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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

noch ein Schreiben des Inhaltes, daß sich die ergebenst Unterzeichnete – Gräfin Seefeld – veranlaßt gesehen, einen andern Hausarzt zu wählen, da ich das große Vertrauen, das sie mir allezeit geschenkt, nicht zu rechtfertigen gewußt habe. Eine sehr kleine Summe war hinzugefügt.

Auch gut, Frau Gräfin! – Man wird ja oft unverdienter Weise gekränkt – das hier bringt mich auch nicht um. Ein Arzt bekommt nach und nach eine Art Elefantenhaut, sonst könnte er gar nicht weiter leben. Mir ging nur das blasse Mädchengesicht nicht aus dem Sinn.

Nun, es half nichts. Meine Line aber grämte sich heimlich fast entzwei; ich wußte nicht, galt es mehr dem Neffen, der ihr auf keinen Brief antwortete, oder der kleinen Ilse? Denn sprechen thaten wir nicht mehr darüber.

Und eines Vormittags im April, die Bäume blühten just, brachte der Postbote ein großes Schreiben mit riesigem Wappensiegel darauf und der neunzackigen Krone. Als Line es von außen genug beschaut hatte und nun neben mir stand, neugierig was es sei, ziehe ich aus dem Kouvert eine Karte, und da steht denn deutlich zu lesen:

„Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Jsabella mit Sr. Erlaucht dem Grafen Edwin von Mayenbach-Emmingen zeigt ergebenst an
Gräfin Olga Seefeld geb. Gräfin Olkowska.“

„Na Line, da ist’s ja denn in Ordnung,“ sagte ich.

Aber Line wollte sich nicht trösten lassen, sie weinte zum Herzbrechen; sie hatte die Ilse anders taxirt. Wie es denn möglich wäre, wie es denn möglich wäre! Und das hätte sie nie geglaubt, daß ein Mädchen so leicht vergessen könne!

Ich kränkte mich nur innerlich, nahm Hut und Stock und ging in die Stadt Hamburg zum Morgenbier –. Na natürlich, alle Welt wußte schon die Neuigkeit und ein junger Gerichtsreferendar gab Auskunft über Se. Erlaucht; er war aus Mayenbach gebürtig. Unmenschlich reich sei der Graf, aber schon bejahrt und keineswegs beliebt, dazu eine stürmische Vergangenheit! So lautete das Nationale.

Arme kleine Ilse!

Wir gratulirten nicht, das konnten wir eben nicht übers Herz bringen. Ich fragte nur einmal die Maruschka, wann die Hochzeit stattfinden werde, und hörte, daß Frau Gräfin sehr ungehalten sei, – die Braut habe sich noch ein ganzes Jahr der Freiheit ausgebeten, die Gnädige hoffe aber doch, den Widerstand des Komteßchens zu besiegen.

„Kommt Gräfin Ilse zurück?“

Maruschka schüttelte das graue Haupt. „Wir gehen nach D. in spätestens zwei Wochen.“

Zum vierten September, meinem Geburtstage, an dem sonst immer eine liebe Gestalt in aller Morgenfrühe mit einem Strauß Monatsrosen über unsere Schwelle getreten war, kam diesmal ein kleines Packet, an mich adressirt; und als ich es, schon gerührt, öffnete, da blickt mir das reizende Mädchengesicht entgegen, gar zierlich auf Elfenbein gemalt. Aber wie ernst und wie verändert! Auf die Rückseite der Platte hatte sie mit Bleistift geschrieben: „Wie man von Todten Gutes spricht, – verdammt mich nicht!“

„Nun schiltst Du mir nicht mehr, Line,“ sagte ich weich, „es ist klar, man hat sie gezwungen zu der Verlobung.“ Da weinte Line nur still und hing das Bild an ihren Fensterplatz.

Das Leben ging dann so seinen ebnen Weg weiter fort, aus Herbst wurde Spätherbst, der Wind wehte die Blätter von den Ulmen und durch das kahle Gezweig schimmerten die mit Läden geschlossenen Fenster des leeren großen Hauses drüben. Der Winter brachte die alten bösen Gäste in die Wohnungen der Menschen, Husten, Fieber und Rheuma. Da hat unser Einer so viel zu denken; mir blieb kaum Zeit mich zu freuen, daß der Ernst nach Italien gereist war, wie seine Mutter uns schrieb.

Line aber machte seit langer Zeit zum ersten Male ein weniger trauriges Gesicht, und am ersten Advent lag, wie jedes Jahr, bunte Wolle auf dem Nähtische neben den angefangenen unvermeidlichen Schlafschuhen, die ich nie sehen sollte und doch so oft sah.

