sanft und sachte strich sie dem „so viel traurigen“ Alfen die dunklen Haare von der furchigen Stirn. Da sah sie ihn auffahren, sah, wie er mit beiden Händen ihre Hand erfaßte und das Gesicht darauf niederdrückte, und fühlte, wie ihr seine heißen Thränen durch die Finger rannen. Und so lag sie nun und rührte sich nicht. Mit feuchten Augen schaute sie über das Haupt des Alfen hinweg auf die langsam erlöschende Fackel, von deren glühendem Stumpfe ab und zu ein glimmendes Kohlenstückchen gleich einem langsam fallenden Sternlein niedersank auf den Felsenboden. Und dabei war es ihr ein so wohliges Empfinden, ihre Hand so fest und eng umschlossen zu fühlen.

Langsam ließ sie die Lider sinken und athmete mit offen lächelnden Lippen, so tief, als tränke sie nach rauher Winterszeit die laue Luft des ersten Frühlingstages. Dann wieder war ihr zu Muthe, als wäre sie endlose Stunden mühsam und frierend durch Nässe und Schnee gewandert und säße nun in einem bequemen Eckchen zur Seite des Herdes, darauf ein lustiges Feuer flackerte - und das war der Herd in ihrem lieben Waldhause, das war die kleine, saubere Küche, durch deren Fensterlein die Nacht mit ihren Sternen lugte und der stille, weiß beschneite Wald. Am Herd stand ihr Vaterl und schürte die Flamme. Und seltsam – wie jung ihr Vater geworden war! Und wie er aufs Haar dem Edelweißkönig glich! Da plötzlich klingen helle Schellen, man hört den Dori jauchzen und knallen, der Jörgenvetter erscheint unter der Thür, ihm folgt die Mariann’ mit den Kindern – und da mit einem Male sieht sich die Waldhausküche an wie die trauliche Wohnstube im Finkenhofe, die Kinder spielen hinter dem Ofen, die Mariann’ trägt auf, daß der Tisch sich biegen will, an dem sich Veverl mit dem Edelweißkönig sitzen sieht, gegenüber dem Jörgenvetter, der den Mund nicht zubringen will vor Lachen und Schmunzeln. –

Das war nun ganz gewiß ein wirklicher und wahrhaftiger Traum, denn der Jörgenvetter saß gar nicht zuhause in seiner Stube – der schlich im Frühlicht des ergrauenden Tages von der „hohen Platte“ her durch die dichten Latschenfelder dem Bründlalmsteige zu. Als er den Pfad erreichte, blieb er eine Weile stehen, wie wenn er sich besänne, welchen Weg er einschlagen sollte, dann nickte er vor sich hin und folgte dem Steige in der Richtung, die nach den Almen führte.

Am andern Tage aber wußten nicht allein Dori und Emmerenz, sondern auch alle Dienstboten des Finkenhofes ganz genau, wohin das Veverl gegangen wäre – nach Mariaklausen auf die Wallfahrt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_808.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)