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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ich hatte ihn nicht kommen hören und sehen, aber ich fühlte plötzlich, daß der Vater neben mir stand. Ohne aufzublicken und nur noch heftiger weinend, hielt ich ihm das Medaillon hin. Er nahm es mir schweigend aus der Hand, ohne ein Wort zu sagen. Ich sah durch die geschlossenen Augen, während ich, jetzt leiser, weiter schluchzte, wie er das Bild betrachtete, und fühlte nun, daß seine Augen sich zu mir hoben. Ich blickte empor. Seine Augen ruhten auf mir schmerzensreich, unendlich mitleidsvoll.

„Sie hat mich nie geküßt!“ schrie ich und stürzte mich an seinen Hals.

Er drückte mich fest an seine Brust, die sich stürmisch hob und senkte. Und dann brach aus der treuen verschwiegenen Brust ein Stöhnen, das mich erschreckte. Ich wollte mich aus seinen Armen lösen; aber er preßte mich nur noch heftiger an sich. Ich sollte die Thränen nicht sehen, die der verlassene, liebekranke Mann auf das Haupt des verlassenen, liebekranken Knaben weinte.


7.

Seit jenem Winternachmittage war in meinen Gefühlen zur Mutter eine Wandlung eingetreten. Nicht, als ob ich sie nicht noch geliebt hätte ich hätte ebensowohl aufhören können zu athmen – aber in meine Liebe hatte sich ein Etwas gemischt, das ich früher nicht gekannt hatte. Mir war es früher nur als ein Verhängniß erschienen, daß ich von ihr nicht geliebt wurde, jetzt fing ich an, darin ein Unrecht zu erblicken, welches sie mir anthat. Ich wäre darauf sicherlich nicht für mein Theil verfallen. Aber ich hatte mein Leid in dem des Vaters wie in einem Spiegel gesehen, und es stand nun in einem anderen, klareren Lichte vor mir. War doch, was da an dem guten Vater geschah, das baare Unrecht. Warum war sie seine Frau geworden, wenn sie nichts mit ihm zu schaffen haben wollte? ihn sich von Morgen bis in die Nacht hinein in der dunklen Werkstatt abmühen ließ, ohne ihm ein freundliches Wort, einen freundlichen Blick zu gönnen, ja, ohne ihn tage-, was sage ich! wochenlang auch nur zu sehen? Denn sie nahm, was sie früher wenigstens nicht gethan hatte, jetzt auch ihre Mahlzeiten allein, und das Geschirr, dessen sie sich dazu bediente, durfte von Niemand sonst benutzt werden, als wenn eine Berührung von anderer Hand es verunreinigt haben würde. So durfte ich auch, wenn ich zu ihr kam, nur immer auf einem bestimmten Stuhle sitzen, den ich dann in eine Ecke zu tragen hatte, wo ich ihn das nächste Mal wieder vorfand – ein für sie unbrauchbares, durch mich entheiligtes Möbel. Der Vater sagte: „Es liegt in ihren Nerven. Sie hat einmal ein schweres Unglück gehabt, das sie in eine lebensgefährliche Krankheit warf. Davon ist sie nie wieder völlig genesen, und nun treten die schlimmen Folgen nur deutlicher auf. Wir müssen Mitleid mit ihr haben.“

Ach, er hatte ja mit aller Kreatur Mitleid. Mit einer Fliege, die er sorgsam aus der Schale Wasser rettete und in die Sonne setzte; mit einem zertretenen Wurm im Wege, den er lieber, so schwer es ihm ankam, selber tödtete, damit das arme Geschöpf nicht länger sich zu quälen brauchte! Wie sollte er nicht Mitleid haben mit ihr, welche er, wie ich jetzt weiß und damals wenigstens ahnen konnte, mit der Gluth eines Jünglings hoffnungslos liebte?

Woher ich das ahnen konnte?

Aber hatte es sich denn nicht auch bereits, ihn jetzt mit verwunderter Neugier, jetzt mit ahnungsvollem Bangen erfüllend, in Sinnen und Herzen des Knaben-Jünglings zu regen begonnen? und war jenes Bild der Mutter und die heißen Thränen, die er bei dem Anblick desselben vergossen, für sein junges Herz nicht gewesen, was ein Frühlingsgewitter für die sprossende dürstende Saat?

(Fortsetzung folgt.)

Römische Cäsaren.

Von Johannes Scherr.
Caligula.
(Fortsetzung.)


