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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Welthauses, sondern der natürlichen Umstände, der Veränderungen der Weltlage und der allmählichen Entwickelung neuer Handelsbeziehungen, daß sein Königthum in der Südsee bedenklich ins Wanken gerieth und alles, was er gegründet und geschaffen, den Wohlstand und die Bedeutung des alten Hamburger Hauses dazu, mit sich zu Grunde zu richten drohte.

Ein Halbsahr nach seiner Heimkehr hatte der verlorene Sohn ganz andere und tausend Mal größere Sorgen, als er je Einem der Seinen durch seine Wienerischen Abenteuer bereitet hatte.

Kurzlebig sind die Größen in der Handelswelt. Eine glückliche Woge wirft sie in königliche Höhen, ein einziger Sturm versenkt sie in unrettbare Tiefe.

Man versuchte dies, man versuchte das, es wurden gewaltige Anstrengungen gemacht, um ein solches Haus nicht fallen zu lassen, es vergingen weitere neun Monate voll Aufregung, Hoffnung und Enttäuschung, und dann war es Edgar doch kaum mehr zweifelhaft, daß das Verlorene nicht wieder zu gewinnen war.

Sie waren gesunken mit allen Ehren, aber sie waren von einer gewaltigen Höhe sehr empfindlich herabgesunken. Sie waren noch immer sehr anständige, leidlich wohlhabende Handelsleute, aber das Prädikat der königlichen Kaufherren war verwirkt. Was galten diese emsig wieder aufgebürstete Ehrbarkeit und diese fadenscheinige Wohlhabenheit, die jeden in seinen Ausgaben zu peinlicher Sorgfalt verpflichtete, gegen jene fürstliche Macht ihres einstigen Vermögens und den Stolz ihres altbegründeten Bürgerthums, vor welchen jeder echte Sohn Hammonias sich freiwillig beugte, welche die Flaggen ihrer Schiffe über alle Meere wehen ließen und ihnen jeden Wunsch erfüllten, ohne sie viel fragen zu lassen, ob seine Kosten auch zu erschwingen wären.

Es war ein Sommer und Winter ganz anderer Art, den Edgar jetzt im heimathlichen Hamburg durchmachte, als jener, den er im lustigen Wien geliebt und gelebt hatte, recht und schlecht.

Er pflag unter diesen Umständen wenig des Verkehrs. Aus der Kaste der Reichsten geschieden, hatte er diejenige Gesellschaftsabstufung, für welche er nach seinen jetzigen Verhältnissen geeignet erschien, noch nicht gefunden oder sich nicht in sie finden wollen. War ihm doch die Zeit vordem nur allzu gesellig vergangen. Jetzt bedurft’ er der Ruhe, der Einsamkeit, des stillen Gewöhnens an ein neues Leben.

Und weiter bedurft’ er nichts?

Ach, wie so oft saß er im abgeschlossenen Komptoir über den mächtigen Büchern und über Haufen von Briefen aus allen Himmelsgegenden und vergrub das Gesicht in beide flachen Hände und sah nichts von Buchstaben, nichts von Ziffern, sondern nur ein fernes Stübchen in der Florianigasse, darin ein wunderbares blondes Mädchen wohnte, ein Mädchen, das sang und weinte und seiner nicht mehr achtete.

Wie oft sagte er sich da, daß er der Liebe bedurfte, mehr denn je, der echten heiligen Liebe eines braven holdseligen Weibes, das Kummer und Sorgen mit ihm trug, jeden Hoffnungsschimmer auf sein bedrücktes Haupt lenkte und ihm das Herz leichter machte, mit gutem Wort und frohem Lied und süßem Kuß.

Er hätte es haben können, noch im letzten Augenblick, aber der Trotz des Mannes, der Stolz des königlichen Kaufherrn, der Argwohn, verrathen und überlistet zu sein, wo er vertraut und vergöttert hatte, ließen ihn seinem Glück den Rücken kehren und es hinterher verlästern und es in sündhaftem, aberwitzigem Gebahren kränken und sich jeder Rückkehr unwürdig erweisen.

Nun war’s geschehen, und er war weit weg und er saß, ein einsamer, trostbedürftiger, liebesarmer Mann da und suchte seine Thorheiten und den rastlosen Schmerz um den Verlust der Geliebten zu verwinden. Und wenn er die Hände wieder von den Augen nahm und wieder Ziffern und Buchstaben vor sich sah, suchte er auch wieder emsig zu retten, was noch zu retten war, und aus den verkümmerten Bruchtheilen der eingestürzten Herrlichkeit sich mit aller Anstrengung ein bescheidenes Dasein zu zimmern darüber der alte Name, zwar nicht mehr in alter Bedeutung, aber doch ohne Schande sichtbar werden durfte.

Das letztere Bestreben gelang ihm besser als jenes. Denn auch, nachdem die großen Verluste verwunden waren und er sich in sein neues Dasein, in seine reducirte Stellung eingelebt hatte, dachte er in stillen Feierabendstunden mit sehnender Seele an Bianca Scandrini und an das verscherzte Glück in der Josefstadt.

(Fortsetzung folgt.)

Die Nekropolis der spanischen Könige.

Von Schmidt-Weißenfels.

