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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

ganze Gesellschaft, Pferde und alles, bei einer einzigen Mahlzeit hätten verschlingen können. Derjenige Theil von Ohio, in welchem ich geboren bin, war zwar nicht dicht bevölkert, allein die Wölfe waren schon lange vor meiner Abreise vollständig vertrieben worden. Benjamin stammte aus dem noch dünner bevölkerten Indiana, wo der Wolf noch über die Prairien schweift. Er kannte die Natur dieser Thiere und ihre Fähigkeit, in geringer Zahl den Menschen glauben zu machen, daß ihrer sehr viele sind. Er ritt unentwegt in der Richtung, aus welcher das Geheul kam, weiter, und ich folgte ihm auf dem Fuße nach, da es mir an moralischem Muthe fehlte, umzukehren und mich zu unserm kranken Gefährten zurückzubegeben. Wenn Benjamin vorgeschlagen hätte, wieder nach Goliad zurückzukehren, würde ich ohne Zweifel nicht nur ‚den Antrag unterstützt‘, sondern auch meine Meinung dahin ausgesprochen haben, daß es eigentlich sehr hartherzig von uns sei, Augur schon an dem ersten Orte im Stich zu lassen, allein Benjamin schlug die Umkehr nicht vor. Und als er sprach, geschah es nur, um die Frage an mich zu richten: ‚Grant, wie viel Wölfe, glauben Sie, sind in jener Bande?‘ Da mir bekannt war, in welcher Gegend er zu Hause war, und er wahrscheinlich meinte, daß ich die Zahl überschätzen würde, so beschloß ich, ihm meine Bekanntschaft mit dem Thiere dadurch zu beweisen, daß ich die Zahl, weit geringer als möglicher Weise richtig war, angab, und antwortete in gleichgültigem Tone: ‚O, etwa zwanzig!‘ Er lächelte und ritt weiter; eine Minute später waren wir ihnen ganz nahe, noch ehe sie uns erblickt hatten. Es waren ihrer gerade zwei, die, auf den Hinterbeinen sitzend und die Mäuler dicht zusammen steckend, all das fürchterliche Geheul ausgestoßen hatten, das wir während der letzten zehn Minuten gehört hatten. Ich habe später oft an diesen Vorfall gedacht, wenn ich den Lärm einiger enttäuschter Politiker gehört habe, welche ihre Genossen verlassen hatten. Ihre Zahl wird immer für größer gehalten, als sie in Wirklichkeit ist, wenn man sie zählt.“

Gelegentlich eines Duells, das in der Nähe des Lagers zwischen „ein paar Herren“ stattgefunden, giebt der amerikanische General folgende Erklärung ab: „Ich glaube nicht, daß ich je den Muth haben würde, ein Duell zu bestehen. Sollte mir Jemand ein solches Unrecht zufügen, daß ich gewillt wäre, ihn zu tödten, dann würde ich doch nicht geneigt sein, ihm die Wahl der Waffen, womit dies geschehen soll, der Zeit, des Ortes und der Entfernung, aus der ich ihn ums Leben bringen will, zu überlassen. Sollte ich dagegen Jemand so schwer beleidigen, daß er berechtigt wäre, mich zu tödten, dann würde ich, falls ich von meinem Unrecht überzeugt wäre, jede vernünftige und in meiner Macht stehende Buße thun. Ich bekämpfe das Duell aus edlern Gründen, als den hier angegebenen. Ohne Zweifel würde ein großer Theil der ausgefochtenen Duelle nicht zum Austrage gebracht worden sein, wenn es den Betheiligten nicht an moralischem Muthe gefehlt hätte, den Zweikampf abzulehnen.“

Wie nicht anders zu erwarten war, bietet der erste Band der Memoiren, der die militärische Laufbahn Grant’s umfaßt, vorzugsweise überraschende Einblicke in das Armeewesen der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ernste und heitere Bemerkungen und Auseinandersetzungen wechseln in großer Fülle ab. Zu den trefflichsten Charakteristiken gehören ohne Zweifel diejenigen der Generale Scott und Taylor, der Vorgesetzten Grant’s im mexikanischen Feldzuge. In Betreff des letzteren finden wir folgende humoristische Episode:

