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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

mich! Um Lotte war er gekommen, um Lotte gegangen, für Lotte nur hatte er Augen gehabt; das, was für mich abfiel, das hatte ihrer Schwester gegolten, der treuen Pflegerin des Prinzeßchen. Ach Lotte, ich gönne Dir ein jedes Glück; nur dieses nicht! Nur dieses nicht!

Und nun sollte ich hinauf und für ihn sprechen bei ihr! Als ob das Schicksal mir den Trank noch bitterer machen wollte! Was hatte ich denn verbrochen, daß mir der liebe Gott von allen Rosen nur die Dornen gab?

So saß ich in der Kälte auf der Treppe; eisig die Füße, glühend der Kopf und die Hände geballt; ich hätte ersticken mögen vor Zorn und Weh und Scham, und ich fand weder Thränen noch Worte. Darum war ich hierher gekommen, darum? Endlich erhob ich mich, ein lähmendes Gefühl in allen Gliedern, und kam durch die Stille in unser Schlafzimmer. Am Plafond brannte die Ampel aus mattrothem Glase, ohne deren Licht Lotte nicht schlafen zu können behauptete, die sie mit tausend Thränen vor der Versteigerung gerettet hatte. Ein rosiger Schein erfüllte das Gemach, ließ das Deckengemälde in alter Frische aufleuchten und webte mild verschönernd über die Stuckguirlanden der Wände und

die alten Meubel meiner Mutter. Lautlos still war es hier innen; Lotte schlief. Sie lag in den weißen Kissen, die Haare, die ich ihr nicht wie sonst eingeflochten heut Abend, unordentlich über den Pfühl verstreut. So unhörbar athmete sie, daß man meinen konnte, es sei keine Spur von Leben in dem schönen Geschöpf.

Ich setzte mich an ihr Bett und wandte kein Auge von ihr; ich kam mir selbst unheimlich vor, wie ich sie so betrachtete. Sie sah freundlich aus im Schlafe, ein weicher Zug lag um den Mund, den sie sonst nur selten hatte; es war etwas in ihrem Gesichtchen, das mich rührte, wider Willen rührte. Was konnte sie für ihren Liebreiz? Was dafür, daß der große „Bär“ sich so rettungslos in sie verliebt, wie in jenem Märchen das Unthier in die Prinzessin? Es ist ihr Verhängniß, ihr Schicksal – ihr durfte ich nicht zürnen!

Und ihm? – Nein! flüsterte ich und sank neben der Schlafenden nieder. Niemand hatte mir weh gethan, nur ich allein trug die Schuld. Und da kamen die heißen Thränen, und wie ich sie mit Gewalt zu hemmen versuchte, klang es wie ein unterdrückter Schrei.

(Fortsetzung folgt.)




Römische Cäsaren.

Von Johannes Scherr.
Caligula.
(Schluß.)
4.

Was vom „Gott Gajus“ noch zu melden, ist nur eine ununterbrochene Reihe von Tollheiten. Wenn die römische Gesellschaft von damals nicht gewesen wäre, wie sie war, müßte man noch jetzt, nach achtzehn Jahrhunderten, erstaunt fragen: Aber warum hat man denn das Unthier nicht in eine Zwangjacke gesteckt und in eine Tobzelle gesperrt? Daß man daran nicht entfernt dachte, beweist unwidersprechlich den Umfang und die Abgrundtiefe der moralischen Pestilenz, von welcher die antike Welt durchseucht war. Man muß die römischen Cäsarenwirthschaft kennen, um die Möglichkeit vom Aufkommen des Christenthums zu verstehen. Die Entwickelung der Menschheit schreitet ja nicht auf dem göthe’schen Wege „ruhiger Bildung“ voran, sondern sie wirft sich vielmehr in Extremen hin und her und macht sich gar nichts aus Sprüngen, wie, beispielsweise zu reden, der Sprung von einem Caligula zu einem Simeon Stylites einer war.

Dies gesagt, werfen wir noch einen Blick auf den kaiserlichen Narren, von dem zu berichten ist, daß er in seiner Art auch ein zärtlicher Vater gewesen. Da seine drei ersten Ehen kinderlos geblieben, hatte er eine unbändige Freude, als ihm seine vierte Frau, die Milonia Cäsonia, eine Tochter gebar – am dreißigsten Tage nach der Hochzeit. Das wäre, erklärte er, ein Wunder, was eben wiederum bewiese, daß er, der Vater, ein Gott. Er ließ das Kind, welchem er die Namen Julia Drusilla gab, in den Tempelm aller Göttinnen herumtragen und es dann in dem der Minerva dem Bilde derselben auf den Schoß legen, weil diese Göttin die richtige Amme für einen Sprössling des Jupiter Latiaris sein müßte.