„Ich glaube, Alter,“ meinte sie, „der Ernst wird’s durchholen, – wenn nur Ilse glücklich würde!“

„Das gebe Gott!“ sagte ich mit einem Seufzer.

Und siehe da, mit einem Male wollte es Weihnacht werden; auf dem Markte wurden schon die Buden errichtet, in den Schaufenstern prangten die allerschönsten allerneuesten Sachen, und längs der Straßen reihten sich die Christbäume. Dazu schneite es und fror; köstliche Aussichten auf Schlittschuhlaufen und Schlittenfahrt für die Feiertage.

Da, ungefähr eine Woche vor dem heiligen Abend, kommt mir die Line ganz verstört entgegen mit einem schwarzgeränderten Briefe. „Denke Dir, Wilhelm, Gräfin Seefeld ist ganz plötzlich gestorben!“

„Die arme Frau,“ sagte ich, „nun hat sie doch nicht ihr Kind als ,Erlaucht* gesehen! In Wahrheit, sie dauert mich, es war ihr ganzes Dichten und Trachten, ihr einziger Wunsch gewesen.“

Line aber setzte sich an den Schreibtisch und schrieb an das Komteßchen, so recht wie es ihr um das Herz war; der Brief war fast unleserlich von Thränen. „Eine Mutter hat man einmal nur,“ sagte sie, „und trotz aller Schrullen hat sie die Ilse doch schier närrisch lieb gehabt.“

„So lieb, um sie einem alten Wüstling in die Arme zu treiben,“ bemerkte ich bitter.

„Ja, das verstand sie eben nicht anders, Wilhelm,“ vertheidigte Line.

Nun, ich war zufrieden, und der Brief ging ab.

Und da kam er wirklich, der vierundzwanzigste December, und Alles war wie sonst bei uns beiden Einsamen. Leise, leise schneite es weiter und hier und da wurde ein Fenster hell, als ich, von meinem letzten Krankenbesuche kommend, die Straße hinunter schritt, und daheim hatte Line den Weihnachtsbaum geputzt und wartete nur auf mich mit dem Anzünden. So, nun kann’s losgehen!

Es ging auch los und ging vorüber, die Bescherung und der Karpfen; und die Pantoffeln paßten. Wir saßen dann in der Sofa-Ecke, und sahen die Lichter am Baume, und Hektor lag zu unseren Füßen. Die alte Wanduhr aber erhob ihre Stimme und schlug die zehnte Stunde, grad als wir von der Ilse zu sprechen aufgehört hatten.

„Heute vorm Jahre klingelte es just,“ sagte Line. „Lieber Gott!“

„Nun, heute wird’s jawohl so abgehen,“ wollte ich hinzusetzen, aber das Wort blieb mir im Munde stecken, so angstvoll, schrill und stürmisch gellte die Glocke durchs Haus. Ich war draußen, ich wußte nicht wie, und reiße die Riegel zurück und die Thür auf. Eine schlanke Frauengestalt kommt hastig über die Schwelle, zwei Arme schlingen sich um meinen Hals, aus dem schwarzen Kreppschleier aber taucht ein blasses liebes Mädchenantlitz auf und sieht zu mir herüber bei dem unsicheren Schein der Hauslampe. Aber sie sagte kein Wort, sie hielt mich nur fest und zitterte.

„Komteßchen Ilse!“ schrie Line hinzulaufend, und nun nahmen wir sie und führten sie hinein und – ja, was thut man Alles zuerst mit einer halb Ohnmächtigen?

Sie wollte bei uns bleiben mit der Maruschka – das war Alles, was wir aus ihren abgebrochenen Reden verstehen konnten. Dann sprach sie nicht mehr, sie weinte nur still vor sich hin, den Kopf in die Sofa-Ecke geborgen, und wir ließen sie weinen.

Line schlich sich still davon, das Gaststübchen im oberen Gestock zu rüsten, und ich stieg in den Keller und holte von meinem besten Portwein herauf, und als ich ihr das duftige Glas hinhielt, hob sie die Augen und sah mich an, die Thränen auf den Wangen.

„Ich wußte es ja,“ sagte sie schluchzend, „wäre ich nur schon im vorigen Jahre zu Euch gekommen.“

Dann sank der Kopf wieder zurück, und die Blässe wich glühender Fieberröthe.

Ich faßte das zierliche Handgelenk; nun versteht sich – da hatten wir eine Kranke!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_854.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2023)