Mit dem Bluttrinken steigerte sich der caligula’sche Blutdurst. Nach Macro und seiner Frau kam die Reihe des „Expedirtwerdens“ an den hochangesehenen Marcus Junius Silanus, dessen Tochter Junia Claudilla die erste Gemahlin des Kaisers gewesen war. Diese Schwiegervaterschaft schützte den alten Herrn nicht vor dem Befehl, sich mit einem Rasirmesser den Hals abzuschneiden, weil er seinen kaiserlichen Schwiegersohn, „als dieser bei stürmischer See zu Schiffe ging, nicht habe begleiten wollen, offenbar in der Absicht, sich, so dem Kaiser im Sturme ein Unglück zustieße, der Herrschaft zu bemächtigen." Nun folgten einander die Hinrichtungen um so zahlreicher und rascher, als mit denselben die höchst einträglichen Confiscationen der Vermögen der Hingeschlachteten verbunden waren und der Wegfall gerichtlicher Weitläufigkeiten das lohnende Mordgeschäft so höchst bequem erscheinen ließ. Reich zu sein, wurde ein Verbrechen in dem immer rascher sich vergrößernden Maß, in welchem die rasende Verschwendung des Kaisers sein Geldbedürfniß unersättlicher machte. Die „stolzen“ Römer ließen diese Raubmördereien über sich ergehen ohne zu mucksen.

Mitten in seiner blutigen Finanzerei traf nun den Wütherich ein Schlag, welcher den kaiserlichen Narren zu neuen Tollheiten stachelte. Seine Lieblingsschwester Drusilla erkrankte und starb. Der Kaiser wurde toll darob. Er befahl nicht nur, der Todten eine Bestattungsfeier von beispielloser Pracht zu rüsten, sondern verordnete zum Zeichen allgemeiner Landestrauer einen vollständigen Gerichts- und Geschäftsstillstand, während dessen es als ein todeswürdiges Verbrechen angesehen und bestraft werden sollte, so jemand lachte, badete oder Familientafel hielte. Dann verbarg er sich in der Einsamkeit seiner Villa zu Albano, in allerhand Kindereien Zerstreuung suchend, brach plötzlich von dort auf, durcheilte wie im Fluge Campanien, fuhr von dort hinüber nach Syrakus und kehrte stracks nach Rom zurück. Hier erklärte er die Trauerzeit für geschlossen, befahl aber dem Senat, für die allerhöchstselige Drusilla göttliche Ehren einzusetzen. Hören und gehorchen war für diese Versammlung von Lakaien dasselbe. Einer der Herren Senatoren – Livius Geminus hieß der Wackere – that sogar noch ein übriges in der Niedertracht. Er leistete aus freier Hand einen feierlichen Eid, daß er mit seinen eigenen Augen die allerhöchstselige Drusilla gen Himmel fahren gesehen habe. Ein Senatsschluß erging, Drusilla sollte im Himmel Panthea, d. i. Allgöttin, heißen und es sollte ihr ein Tempel gebaut werden; ein goldenes Standbild der neuen Göttin sei in der Senatscurie, ein zweites von gleicher Art im Tempel der Venus aufzustellen, denn sie sollte der gleichen Verehrung genießen wie diese Tochter Jupiters. Darum sollten die römischen Frauen fortan nur noch bei der Panthea schwören. Der Kaiser selbst schwur von jetzt an nur noch bei der Gottheit Drusilla („per numen Drussilae“). In das Finale dieser ekelhaften Posse mischte Caligula eine Dosis brutalen Humors, indem er dekretirte, von Stund’ an sei jeder zu bestrafen, wer noch über den Tod der Drusilla traure; denn freuen müsse man sich vielmehr darüber, maßen sie ja dadurch eine Göttin geworden.

Die Bereitwilligkeit, ja Beeiferung, womit Senat und Volk den Drusilla-Cult angenommen hatten, forderte zu weiteren Leistungen in dieser Richtung auf. War es doch allzeit und überall die Knechtschaffenheit der Völker, was den Despotismus zur Veranstaltung seiner Orgien ermuthigte, und nur auf der Basis des Sklavensinns der Menschen vermag sich ein Schwindelbau der Tyrannei zu erheben. Das Rom, welches einen Narren von Despoten wie Caligula ertrug, verdiente ihn.

Wenn ich – so mochte der Kaiser kalculiren – im Handumdrehen aus der theuren Drusilla eine Göttin und die Leute an diese Gottheit glauben machen konnte, warum sollte ich nicht mich selber zu einem Gott machen können?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_047.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2024)