Die Bauwuth des Kaisers ging auf das Kolossale, nämlich auf das kolossal Verrückte. Was sonst soll und kann man von dem berühmten, rein nur einer tollen Laune entsprungenen Brückenschlag über den Golf von Bajä sagen, wodurch Bauli und Puteoli für kurze Zeit mitsammen verbunden wurden? Warum? Weil während Caligula’s Jugend der angesehene Wahrsager Thrasyllus geweissagt hatte, der Knabe Gajus würde so wenig Kaiser werden, als derselbe jemals zu Wagen über den Golf von Bajä fahren könnte, und der Kaiser Gajus diese Prophezeiung lügenstrafen wollte. Er that so, ritt, angethan mit der angeblichen Rüstung Alexanders des Großen, unter großem Gepränge und mit zahlreichem Heergefolge von Bauli auf der mit unsinnigem Aufwand improvisierten Brücke nach Puteoli, allwo er wie ein Eroberer einzog, und dann fuhr er im Anzug eines Cirkuskutschers der „Grünen“ auf einem Triumphatorwagen von Puteoli zurück nach Bauli, laut sich rühmend, daß er das Meer besiegt und Größeres vollbracht habe als Dareios und Xerxes mit ihrem Brückenschlagen über den „miserabeln“ Hellespont. Es mag erlaubt sein, zu vermuthen, daß er, zu seinen vertrauten Höflingen gewandt, noch hinzugefügt habe: „Dem alten Esel, dem Thrasyllus, hab’ ich seine Orakelei tüchtig versalzen – hab’ ich nicht?“

Auch Fraß und Völlerei – man darf, so man bei der Wahrheit bleiben will, dafür keinen anständigeren Ausdruck gebrauchen als diesen biblischen – trieb er ins Ungeheuerliche, ins Gargantuahafte. Seine Narrheit war, im Tafelluxus zu leisten, was vor ihm noch nie geleistet worden, und so brachte er es glücklich dazu, die Kosten einer einzigen Mahlzeit auf die unglaubliche Höhe von 2 Millionen Franken hinaufzurasen. Um die Möglichkeit einer solchen Vergeudung begreiflich zu finden, muß man sich erinnern, daß ein älterer Zeitgenoß Caligula’s, der Eßkünstler Apicius, ein Vermögen von hundert Millionen Sesterzien (20 Millionen Franken) verschleckt und verschlemmt hatte und sich das Leben nahm, weil er die ihm noch verbleibenden 2 Millionen Franken zur anständigen Ernährung für unzulänglich hielt.

Seine Großthat von Bajä scheint dem Kaiser-Narren Geschmack an Triumphalpompen erregt zu haben. Großmannssucht und immer wachsende Geldnoth vermochten ihn, Feldzüge oder vielmehr Raubzüge nach Germanien und Gallien zu unternehmen. Was uns darüber überliefert ist, klingt so unerhört, so absonderlich, so läppisch, daß wir versucht sind, anzunehmen, wir hätten es hier nicht mit Berichten von Thatsachen, sondern nur mit mehr oder minder witziger Karikaturmalerei zu thun. Wir wollen darum diese Schnurrpfeifereien, welche den Uebergang von Caligula’s Wahnwitz zum Blödsinn angekündigt haben würden, hier nicht wiederholen. Diese Dummheiten, wahr oder erfunden, waren doch gar zu dumm. Daß der Kaiser für seine „Feldzüge“ in Germanien und Gallien, sowie für seine sogenannte „britische Expedition“ – er kam gar nicht nach Britannien – die Ehre eines Triumphes beanspruchte, verstand sich von selbst. In einem lichten Moment scheint ihm aber die ungeheuerliche Lächerlichkeit dieses Anspruchs doch so eingeleuchtet zu haben, daß er, was ja nur eine possenhafte Travestie gewesen wäre, unterließ und bei seiner Rückkehr nach Rom mit einer „Ovation“ sich begnügte. Uebrigens ist der Erwähnung werth, daß es, wenn nicht im versklavten Rom, so doch in den Provinzen da und dort einen Menschen gab, welcher die caligula’sche Gottheitsposse für das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_067.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2020)