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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Berliner Winter.

Plauderei von Paul von Schönthan.0 Mit Illustrationen von H. Schlittgen.

Der Winter ist die haute saison, das eigentliche Lebenselement des Großstädters, im November beginnt die Zeit der Gesellschaften, die Theater aber spielen in dieser Epoche ihren Trumpf aus, wenn sie einen haben, die Hochfluth der Koncerte durchbricht etwas später alle Dämme, das Kneipenleben florirt, und die „Vereinsmeierei“ steht in voller Blüthe.

Die Berliner „Gesellschaften“ genossen ehedem einen eigenartigen Ruf. Vor vierzig Jahren ungefähr erlebte der Berliner Salon seine Blüthezeit, als Geibel sang:

„In der Gesellschaft, wo am blanken Theetisch
Das Wasser brodelt und der Blaustrumpf glänzt,
Und wo prosaisch bald und bald poetisch
Des Geist’s Rakete durch die Luft sich schwänzt.“

Es gab musikalische, ästhetische, philosophische Zirkel, in deren Mittelpunkt die Eigner gefeierter Namen standen. Tieck, Schelling, Cornelius, Eichendorff, Humboldt, Franz Kugler, Varnhagen von Ense, Bettina von Arnim und Andere. Der Glanz dieser berühmten Salons erlosch allmählich, wichtige politische Themata, die sich in den Vordergrund drängten, verscheuchten das schöngeistige Geplauder über Meyerbeer’s neue Opern, Heine’s Poesien und Hegel’s Philosophie. Die Berliner Geselligkeit hat nicht aufgehört, aber jene schöngeistigen Salons sind verschwunden, und der „blanke Theetisch“ ist zur Mythe geworden. Kein Wirth unternimmt es heut zu Tage – wie einst Ludwig Tieck – seine Gäste durch eine Vorlesung zu ergötzen, und wenn wirklich einmal von ein paar Leuten ein künstlerisches oder litterarisches Thema aufgegriffen wird, so nehmen die Urtheile alsbald eine Schärfe an, die dem leichten Ton des geselligen Geplauders entgegengesetzt ist. Dagegen hat der Jourfix, die Gesellschaft, in der Oberflächliches geschwatzt, mittelmäßig musicirt und ohne wahre Begeisterung vielleicht auch noch getanzt wird, eine bemerkenswerthe Verbreitung selbst in jenen Kreisen gewonnen, die sich sonst keinen Aufwand erlauben zu dürfen glaubten. Die Nachsicht, die man gegenseitig übt, erleichtert das Mitmachen der Mode selbst für solche Familien, die nur vorübergehend sich in der Hauptstadt aufhalten oder aus irgend einem andern Grunde eine Wirthschaft nicht führen: zwei bis drei Wohnräume, die sich sehen lassen können, stehen bald zur Verfügung, und die Miethinstitute, deren Thätigkeit jetzt eben beginnt, sind so vortrefflich organisirt, daß sich die Hausfrau wegen der mangelnden Dinge, der Unvollständigkeit ihrer Beleuchtungsapparate, der Beschränktheit ihres Besitzes an Porcellan oder Silbergeräth keine Skrupel zu machen braucht. Unter dem Schutze der Dämmerung fährt der Wagen des Leihinstitutes vor, und im Nu sind Tafelaufsätze, zwiebelgemusterte Service und ein Nibelungenhort von Alfenide-Bestecken in die „Gesellschaftsräume“ hinaufgeschafft; Tische und Stühle, Leuchter und Lampen folgen – wenn man will, auch Bilder, und es ist, wie ich neulich gehört habe, sogar geplant, auch für ein entsprechendes Lager tadelloser Herren, die im Nothfalle als „Vierzehnte“ zu verwenden sind, wenn sich im letzten Augenblicke herausstellt, daß nur dreizehn Personen am Tische sitzen, Sorge zu tragen. Ach, wenn es doch so weit käme, daß diese Institute auch noch die schützende

Begleitung einzelner Damen, welche in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_017.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)