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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Gedacht, gethan. Hätte es dazumal einen shakspeare’schen Polonius in Rom gegeben, so würde er wohl auch in diesem Wahnsinn „Methode“ gefunden haben – („Thought this be madness, yet there’s method in it“). Denn, in Wahrheit, der caligula’sche Größewahn ging schrittweise und, so zu sagen, logisch vor: zuerst erhob er sich in seiner Einbildung über alle andern Menschen, dann machte er sich zum Halbgott und von diesem ließ er sich zum Ganzgott vorrücken. Beim Alexandriner Philo finden wir diesen Narrenlauf in aufsteigender Linie in seinen Anfängen so gegeben: „Seine, Caligula’s, ihm von der Natur überwiesene Aufgabe und Bestimmung sei die Obhut über die Menschen. Wie nun aber der Geißhirt kein Geißbock, der Rinderhirt kein Stier, der Schafhirt kein Widder sei, sondern ein Wesen höherer Ordnung, so stehe auch er, der Imperator urbis et orbis, der Herr der Welt, seiner Wesenheit nach hoch über den Menschen.“ Die Praktik dieser Theorie war, daß er sich den größten und besten Kaiser („Caesarem optimum maximum“) nannte und die „stolzen“ Römer, ohne alle Rücksicht auf Stand und Rang derselben, wie eine Heerde von Ziegen, Rindern und Schafen behandelte. Mit Vorliebe that er den Vornehmen, den Herren senatorischen und consularischen Ranges, an, was von Demüthigungen nur immer auszusinnen war. Wir werden an den Uebermuth Napoleons erinnert, welcher Rheinbundsfürsten neben seinem Wagenschlag hergaloppiren ließ, wenn wir hören, daß Caligula römische Senatoren zwang, in ihren schweren Togen neben seinem Wagen herzurennen. Alle die grausamen Tollheiten und mörderischen Spässe aufzuzählen, welche er als „Völkerhirt" verübte, müßte Langeweile und Ekel erregen.

Er fand es jetzt an der Zeit, der eigentlichen Vergottungsprocedur Raum zu geben, und spielte sich zuvörderst als Halbgott Hercules auf. Dann legte er sich den Namen und die Attribute des Bacchus und weiterhin die des Apollo bei. Schließlich fand er, daß damit seiner Göttlichkeit noch immer kein rechtes Genügen gethan wäre, und ließ die Erklärung ausgehen, er sei der höchste römische Nationalgott, nämlich der Jupiter Latiaris, und folglich an Rang dem Jupiter Capitolinus, mit dessen Standbild Zwiesprache zu halten er sich den Anschein gab, durchaus ebenbürtig und gleichstehend. Er erbaute seiner Gottheit einen prächtigen Tempel, in welchem als Priester amten zu dürfen für Römer der adeligsten Geschlechter eine eifrig gesuchte Ehre war. In der Cella dieses Tempels stand seine aus Gold gegossene Porträtstatue, welche täglich mit einem dem seinigen ganz gleichen Anzuge bekleidet wurde, und vor welcher täglich Flamingos, Pfauen, Fasanen, Perlhühner und andere kostbare Vögelarten als Opfer fielen. Dem Gotte ziemte auch eine Göttin zur Gemahlin. Daher lud der „Jupiter Latiaris“ in Vollmondnächten die Selene-Luna zum Ehebündniß ein.

Der Senat, Rom und die Provinzen fügten sich dem Willen und Befehl des tollen Tyrannen, daß sein Jupitersstandbild in allen Tempeln aufgestellt werde und daß die Anbetung seiner Göttlichkeit vor den Culten aller andern Götter den Vorrang haben müßte. Nur ein Volk unter allen im römischen Reiche gab es, welches den ehrenwerthen Muth hatte, dieser wahnwitzigen Ueberhebung sich nicht fügen zu wollen: das jüdische. Den Juden, deren strenger Monotheismus und Spiritualismus nicht einmal eine bildliche Darstellung ihres Nationalgottes Jahve duldete, mußten die Vergötzung eines Menschen und die Aufstellung von Standbildern des Vergötzten in ihren Synagogen der Gräuel aller Gräuel sein. Ueberall, wo sie in größerer Zahl niedergelassen waren, erklärten sie kühn und entschieden, der Vollziehung des bezüglichen Senatsbeschlusses Widerstand entgegenstellen zu wollen. Und sie thaten so, wo immer sie es vermochten. Namentlich in Alexandria, in welcher Welthandelsstadt sie ja ein Drittel der Bevölkerung bildeten. Ihr mannhafter Widerstand gegen den befohlenen Blödsinn führte zu einem heftigen Tumult und blutigen Straßenkampf, wodurch die Juden allerdings besiegt, aber doch nicht zur Idololatrie bekehrt wurden. Als für ihre Volksgenossen in Judäa selbst sowohl als für die überall zerstreuten nochmals der förmliche Befehl erging, das caligula’sche Idol im Tempel zu Jerusalem und in allen Synagogen aufzustellen, machten die alexandrinischen Israeliten noch einen Versuch, diese Todsünde von Israel abzuwenden, indem sie wagten, den tollen Kaiser die Sprache der Vernunft und Gerechtigkeit vernehmen zu lassen.

