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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

theilte mir folgendes mit: Irgend jemand hatte dem Komteßchen eine Puppe geschenkt, eine etwas derbe Bäuerin in rothem Rock, mit blauen Bändern an dem Mützchen und sonst noch allerlei Farbenpracht. Die Frau Gräfin war aber der Meinung, man dürfe Kindern nichts Geschmackloses zum Spielen geben. Zum Unglück ward diese Puppe der Liebling ihrer kleinen Herrin – Gott weiß warum? Wie Kinder so sind! Und eines Tages war der Liebling fort, nota bene - die Mutter hatte ihn ins Fener gesteckt.

Mit heißen Thränen wurde nun im ganzen Hause gesucht, im Garten, überall, und das Kind regte sich dabei so auf, daß die Gräfin genöthigt war, zu mir zu schicken. Sie führte mich zu der Kleinen, die schluchzend und fiebernd auf dem Sofa lag, und setzte sich zur Seite mit einer neuen wunderschön ausstaffirten Puppe.

„Ich will nicht! Ich will nicht!“ schrie die Kleine, schon völlig heiser und schlug nach dem Spielzeug, „ich will meine liebe Puppe wieder haben!“

Ja, was konnte ich thun? Zureden half nicht. Die Gräfin legte endlich die neue Puppe mit Gewalt in des Kindes Arm. Da sprang es auf, lief zum offnen Fenster und warf die Puppe hinaus. „Ich will keine neue!“ jammerte sie und sah mich an mit den trostlosen Kinderaugen.

Ich winkte der Gräfin, mich allein zu lassen mit Ilse, nahm das zuckende Händchen und ließ mir erzählen. Sie hatte die Puppe so furchtbar lieb, sie wollte keine andere. Ich redete ihr zu, stellte ihr vor, die Puppe sei häßlich gewesen, nicht passend für sie – vergebens. Sie nahm beruhigende Tropfen, sie schlief auch endlich ein, aber Faktum blieb es – sie hat nie wieder mit einer Puppe gespielt.

So war denn allmählich aus dem Kinde ein Mädchen geworden, und ein schönes freundliches Mädchen; im Uebrigen wenig nach dem Herzen der Mutter.

„Welch ungenirte Sprache!“ klagte die Gräfin gegen mich: „Doktor, das hat sie von Ihnen; ich muß Sie bitten, jetzt reservirter zu reden.“

Ich machte ein verwundertes Gesicht. Allerdings, französische Brocken verstand ich gar nicht zu verwenden, war mir aber sonst nichts Böses bewußt. Ich sah in Komtesse Ilse’s lachende Augen und mußte heimlich mitlachen.

Aber leid war es mir doch, daß sie seltener und nur flüchtig in mein Haus kam, daß sie so langsam in dem schleppenden Kleide über die Straße schritt und die Augen nicht mehr aufzuschlagen getraute. Freilich, sobald sie in das Zimmer meiner Line trat, war sie die Alte, da lachte und kicherte sie, da spielte sie einen Walzer auf dem Spinettchen und die kleinen Füße traten den Takt dazu. Zuweilen aber ward es mäuschenstill, dann hockte sie vor dem kleinen Bücherspinde meiner Frau. Ein Bücherschrank war in der Probstei nicht zu finden, wenigstens nicht mit guter deutscher Kost. Die junge Seele hatte eben gedarbt bei den franzosischen Ragouts, welche die Frau Mama schon auswendig gelernt hatte in ihrer Jugend, und die Ilse besaß ein gesundes deutsches Gemüth, schönheitsdurstig und ein bischen ideal. Was thut aber eine Dame von Welt mit Sentiments? Das ist kleinstädtisch, Schneidermamsellenton. – Ja, wer kann dafür, daß es bei Ilse anders war? Ich sehe noch ihr entzücktes Gesicht, die Augen voll Thränen, als ich ihr an einem Sonnabend vor Ostern den Spaziergang aus dem Faust vorlas:

„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche –“

Sie sagte kein Wort, sie weinte nur. Dann wollte sie das Buch haben.

„O nein, kleines Komteßchen, wir sind erst siebzehn, und wenn Mama es erführe? - Später, später!“

„Ich verrathe Mama nichts!“ sagte sie feierlich.

Ich schüttelte lachend den Kopf. „Kommen Sie herüber, Kind, so oft Sie wollen – ich lese Ihnen gern vor. Aber mitnehmen – nimmermehr!“

So kam sie denn öfter wieder, als sonst. Sie durfte auch jetzt vom Lernen ruhen, sie sollte frisch und blühend aussehen, denn nach Weihnacht, vielmehr nach Neujahr ging es, zwar nicht nach Berlin, aber dafür an einen kleinen thüringischen Hof, allwo die junge Schönheit so strahlend wie möglich auftauchen sollte. Die Gräfin unterhandelte mit einem Juwelenhändler und mit verschiedenen Konfektionsgeschäften in der Hauptstadt, und sie schüttete mir ihr sorgenvolles Herz aus, daß das Töchterchen so keinerlei Interesse an diesen Vorgängen verrathe.