„General Taylor hat nie großen Pomp oder Prunk entwickelt, sowohl was Uniform, als auch was Gefolge betrifft. Bezüglich der Kleidung war er vielleicht gar zu einfach, indem er im Felde selten etwas trug, was seinen Rang zeigte oder ihn auch nur als Officier erkennen ließ, und dennoch war er von jedem Soldaten seiner Armee gekannt und von allen geachtet. Ich erinnere mich nur eines Falles, bei welchem ich ihn in Uniform gesehen habe, und von einem zweiten habe ich erzählen hören. Bei beiden Gelegenheiten war er unglücklich. Der erste Fall ereignete sich in Corpus-Christi, wo er vor dem Aufbruch der Armee eine Parade über dieselbe abzunehmen beschlossen und die diesbezüglichen Befehle ertheilt hatte. Oberst Twiggs war damals bei der Armee der Zweithöchste im Range, ihm wurde daher der Oberbefehl bei der Parade übertragen. Ihm am nächsten im Range stand Oberst und Titular-Brigadegeneral Worth, der bezüglich des Tragens der Uniform ganz andere Ansichten hatte als General Taylor und der kraft seines Titularranges die Superiorität über Oberst Twiggs beanspruchte, wo der Dienst es mit sich brachte, daß der Eine oder der Andere den Befehl führte. Worth weigerte sich, als Untergebener von Twiggs bei der Parade zu erscheinen, bis die Frage an höchster Stelle entschieden worden sei. In Folge dessen fand die Parade nicht statt, und die Angelegenheit wurde nach Washington zur endgültigen Erledigung berichtet. – –

Die zweite Gelegenheit, bei welcher General Taylor seine Uniform getragen haben soll, war ein Besuch, den der Flaggenofficier des vor der Mündung des Rio Grande liegenden Geschwaders ihm abzustatten beabsichtigte. Als die Armee an dem genannten Flusse stand, ließ der Flaggenofficier dem General sagen, daß er ihm an einem bestimmten Tage seine Aufwartung machen würde. General Taylor, dem es bekannt war, daß die Marine-Officiere bei allen feierlichen Gelegenheiten die vom Gesetze gestattete Parade-Uniform zu tragen pflegten, hielt es für nicht mehr als höflich, seinen Gast in derselben Weise zu empfangen. Er ließ deßhalb seine Uniform auspacken und reinigen und bekleidete sich mit derselben, ehe der Besuch eintraf. Nun kannte der Flaggenofficier aber die Abneigung des Generals Taylor gegen das Tragen der Uniform, und da er glaubte, daß Letzterer es als eine Höflichkeit auffassen würde, wenn er in Civilkleidung erschiene, so war er bei dieser Gelegenheit nicht in Uniform gekommen. Die Zusammenkunft soll in Folge dessen beiderseits große Verlegenheit bereitet und die Unterhaltung größtentheils aus Entschuldigungen bestanden haben.“

Schon aus diesen Citaten werden unsere Leser den Charakter der Memoiren erkennen. Sie sind weder trocken noch langweilig. Grant berührt in denselben vielfach wichtige politische Fragen, weiß aber auch aus der Fülle seiner Erinnerungen zu schöpfen, um in interessanten Erlebnissen das Bild des Zeitalters, in dem er wirkte und lebte, wiederzuspiegeln. Und darin hat er das Rechte getroffen. Aktenstücke über Staatsaktionen verwahrt man in den Archiven; in den Memoiren sucht man den vollen Menschen, wie er leibte und lebte – und wir finden ihn in der That in den Memoiren des Generals U. S. Grant.


Blätter und Blüthen.

Weihnachtsbüchertisch für die Jugend. Auf einen rechten Weihnachtstisch für die Jugend gehört auch ein gutes Buch, für den Pausback sowohl, der eben erst mit dem ABC sich abgemüht hat, wie für den schon Herangewachsenen, der bald an der Grenze des Jugendalters angekommen ist. Jede Altersstufe ist auch in diesem Jahre auf das Reichste bedacht. Fragen Sie uns, und wir sind mit Vergnügen bereit, Ihnen für jeden Ihrer Lieblinge etwas Passendes zu nennen.

Für einen sechsjährigen Buben zunächst? Wohl, aber wir möchten das Alter nicht so bestimmt abgrenzen. Zählt der Bube ein Jahr weniger, so möchte er auch schon Nutzen da[v]on haben, und zählt er eines oder zwei mehr, so muß er gleichfalls mit lachendem Gesicht sich in die Bilder und Verse und Geschichten vertiefen können. Und haben Sie keinen Buben, der zu bedenken ist, so geben Sie’s getrost dem Mädchen, das in diesem Alter steht. Hier soll ein Unterschied noch nicht zur Geltung kommen.