Seit einem halben Jahrhundert wurde kein Sarg über die Schwelle der unterirdischen Gruft getragen, in welcher die Herrscher Spaniens im ewigen Schlafe ruhen. Nun wird sich wiederum die Pforte des düsteren Grabgewölbes öffnen, um den jugendlichen Monarchen Alfons XII., der in der Blüthe seiner Jahre dahinsank, aufzunehmen. Die Hoffnungen, die sich für Spanien an seine Regierung knüpften, sind mit ihm geschwunden nur der Ruhm eines edlen Strebens überlebt ihn, nur die Sympathien, die weit über den Grenzen seines Vaterlandes für ihn gehegt wurden und denen auch wir seinerzeit Ausdruck gaben[1], lassen uns sein Schicksal betrauern und drängen uns zu einer Wanderung an seine letzte Ruhestätte.

*  *  *

Im 16. Jahrhundert war die „sehr edle, rechtliche und berühmte“ Stadt Madrid, wie sie in den spanischen Chroniken bezeichnet wird, noch eine kleine Festung auf einem Hügel am Manzanares. An Stelle des jetzigen prächtigen Königsschlosses am steilen Abhang dieses Hügels nach dem Flusse ragte der alte, plumpe Burgbau empor, gegen den noch die maurischen Heerscharen ihre Angriffe gerichtet. Statt der öden, wüstenartig kahlen Hochebene, die sich heute von da ringsnm den Blicken bietet, dehnte sich nach dem zackigen Walle des Guadarramagebirges hinauf wenigstens noch weiter, wilder Wald.

In dieser Waldwildniß hoch am Gebirge, zehn Stunden von Madrid, hatte Karl V. eine Stelle bezeichnet, wo er ein Kloster für seine letzten Tage und das Grab für sich und seine Nachkommen aus dem spanischen Throne haben wollte. Er war lebensmüde und sehnte sich, aller Herrlichkeit seiner Weltherrschaft satt, nach stiller, beschaulicher Abgeschiedenheit. Dort sollte sie ihm, wünschte er, werden und el Escorial, die Einöde, sollte die Endstation seines thaten- und lärmvollen Lebens hetzen. Im Jahre 1556 dankte er als König von Spanien und auch als Kaiser von Deutschland ab, und nachdem er seinem Sohn und Nachfolger Philipp II. den Bau der Klostergruft von Escorial ans Herz gelegt, zog er sich zunächst nach San Yuste in Estremadura zurück. Schon nach zwei Jahren starb er daselbst, erst 58 Jahre alt, eben, als man die Baustelle für den Escorial herrichtete.

Philipp hatte in dem ungemessenen Hochmuth und Ehrgeiz, die ihn beseelten, einen großartigen Bau beschlossen. Er sollte seine Residenz bilden, von wo er in unnahbarer Verborgenheit seine Länder regierte; wo er in einsamer, düsterer Majestät, menschenfeindlich und scheu, unsichtbar allen seinen Böllern, ihnen desto furchtbarer erschiene. Inmitten einer Todtenruhe sein Thron, das war ihm das Ideal seiner Herrschaft. Der finstere Tyrann mit dem Sinne eines fanatischen Mönchs hatte den Plan zu diesem Herrschersitze entworfen. Am 10. August 1557 hatten seine Truppen über die Franzosen bei St. Quentin gesiegt. Es war am Festtage des heiligen Laurentius gewesen. So gelobte er, diesem zu Ehren ein Kloster zu bauen, um so mehr, als die spanischen Kanonen eine diesem Heiligen in St. Quentin geweihte Kirche bombardirt hatten. Mit diesem Kloster beschloß er seine Residenz zu verbinden. Der Bau sollte Burg und Kirche, Kloster und Königsgruft werden und in kolossaler Massigkeit und unzerstörbarer Starrheit für Mit- und Nachwelt zum Ausdruck bringen, wie die habsburgisch-spanische Macht und Majestät sich auf dem Fels der Religion erhoben. Das Gebäude sollte seines Gleichen in der Christenheit nicht haben, nicht einmal in der Form. Philipp befahl, ihm die eines Rostes zu geben, weil der Sage nach der fromme Diakonus Laurentius auf einem solchen seinen Märtyrertod in Feuersgluth gefunden.

Jm Jahre 1563 begann der eigentliche Bau, und eifrig wurde er nun betrieben. Ungeheure Summen gab der König dafür her; von den eroberten Ländern in Amerika flossen ja noch die Goldmassen nach Spanien; freilich, um hier in maßloser Verschwendung schnell zu zerrinnen und dann wie eine erstarrende Lava im ganzen Lande nur Wüstenei, Armuth und Noth hervorzubringen. Je höher die Riesenmauern des Escorial sich aus dem Fundamente erhoben, desto lebhafter verfolgte Philipp die Arbeiten daran. Man zeigt noch einen Felsensitz auf dem Gebirge unter dem Schatten von Kastanien, eine Stunde ab vom Gebäude, von wo der König stundenlang auf dasselbe niederschaute. Er wohnte schon darin, ehe es noch im Rohen fertig war. Einundzwanzig Jahre brauchte man dazu; acht Millionen Dukaten waren hier in Granit und Marmor, Bronze und Holz verwandelt worden, und gerade als man die Arbeit für vorläufig beendigt hielt, schlug der Blitz in die Kuppel, schmolz die Glocken und Bleidächer und zerstörte einen Theil der Kirche. Es wurde als die Feuertaufe des Himmels gedeutet, gleichwie Laurentius im Feuer für seinen Glauben gezeugt.

Der Escorial ist ein mächtiges Rechteck, jede Seite 250 Schritte lang; 811 Meter im Umfang, mit 15 Thoren. Auf jeder Ecke erhebt sich ein

  1. Vergl. den Artikels „Der Gastgeber unseres Kronprinzen und sein Heim“ (Jahrg. 1883, S. 779), in dem eine ausführliche Biographie des verstorbenen Königs gegeben wird.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_838.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)