„Aber,“ tröstete sie sich selbst, „der Löwe hat noch kein Blut geleckt, bester Doktor, sie wird doch aufathmen in ihrer eigentlichen Lebensluft.“

Es war an einem düstern Oktobertage, als die Dame so geredet. Ilse wußte ich bei meiner Frau, der einzige Verkehr, der dem armen Dinge gestattet war. Ich ging kopfschüttelnd die Treppe hinunter, denn das Experiment der Frau Mama, die Tochter allein nach D. zu schicken, in das Haus eines Vetters, den sie, ebenso wie seine Familie, kaum kannte, nur zu dem Zweck, das junge Kind in die bunte, oft recht bunte Welt zu schleudern und hoffentlich mit glücklichem Wurfe einem reichen Kavalier in die Arme, das machte mich staunen, zweifeln und bangen. Das Mädchen war mir ans Herz gewachsen, so fest, als wär’s mein eigenes Kind. Ja, wenn die Mutter wenigstens mitginge, aber – das Kapital schien nicht zu reichen, oder – Gott weiß es – genug, Ilse sollte allein zum Vetter Kammerherrn nach D.

Noch in tiefen Gedanken trat ich in mein Haus und in das Zimmer meiner Line. Es war schon ein wenig dämmerig, der Flammenschein des Kachelofens spielte deutlich auf dem Fußboden. Meine Frau war nicht in der Stube, aber dafur traf ich eine andere Gesellschaft bei der Ilse. Sie lehnte am Klavier und drehte wie verlegen eine purpurrothe Ranke des wilden Weines zwischen den Fingern. Vor ihr aber, den Rücken mir zuwendend, stand ein Mann im Reise-Ueberzieher, ein großer schlanker Mensch mit braunem Haare.

„Potz tausend – Du bist es, Ernst!“ rief ich und hielt ihn am Herzen.

„Ja Onkel, verzeih die Ueberraschung! Ich bin auch schon furchtbar –“. Er verschluckte das Wort. „Ich denke, Tante sitzt da vor dem Bücherspind, und –“ Das hübsche Männergesicht wurde dunkelroth. „Verzeihen Sie, mein Fräulein!“ wandte er sich an das lächelnde Mädchen.

„Ernst Klauß, königlicher Baumeister!“ stellte ich vor, „Gräfin Isabelle Seefeld!“

Er wurde einen Moment noch rother, verbeugte sich und fügte hinzu. „Ich bin auf der Reise nach B., um dort einen Kirchenbau zu leiten.“

Meine Line aber kam ganz harmlos angebummelt, so ohngefähr nach einer Stunde. Und als ich ihr auf dem Hausflur entgegen trat und ihr ganz gerechtfertigte Vorwürfe über ihr langes Ausbleiben machen wollte, ward die kleine Frau böse und meinte, einen Wintermantel hätte sie kaufen müssen, denn nächstens würde es schneien und man dürfe nicht bis zum letzten Augenblick warten, sie könne doch nicht wissen, daß der Ernst kommen würde. Sie würde gleich das Abendessen besorgen.

Ich wollte als gehorsamer Mann sofort ihrer Weisung folgen, da klingelte es. Eine Frau, ihr hustendes Kind in Tücher gewickelt auf dem Arme, erschien und wollte den Herrn Doktor sprechen. So hielt mich wieder die Pflicht davon ab, an Näherliegendes zu denken, denn - wer weiß - wenn die Frau mit dem Kinde nicht gekommen und hinterher die bleichsüchtige Schneiderin mit dem Magenkrampf, und der Lehrjunge vom Materialgeschäft nebenan mit dem schlimmen Finger, so hätten jene Beiden nicht Zeit gefunden, sich so tief in die Augen - Na freilich, das ist thorhaft, ich hätt’s auch nicht geändert, was sein soll, schickt sich immer.

Wie ich zwei Stunden später hinüber komme, da finde ich die Beiden noch allein in der völlig dämmerigen Stube, aber nicht mehr stumm. Hei, das erzählte und schwatzte, als wären sie jahrelang bekannt!

„Wo ist denn meine Frau?“ - Ja, du lieber Gott! Die steckte in der Küche und briet einen Rehschlegel für den Sohn ihrer Schwester.

Ich zündete die Lampe an, stellte sie auf den Tisch und beobachtete, wie sich die Beiden anschauten bei der plötzlichen Helle, und freute mich über sie. Es giebt für das Auge des Arztes keinen erquickenderen Anblick wie so ein junges blühendes Menschenantlitz. Und diese Beiden waren nicht nur gesund an Leib und Seele, sie waren auch schön! Er ist mein eigner Neffe, aber ich

muß es wiederholen, er war in seiner Art so schön, wie die Ilse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_851.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2019)