Also „Kinderstubengeschichten“, so betiteln sich zuerst dreißig kleine Erzählungen von R. Niedergesäß (Stuttgart, Gebr. Kröner), die wir gern auf jeden Festtisch zaubern möchten, der hübschen Geschichten wegen und dann auch um der reizenden Bilder willen, mit denen Fritz Bergen dieses Buch geschmückt hat. Ein zweites schönes Geschenk ist die „Glückliche Kinderzeit“ von G. Chr. Dieffenbach (Bremen, M. Heinsius), illustrirt von Meister Fedor Flinzer, dem wir so manche humorvolle, dem kindlichen Auge und Gemüth angepaßte Zeichnung verdanken und der sich auch in seinen Bildern zu den herzlichen Kinderliedern Dieffenbach’s wieder aufs Beste bewährt hat. Luise Pichler’sMärchengarten“ und „Märchenpracht und Fabelscherz“ (Stuttgart, W. Nitzschke) erschienen in ausgezeichnet ausgestatteten neuen Auflagen, so daß sie des Erfolges im Voraus sicher sind. Victor Blüthgen und Professor C. Offterdinger vereinigten sich zur Herausgabe eines Buches „Goldne Kindertage“ (Stuttgart, W. Effenberger), von dessen hervorragendem Werthe man sich schon bei flüchtigem Durchblättern überzeugt. Johannes Trojan und Rudolf Geißler erfreuen gleichfalls mit einem reizenden Kinderbuche, dem sie den Titel „Goldne Jahre“ (Nürnberg, L. Amersdorffer) gegeben haben. Die in sehr gutem Farbendruck ausgeführten Bilder R. Geißler’s haben noch den besonderen Reiz, daß sie nicht der Phantasie des Künstlers entsprungen, son[d]ern als malerische Ansichten aus der Stadt der Meistersinger, dem alterthümlichen Nürnberg, dem wirklichen Leben entnommen sind. „So zwitschern die Jungen“ von D. Duncker (Berlin, Alexander Duncker), illustrirt von E. Elias, möchten wir ebenso warm empfehlen, wie die Neuigkeiten von Julius Lohmeyer. D. Duncker’s Buch enthält so ansprechend geschriebene Märchen und Erzählungen, daß es kaum der gelungenen Bilder bedurft hätte, damit sie sich einen weiten Freundeskreis gewännen, während sie mit denselben freilich um so sicherer zum Ziele gelangen. Und Julius Lohmeyer, der altbekannte Jugendfreund? Er hat dieses Mal, thatkräftig unterstützt von Johannes Trojan und Frida Schanz, ein ganzes Füllhorn über unsere Lieblinge ausgeschüttet und in „Kater Murr’s Tagebuch“, „Unser Hausglück“, „Fragemäulchen“, „Kinderhumor“ (Leipzig, Meißner u. Buch), sowie in den „Lustigen Kobold-Geschichten“ (Glogau, C. Flemming) Gaben für den Weihnachtstisch gespendet, denen allen man den Preis zuerkennen möchte und von denen namentlich das köstliche Tagebuch des Hausfreundes Murr in keinem Hause fehlen sollte, in welchem sich zwei Kinderarme verlangend nach einem hübschen Buche ausstrecken. Man sehe sich die prächtigen Farbendruckbilder an, lese ein paar Verse, und mindestens eines der Bücher wird sicher mit nach Hause wandern. – Fast ist Ihnen die Auswahl für die Kleinsten schon zu groß? So wollen wir schließen. Aber unser Bericht würde eine empfindliche Lücke aufweisen, wenn wir nicht wenigstens noch eines Geschenkes gedenken wollten, das an keinen Geringeren erinnert, als an den alten Kinderklassiker Wilhelm Hey. Kennen Sie Elisabeth Ebeling? Die Dame hat bereits eine Reihe guter Kinderschriften herausgegeben, ihre beste aber in diesem Jahre: „Vier und Zwanzig Fabeln“ (Leipzig, E. Twietmeyer), illustrirt von J. Bungartz. Es wird nicht lange dauern, dann werden diese Fabeln neben denen von Hey in allen Lesebüchern zu finden sein. Ja, die Verse sind so frisch, so einfach, so anschaulich und zum Herzen redend, daß sie als das Beste bezeichnet werden müssen, was seit Jahren auf diesem Gebiete erschienen ist.

Die „Märchen und Erzählungen für Kinder“ von Zacharias Topelius (Gotha, Fr. Andr. Perthes), sowie die prächtigen „Wintermärchen“ von Heinrich Seidel (Glogau, C. Flemming) gehören schon für ein reiferes Alter, und ebenso die unter dem Titel „Lebensfrühling“ vereinigten Erzählungen von unserem geschätzten Mitarbeiter Victor Blüthgen (Stuttgart, Gebr. Kröner). Knaben und Mädchen im Alter von 9 bis 12 Jahren werden sich an diesen Erzählungen auf das Herzlichste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_823.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2024)