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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Backwerk, Flitter und Glaskugeln geschmückter „Christbaum“ strahlt in den Wohnungen der Armen den frierenden und hungernden Kindern, kein Glückesjubel, kein fröhliches Weihnachtslied ertönt da, wo man nur die Noth und Sorge des Lebens, nicht aber seine Freuden kennt.

Bisweilen aber geschieht es wohl, daß – gleich der gütigen Fee des Zaubermärchens – ein Engel in Menschengestalt sich der Hütte der Armuth naht und Trost und Hilfe, Freude und Glück in dieselbe trägt. Solch eine Scene schildert das schöne Bild unseres talentreichen Malers Erdmann Wagner. Die Familie, welche in dem kleinen ärmlichen Stübchen haust, hat offenbar einst bessere Tage gesehen. Aber die lange Krankheit des Ernährers der Familie und sein erst vor Kurzem erfolgter Tod haben nach und nach die Ersparnisse der armen Wittwe aufgezehrt.

Bittere Noth, Mangel und Elend herrschen daher jetzt im Stübchen der Armen, und keine Aussicht auf eine Besserung ihrer entsetzlichen Lage ist vorhanden. Da plötzlich öffnet sich die Thür und die gütige Fee, der Engel in Menschengestalt, die edle junge Gattin des benachbarten Gutsherrn, erscheint mit ihrem etwas scheu auf die ungewohnte Scene blickenden Töchterchen und bringt Trost und Hilfe für die Kranke und ihre Pflegerin, Freude und Glück für die Kinder.

Es ist ein schönes, aus dem Leben gegriffenes Bild, denn – Gott sei Dank! – der Sinn für Wohlthätigkeit und Unterstützung Armer und Hilfsbedürftiger ist unter den deutschen Frauen allgemein verbreitet und gereicht ihnen für alle Zeiten zur schönsten Zierde und Ehre.


Weihnachtsabend in den Alpen. (Mit Illustration S. 861.) Zwischen den flimmernden Lichtern seiner Straßen, zwischen den strahlenden Schauläden des Gewerbfleißes, im Strom der Menschen und im Lärm der Wagen – was weiß der Städter um die Weihnachtszeit von der Natur und ihren Schrecken? Der wirbelnde Schnee zerschmilzt an den Schaufenstern und auf den Gasleuchtern, er vergeht unter Roßhuf und Wagenrad. Ja – in der Großstadt führt das Menschenthum die Herrschaft; nur hoch oben über den Dächern und um die Thürme, da orgelt die wilde Stimme der Natur, der winterliche Sturm.

Wie anders ist’s um diese Zeit im Hochgebirg! Der Winter ist in die Thäler gegangen, eisklirrenden Schritts. Wochenlang hat es geschneit; geschneit ohne Unterlaß, als solle die arme Erde erstickt und erdrückt werden; geschneit, daß die Wälder krachten und die Bäche still standen.

Und dem Schnee folgte der Frost, schneidender, grimmiger Frost, der die Wasser des Gebirgs in funkelnde steinharte Zaubergebilde verwandelt. Der Schnee und der Frost, der heulende Sturm und dazwischen wieder die thauende Mittagsonne schufen eine weiße Wunderwelt: neue Berge und neue Thäler, neue Bäume und neue Blumen, aber alles weiß und todeskalt. Je höher aufwärts im Thal, um so tiefer der Schnee, um so schmaler der Pfad, um so stiller und winterlicher die Welt.

Ganz hoch droben im Thale liegt noch ein Kirchdorf. Keine Straße mehr ist’s, was im Sommer da hinaufführt, nur ein steiniger Saumpfad. Und vom Dorfe weiter aufwärts führt nicht einmal der Saumpfad mehr, sondern nur ein Alpensteig znm letzten einsamen Gehöft und dann zu den Almen und zum schwindelnden Joch. Drei starke Stunden sind hinunter bis zum nächsten größeren Dorfe, wo die Straße beginnt. Drei Stunden zur Sommerszeit, wenn die Wege gut sind. Aber wenn einmal der Winter seine Schneemassen ins Thal geworfen hat, dann sind es sechs Stunden – oder eine Ewigkeit. So heißt es denn ausharren für die wenigen Menschen, die in diesem Hochthal ihr bescheidenes Leben führen: ausharren bis Weihnachten und dann wieder bis Ostern!

Zu schwer, zu gewaltig, zu mörderisch drückt der Winter in die Bergthäler hinein, als daß hier die Weihnachtszeit jenen Frohsinn wecken könnte, der in den Städten die Lichter des Weihnachtsbaums aufblitzen läßt und seine Gaben darunter streut. Die Weihnacht im Hochgebirge ist ernst und still. Aber ganz ohne Feier ist sie nicht. Denn wenn die Mitternachtsstunde herannaht, kommen von den benachbarten Höfen die Leute zum Kirchdorf; mit Laternen und flammender Kienspanleuchte suchen sie sich den Weg, tief vermummte schweigende Gestalten. Und die von den höchsten Höfen tragen Schneereifen an den Füßen und erzählen, wie droben neben ihrem Hause der Hirsch, der Sechszehnender, im Schnee vergraben sei.

