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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

hielt, was sie war. Beim Dion ist zu lesen, daß ein Gallier spottlächelte, als er eines Tages den Kaiser, mit allen Insignien des höchsten Gottes Jupiter angethan auf seinem Tribunale sich spreizen sah. Caligula bemerkte es und that an den Mann die Frage, was selbiger von ihm dächte. „Daß du ein abgeschmackter Narr seiest,“ lautete die unverblümte Antwort. Auch dazumal mag der nachgeäffte Jupiter einen lichten Moment gehabt haben, denn der aufrichtige Provinzbewohner kam nicht nur mit dem Leben, sondern überhaupt ungestraft davon.

Soweit die Lückenhaftigkeit des uns zu Gebote stehenden Quellenmaterials es gestattet, mit einiger Sicherheit zu urtheilen, scheint nach der Rückkehr des Kaisers von seinen „Feldzügen“ der Wahnwitz desselben die letzte Kraft angespannt und ausgetobt zu haben. Caligula, nur auf die theuer erkaufte Zuverlässigkeit seiner aus „barbarischen“, d. h. gallischen, belgischen und germanischen Landsknechten bestehenden Leibgarde sich verlassend, machte jetzt den herkömmlichen Formen und Normen des römischen Staatswesens keinerlei Zubilligung mehr, sondern gab sich auch äußerlich als das, was er innerlich war, als vollendeter Sultan und Tyrann. Der Schrecken herrschte in Rom, und wie so ganz dieser Terrorismus dem Sinne des Kaisers entsprach, läßt sich daraus errathen, daß er häufig und gern die bekannte Phrase aus einer Tragödie des Attius im Munde führte: „Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.“ Das Material zu unausgesetzten Hinrichtungen mußten ihm Komplotte liefern, wirkliche oder auch à la Bonapartismus gemachte. Delatoren und Denuncianten hatten einen größeren Stand als je. Der gesammte Senat kroch und wedelte hündisch vor dem Freigelassenen Protogenes, dem infamsten der Angeber. Die Mordsucht Caligula’s gefiel sich immer mehr in der Austiftelung von Grausamkeiten. Er pflegte den Abschlachtungen anzuwohnen und, so der Henker ein Opfer unter den Händen hatte, zu jenem zu sagen: „Triff ihn so, daß er das Sterben auch recht fühle (ita feri, ut se mori sentiat)!“ Jeder Schuljunge weiß dem Sueton nachzuerzählen, daß, als eines Tages im Cirkus ein Wettfahrer von einer andern Farbe als der kaiserlichen den Preis errungen hatte und die Zuschauermenge dem Sieger zuklatschte, der Kaiser wüthend aufgeschrieen habe: „Oh, ich wollte, das ganze römische Volk hätte nur einen Hals!“

Der gute Sueton, dessen starke Seite die Kritik bekanntlich nicht gewesen ist und der die gränzenloseste Leichtgläubigkeit mit seinem antiquarischen Wissen und Gewissen in Harmonie zu bringen verstand, weiß von allerhand Vorzeichen des bevorstehenden Untergangs Caligula’s zu berichten. Unter anderem, daß im Tempel zu Olympia das weltberühmte Zeusbild, welches auseinanderzunehmen und nach Rom zu schleppen der Kaiser-Narr befohlen hatte, plötzlich in ein schütterndes Gelächter ausgebrochen sei, so daß die Arbeiter entsetzt von dem wankenden Abbruchsgerüste wegflüchteten. Es bedurfte jedoch weder dieses noch eines anderen „Omens“, um erkennen zu lassen, daß es mit der Dauerhaftigkeit eines Kaisers wie Caligula übel bestellt sei und sein Ende schwerlich ein friedliches sein werde. Zumal mit dem wachsenden Steuerdruck die Popularität des Tyrannen sichtbarlich abgenommen hatte.

Indessen hätte Caligula bei der jämmerlichen Verknechtung von Senat und Volk wohl noch lange den Presser, Prasser und Wütherich spielen können, falls er es über sich gewinnen konnte, seinen Witz zu zügeln. Ja, es ist kennzeichnend für das damalige Rom, daß nicht die schandbare Mißregierung des Kaisers seinen Fall herbeiführte, sondern vielmehr die plumpe Spottsucht, welche er auch an den Herren seiner nächsten Umgebung auszulassen liebte, an Leuten, von welchen doch seine Sicherheit vorzugsweise abhing.