Das versuchte jene alexandrinisch-jüdische Abordnung, an deren Spitze der berühmteste Jude von dazumal, der gelehrte Philo, als Sprecher stand. Dieser griechisch schreibende jüdische Autor hat uns einen Bericht über seine Sendung hinterlassen, welcher fraglos zu den interessantesten zeitgenössischen Aufzeichnungen gehört. Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang es endlich den jüdischen Abgeordneten, eine Audienz bei dem fahrigen Kaiser zu erlangen, aber nur zugleich mit einer andern alexandrinischen Deputation, einer heidnischen, antisemitischen, welche, geführt von einem gewissen Isidorus, den Auftrag hatte, die Juden zu verklagen und denselben entgegenzuwirken. Die feindlichen Abordnungen wurden in den weitläufigen Villen- und Parkanlagen der sogeheißenen Gärten des Mäcenas bei Sr. verrückten kaiserlichen Majestät vorgelassen, welche gerade jetzt neben ihren übrigen Suchten auch noch die Bausucht hatte und beständig von einem Schwarm von Bau- und Gartenkünstlern umgeben war, Pläne besichtigend, den und jenen billigend, um denselben im nächsten Augenblick wieder zu verwerfen, stündlich etwas wollend und wieder nicht wollend, Befehle hervorsprudelnd und sofort widerrufend, umgetrieben wie ein Kreisel, unstät wie Wind und Welle. „Da fanden wir – meldet Philo – den Tyrannen, umgeben von Höflingen, Intendanten, Architekten und Werkleuten aller Art. Alle Sääle und Hallen waren weit aufgethan und er rannte aus einem Gelaß ins andere. Als wir vorgerufen wurden und der Kaiser in seinem wilden Herumfahren einen Augenblick innehielt, begrüßten wir ihn ehrerbietig als Augustus und Imperator.“ Er runzelte sie an mit den Worten: „Aha, ihr also seid die Gotthasser, welche meine doch von der ganzen Welt anerkannte Göttlichkeit leugnen?“ Sprach’s, hob die Hände gen Himmel und fluchte gräulich. Die alexandrinisch-antisemitischen Abgeordneten klatschten Beifall, sprangen und tanzten vor Freude, begrüßten schmeichlerisch-sklavisch den Gott-Kaiser und ihr Sprecher Isidor sagte: „Du wirst, o Herr, die Juden noch mehr verabscheuen, wenn du erfährst, daß sie sich geweigert haben, für deine Wohlfahrt zu opfern.“ Darauf schrien ihrerseits die Juden: „Herr Gajus, wir werden verleumdet. Wir haben geopfert für dich, haben dargebracht Hekatomben für dich, und zwar nicht einmal, sondern dreimal." Worauf Caligula: „Nun wohl, gesetzt, ihr habt geopfert, so habt ihr doch nur für mich geopfert, nicht aber mir.“ Damit wieder auf und davon. Die Juden und die Antijuden ihm nach, Trepp’ auf Trepp’ ab, von Gemach zu Gemach, immer hinter dem Kaiser her und einander mit umgekehrten Liebenswürdigkeiten überhäufend. Plötzlich blieb Caligula wieder stehen und schnarrte, zu den Juden gewendet: „Sagt mir mal, warum eßt ihr kein Schweinefleisch?“ Die Antisemiten lachten, aber Philo gab auf die höhnische Frage des Tyrannen die ganz verständige Antwort: „Jedes Volk hat seine besonderen Sitten, auch unsere Feinde haben ihre Eigenheiten und es gibt ja auch Völker, welche Lammfleisch nicht essen mögen.“ Darauf der Herr Gajus: „Das begreift sich, Lammfleisch schmeckt schlecht.“ Er lachte, überzeugt, daß er einen guten Witz gemacht hätte, und fügte nach einer Pause hinzu. „Laßt mal hören, wie stellt ihr euch denn eigentlich zum römischen Staat?“ Eine verfängliche Frage, allein ein so gewandter Wortschaumschläger wie Philo schrak vor der Beantwortung derselben nicht zurück. Er stellte sich in Positur und begann eine gelehrte Auseinandersetzung der religiösen und politischen Anschauungen und Grundsätze seines Volkes, kam aber damit nicht weit. Denn der Kaiser rannte abermals weg, um die Einsetzung eines aus durchsichtigem Stein geschnittenen Fensters in einem der Sääle zu überwachen. Die Juden immer hinter ihm her. Wieder zu ihnen gekehrt, befahl er: „Fahrt fort.“ Allein kaum hatte der jüdische Redner angesetzt, so stürzte der Kaiser wieder fort, um die Aufstellung von etlichen Gemälden anzuordnen. „Wir gingen ihm immer nach – sagt Philo – mehr todt als lebendig vor Angst, und während wir rechtfertigende und flehende Worte an den Kaiser zu richten wagten, wandten wir uns im stillem Gebet an den großen Gott unserer Väter. Und siehe, der blickte gnädig und erbarmungsvoll auf uns und lenkte des Kaisers Herz zum Mitleid.“

In der That endete die Audienz besser, als zu erwarten war. Nach langem Hin- und Herlaufen blieb Caligula schließlich vor den Juden stehen und entließ sie, halb mitleidig halb

vorwurfsvoll, mit den Worten: „Menschen, welche mich nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_048.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2024)