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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 2.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)


Ernst von Vogtriz, der Sohn des Majors, um ein paar Jahre älter als ich, war in dem Stalle von einem Reitpferde seines Vaters geschlagen worden und, gegen die Schläfe getroffen, auf der Stelle todt gewesen. Ernst hatte bereits in Oberquinta gesessen, während ich noch Unterquintaner war; aber ich kannte ihn wohl: er hatte große blaue Augen und braune Locken gehabt, die ihm weich und lang auf den breiten Hemdkragen fielen, und ein rosiges, immer freundliches, wunderhübsches Gesicht. Ich hatte nie ein Wort mit ihm gesprochen ihn dafür aber immer aus der Ferne mit scheuer Bewunderung angestaunt als eine Art von überirdischem Wesen, das sich natürlich um den armen Tischlerjungen und Unterquintaner nicht bekümmert hatte und nicht zu bekümmern brauchte. Und nun war er todt, und wer fütterte nun seine Kaninchen?

„Hat er denn welche gehabt?“ fragt der Vater.

Darauf bleibe ich die Antwort schuldig. ich weiß es nicht. Möglicherweise hat er keine gehabt: es haben ja viele Knaben keine; aber es scheint mir, daß es viel hübscher sei, welche zu haben und sie füttern zu können, als keine zu haben und noch dazu todt zu sein. Darüber fällt mir ein, daß Karl Brinkmann drüben auf dem Hopp’schen Hofe den Leichenwagen gewiß für Ernst von Vogtriz aus dem Schuppen gezogen hat und zurecht macht. Ich theile diese Entdeckiung, auf die ich sehr stolz bin, dem Vater mit, der sie mit einem Kopfnicken bestätigt, um, während er jetzt eifrig weiter arbeitet, eine dringende Warnung daran zu knüpfen vor Pferden im allgemeinen und den Hopp’schen Pferden im besonderen; und daß er sich immer geängstigt habe, wenn ich mit Gustav drüben im Pferdestall und auf dem Heuboden gespielt; und daß er hoffe, ich werde nun, da Gustav todt sei, und die übrigen Hopp’schen Kinder älter oder jünger als ich, diese gefährlichen Spiele nicht wieder anfangen.

Ich habe mich bereits gewöhnt, nach dem Vorgang des wilden Bruders August auf die Aengstlichkeit des guten Vaters, die uns überall von Gefahren umgeben sieht, kein großes Gewicht zu legen; aber in diesem Falle finde ich seine Sorge doch ganz gerechtfertigt. Daß ich gesund geworden bin, während zwei beinahe gleichaltrige Knaben, von denen der eine noch dazu mein intimer Freund gewesen ist, kurz hinter einander dem Tode erlegen sind, hat mir einen bedeutenden Respekt vor mir selbst eingeflößt und vor der Kostbarkeit meines so ersichtlich geschützten Lebens. Ich verspreche also mit ordentlicher Rührung dem Vater, in Zukunft besonders vorsichtig zu sein, und berühre dabei mit dem Finger unwillkürlich die Narbe auf meiner Stirn, von der erst seit einigen Tagen die


Die kleine Strickerin.0 Nach einem Oelgemälde von Adolf Echtler.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_021.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)