Da war ein Bataillonskommandant von der Garde (tribunus cohortis praetoriae), Cassius Chärea, welchen der Kaiser zur Zielscheibe seines Spottes gemacht hatte. Dieser schon in vorgerücktem Alter stehende Officier besaß ein mangelhaftes Sprachorgan, eine dünne Weiberstimme, welche beim Kommandiren leicht in widrige Fisteltöne umschlug. Caligula, welcher doch selber mehr kreischte und krächzte als sprach, ließ keine Gelegenheit vorübergehen, den Gardetribun darob zu verhöhnen. Selbst bei dienstlichen Vorkommnissen, wann der Kommandant die Tages- oder Nachtparole bei dem Kaiser holte, mußte er sich bitterkränkend-unsaubere Anspielungen gefallen lassen. Cassius Chärea war aber nicht der Mann, das zu verzeihen oder lange zu dulden. Er faßte den Entschluß, sich selbst von seinem Verspotter und Rom von seinem Tyrannen zu befreien. Zu diesem Zwecke Mitverschworene zu finden, konnte ihm nicht schwer fallen. Denn das Wüthen Caligula’s war zuletzt so launisch geworden, daß niemand mehr auch nur für eine Stunde seines Lebens versichert sein konnte. Hatte der verrückte Wütherich doch kürzlich den Lieblingsgenossen seiner Wüstlingschaft, den Komödianten Apelles, in einem Augenblick des Unbehagens umbringen lassen. Und hatte er nicht unlängst zu seiner Frau Cäsonia, während er ihren Hals betrachtete, gesagt: „So hübsch er ist, ein Wink von mir und er wird abgeschnitten“ –? Auch der Günstling des Tages, der Freigelassene Callistus, traute der kaiserlichen Gunst so wenig, daß er sich schon einmal in ein Komplott eingelassen hatte und jetzt den Eröffnungen Chärea’s williges Gehör schenkte. So that weiterhin Chärea’s Waffenkamerad, der Bataillonskommandant Cornelius Sabinus, und so thaten noch verschiedene Stabsofficiere und Hauptleute von der Garde. Es war die richtige Militärverschwörung. Auf die kürzeste Formel gebracht, war ihre Losung: Morden, um nicht gemordet zu werden.

Verschiedene Mordanschläge erwiesen sich als unausführbar. Aber zögern durfte man nicht länger. Denn schon ging ein Geraune vom Bestehen des Komplotts im Palast und in der Stadt um. Also sollte bei Gelegenheit der zum Gedächtniß des Augustus und der Livia Augusta eingesetzten sogenannten palatinischen Festspiele, für welche eigens ein Theater neben dem kaiserlichen Palatium erbaut worden war, der Schlag geführt werden.

Er wurde am 24. Januar des Jahres 41 geführt, dem fünften und letzten Festtag.

Der Kaiser saß in seiner Loge, von denselben Officieren und Kämmerlingen umgeben, die zu seinem Verderben verschworen waren. Er hatte am vorhergegangenen Abend bis tief in die Nacht hinein geschlemmt und litt daher an jenem Uebelbefinden, welches man die Reue des Magens nennt. Er war appetitlos und hatte, als es Mittag geworden, keine Lust, zum Prandium (Frühmahl) ins Palatium zu gehen. Auf Zureden der Hofleute that er es aber doch, erhob sich und verließ das Theater, welches mittels einer unterirdischen Galerie mit dem Palast in Verbindung stand. In dieser Galerie hielt gerade ein aus Asien verschriebener Chor vornehmer Jünglinge, welcher auf der Bühne mitwirken sollte, eine Gesangprobe ab. Caligula, dem sein Oheim Claudius und sein Schwager Vinicius, welche von dem Bevorstehenden keine Ahnung hatten, voranschritten, hielt inne und hörte dem Gesange zu, welcher eine auf seine liebwerthe Person komponirte Lobhudelhymne war. Er wollte dieselbe wiederholen lassen, als die verschworenen Officiere, welche derweil ihre Schwerter in den Scheiden gelockert hatten, sich an ihn herandrängten. Der Tribun Sabinus sprach den Kaiser an, damit derselbe geruhte, das Losungswort für den Tag auszugeben. „Jupiter,“ sagt Caligula. „Nimm das von seinem Zorn (accipe iratum)!“ schreit Chärea und durchhaut von hinten mit einem Schwertstreich dem Kaiser den Nacken. Der Getroffene macht eine halbe Wendung, da ruft Sabinus „Noch eins!“ und durchbohrt ihm die Brust. Caligula stürzt zu Boden und „Noch eins!“ schreien die übrigen Verschworenen und machen mit dreißig Hieben und Stößen ihrem zappelnden und wimmernden Opfer den Garaus.

So starb Gajus Cäsar Caligula, neunundzwanzigjährig, nachdem er 3 Jahre 10 Monate und 8 Tage lang geherrscht hatte. Auch er ging nicht allein zum Orkus hinab: seine Frau Milonia Cäsonia erstach ein Gardehauptmann, der armen kleinen Julia Drusilla zerschmetterte ein anderer den Kopf an einer Mauer.

So war denn auch hier die zaudernde Nemesis schließlich doch erschienen. Freilich, das ist eine recht altfränkische Anschauung, welche in der jetzt, namentlich in Deutschland, modischen „Geschichtewissenschaft“ keinen Kurs mehr hat. Was soll uns noch die „wissenschaftlich abgethane“ Vorstellung von Schuld und Sühne als von Motiven der Tragödie Weltgeschichte? Die Propheten neuester Sorte haben uns ja den Staar gestochen, haben uns belehrt, daß der Mensch keinen freien Willen, keine Wahl zwischen recht und schlecht, gut und bös, Tugend und Laster hätte und folglich auch keine Verantwortung seines Thuns und Lassens. Demzufolge sei die Weltgeschichte nichts anderes als eine mechanische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_070.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2023)