Hell klingt die kleine Glocke aus dem Bergkirchlein in die frostklare Mondnacht hinaus. Drinnen feiern sie die Christmette: einen kurzen stillen Gottesdienst. Keines von ihnen weiß mehr davon, daß vor fünfzehnhundert Jahren an derselben Stelle, auf dem gewaltigen Schieferblocke, der jetzt als Kirchenschwelle dient, heidnisches Opferfeuer brannte, das Fest der Wintersonnenwende zu feiern. Der alte heidnische Brauch ist vergangen; aber im Volksgemüth lebt noch dieselbe Stimmung, wie damals: jene leise, unter der kalten Schneelast still athmende Hoffnung vom Wiedererwachen. Und mit dieser Hoffnung im Herzen suchen sie sich wieder den Weg heim durch den Frost und den Schnee.

Die Letzte aus dem Kirchlein ist eine alte Frau. Ihr Austragstübchen ist gleich im nächsten Hause, drum kann sie verweilen. Ihr Auge sucht unter den schlichten schwarzen Holzkreuzen des kleinen Friedhofes eins, das sie seit einem halben Jahrhundert kennt. Und wie sie das Kreuz gefunden hat, hört sie fernher durch die Mitternacht einen Jodler. Ja – so hatte vor fünfzig Jahren auch der gejauchzt, der da unter dem Kreuze liegt. Und es war das Letzte gewesen, das man von ihm gehört hatte, von dem verwegenen Menschen, der es in der Weihnacht wagen wollte, über das verschneite Joch hinüberzuklettern ins Nachbarthal. Manchmal schon war’s ihm geglückt zur Winterszeit; denn kein Gemspfad war ihm zu steil und keine Nacht zu wild. Aber damals hatte es ein schlimmes Ende genommen, und erst nach zwölf Wochen hatten sie den Verlorenen aus dem Schnee gegraben. Daran denkt die alte Frau, wie sie seit fünfzig Jahren daran denkt, sie murmelt noch ein Vaterunser an das Kreuz hin und schwankt heim in ihr Stübchen. Draußen aber funkelt und glitzert die Mitternacht fort, im Mondlicht schimmern die schneeschweren Dächer und der eisstarrende Bach, gespenstig starren die dunklen Fichten darüber hin, und zauberhaft erklingt noch einmal der jauchzende Ruf, langhinhallend, bis er in silbernem Duft sich verliert. M. Haushofer.     


Nußknacker. (Mit Illustration auf S. 848.) Da ist er einmal wieder, der alte Freund aus alter Zeit! Er ist selten geworden; das Jahrhundert der Erfindungen zieht praktischere Nußknacker vor. Aber von den lächelnden Kindern unter dem Weihnachtsbaum wird gerade er unter allem Spielzeug mit größter Freude begrüßt. Der Moment ist wichtig und voll Spannung: Nußknacker steht im Begriff, die Probe auf seine Leistungsfähigkeit zu machen, und wir sind überzeugt: die Hebelkraft seines Unterkiefers wird sich bewähren: krick krack – da liegen die Schalen. Vielleicht auch nicht. Es giebt Nüsse, an denen man sich die Zähne ausbeißt. Wer kann’s ändern? V. B.     


Einbanddecke zur „Gartenlaube“.

Auch zum laufenden Jahrgang der „Gartenlaube“ haben wir wieder neue, geschmackvolle Leinwanddecken nach der Zeichnung von Prof. Fr. Wanderer, deren Decken-Pressung nebenstehende Reproduktion zeigt, anfertigen lassen. Die Decken sind in olivenbrauner Farbe mit Gold- und Schwarzdruck sehr elegant hergestellt und zum Preise von

Mk. 1,25

durch alle Buchhandlungen, welche die „Gartenlaube“ liefern, zu beziehen. Mit Benutzung derselben ist jeder Buchbinder im Stande, zu verhältnißmäßig billigem Preise einen soliden und eleganten Einband herzustellen.



Inhalt: Zwei Weihnachten. Gedicht von Otto Sievers. Mit Illustration. S. 841. – Edelweißkönig. Eine Hochlandsgeschichte. Von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 842. – Unsere Hausglocke. Eine Weihnachtsgeschichte von W. Heimburg. S. 849. Mit Illustrationen S. 849-856. – Christnacht im Walde. Gedicht von Julius Lohmeyer. S. 856. Mit Illustration S. 857. – Ein wunderlicher Heiliger. Novelle von Hans Hopfen (Fortsetzung). S. 856. – Blätter und Blüthen: Ein Weihnachtsbrief. Von C. Lionheart. S. 862. – Christrose. Mit Illustration. S. 863. – Die Weihnachtsfee. S. 863. Mit Illustration S. 844 und 8845. – Weihnachtsabend in den Alpen. Von M. Haushofer. S. 864. Mit Illustration S. 861. – Nußknacker. S. 864. Mit Illustration S. 848. – Einbanddecke zur „Gartenlaube“. S. 864.


Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das vierte Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift, wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

manicula 0 Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden. Die Verlagshandlung. 0


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_864.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)