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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 5.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Was will das werden?

(Fortsetzung.)


11.

Es war also einmal ein armer Junge, der hieß Peter Lorenz, gerade wie ich.

Er war aber ‚oben vom Walde‘, wie sie in jener Gegend sagen. Und er durft’s gewiß sagen: sein heimisch Dorf lag nicht nur ganz ‚oben‘ auf dem Kamme, es war auch ganz ‚vom Walde‘ umgeben. Alles fürstlicher Wald. Es mochte eine Zeit gewesen sein, wo nicht aller Wald fürstlich war, oder aber die fürstlichen Hirsche haben es zu arg getrieben. Jedenfalls ging einer seiner Aelterväter zu schlimmer Stunde, da der Mond schien, in den Wald und schoß ein paar Hirsche todt, wofür er denn auf einen lebendigen Hirsch gebunden wurde, hinter dem man die Meute losließ, die das Thier zu Tode hetzte und zerriß und seinen Aeltervater auch, der aber hoffentlich vorher schon todt war.

Es mag der letzte Fall im Lande gewesen sein, wo man etwas so Gräßliches beging, und wohl schon ein paar Jahrhunderte her. Aber die Sage davon hatte sich erhalten, ja, war in einem Holzschnitte dargestellt worden, welcher in der einzigen Stube an der Wand dicht unter der Decke hing. Der arme Junge hatte ihn so oft angesehen: er konnte, wenn er wollte, die Augen fest zumachen und sah ihn doch: den Hirsch, der sehr lange, steife Beine hatte, mit dem armen nackten Menschen auf dem Rücken, voraufspringend vor vielen Hunden her, die auch alle auf sehr langen und steifen Beinen liefen, dem Walde zu, über welchem eine Sonne mit Strahlen nach allen Seiten aufging. Wieder über der Sonne war der liebe Gott mit Engeln und Teufeln zur Rechten und Linken und sonst noch Mancherlei, was der arme Peter aber nicht deutlich erkennen konnte, denn das Bild hatte an seiner Stelle schon viele, viele Jahre gehangen und war schier so schwarzbraun wie der wurmstichige Rahmen, von dem Rauch, der aus dem Flur, wo die Esse stand, fortwährend in die Stube kam. Sein Vater war aber Nägelschmied, und seine Väter waren Nägelschmiede gewesen, und wer weiß, ob auch nicht schon der unglückliche Aeltervater, und ob er nicht aus eben unserem Häuschen an jenem schlimmen Morgen hervorgegangen ist. Denn alt genug war es dazu: ganz klein, auf einem Unterbau von zerbröckelnden Steinen, mit einem steinernen Treppchen, dessen Stufen völlig ausgehöhlt waren; sonst aus Holz und Lehm, Alles so schief und krumm und durchlöchert und verwittert – es war ein Wunder, daß es so viele Winterstürme durchgehalten.

Der erste Versuch.0 Nach dem Oelgemälde von G. del Torre.

Denn es stürmte des Winters gar grausam da oben auf dem Walde, und es war dann bitterkalt und die Kinder froren erbärmlich, trotzdem das Feuer auf der Esse im Flure während des Tages nie ausging und die glühende Asche des Nachts sorgfältig zugedeckt wurde, bis der

Vater sie, lange bevor der Morgen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_077.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)