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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


spielen. Es war tief dämmerig in dem Raume, ich konnte ihre Gesichtszüge nicht mehr unterscheiden.

„Ach, Lotte!“ bat ich.

„Ich habe geglaubt, eine Stütze würde er für uns sein,“ sprach sie, „habe gemeint, er könne uns aus unserem Elende emporheben – was hat es mich gekostet, ehe ich es vermochte zu ihm zu sprechen! Und was antwortet er mir nach allen Liebesbetheuerungen, nach der Versicherung, daß ein jeder Wunsch von mir Befehl für ihn?“ Und nun kopirte sie seine Stimme: „‚Nein, mein Kind, das verstehst Du nicht, bitte mich darum nicht!‘ – Gott im Himmel, Tone, ich bin mir vorgekommen wie eine Bettlerin, die man mit den Hunden vom Hofe jagt.“

„Er ist doch so vernünftig, Prinzeßchen: wenn er Dir etwas abschlug, war es zu Deinem Besten.“

„O ja, sehr vernünftig!“ klang es schneidend. „Aber diese Vernunft ist kalt wie Eis, man erfriert dabei. Rasches, warmes, leidenschaftliches Thun; ein Handeln, daß die Linke nicht weiß, was die Rechte giebt, ein Funke von Edelmuth – Du suchst ihn vergebens bei diesen Menschen, die ihr Leben verbracht haben, wie der Wurm im mehligen Körnlein. Ach, und an solchen Philister mußte ich gerathen!“

„Jetzt sage, was hat es gegeben?“

„O, Du wirst mich ja auch nicht verstehen. Hans will Geld„ muß Geld haben, oder er ist verloren.“

„Um Gotteswillen!“ rief ich, „Du hast ihn um – – für Hans – gebeten?“

„Ja, denn er steht mir am nächsten, und ich habe ihn am liebsten auf der Welt. Dein Gespräch mit der Großmutter habe ich angehört, am Verlobungsmorgen und –“ sie stockte – „aber ich hätte noch nichts gesagt, noch nicht; gestern Abend indeß, da erhielt ich einen Brief von Hans, und ich weiß nun, daß er dem Elend, dem Verderben anheim gegeben ist, wenn man ihm nicht hilft, bald hilft. Da,“ ihre Stimme war fast schrill, „da bat ich ihn, dem Hans zu helfen. Und er – er setzte sich aufs hohe Pferd; sprach davon, daß er für mich und Euch Alles thun wollte, daß er aber nicht leichtsinnig genug wäre, sein Geld auf die Art ins Wasser zu werfen, und daß man Hans nichts nützen, sondern ihm schaden würde, denn nur Elend, Hunger und Kummer könnten solche Natur zum ordentlichen Menschen machen, zu sich selbst zurückführen. O, er sprach sehr schön, sehr vernünftig und bürgerlich brav, aber er nahm dabei die Larve vom Gesicht, und ich sah in die Züge eines armseligen kleinlichen Menschen. Erbärmlichkeit – und kein Ende!“

„Nein!“ rief ich, „Lotte, Du übertreibst! Nein, er hat Recht, glaube mir, dem Hans hilft kein Geld, er würde es dort wie hier in einer Stunde verspielen. Habe Achtung vor dem Besitz, daran Arbeit und treue Pflichterfüllung hängen – das Geld wäre in einen Abgrund geworfen.“

Sie nahm die Kohlenzange und stieß sie in die Gluth, dann sprang sie auf und rang die Hände in einander. „Tone, ich glaube, ich hasse –“

Sie verstummte jäh, denn eben klopfte es an die Vorderthür. Ich ging hinüber, öffnete und erblickte den jungen Kutscher: er hielt ein Schreiben in der Hand und lachte verschmitzt.

„Für die Braut unseres Herrn,“ sagte er.

ich zündete ein Licht an, nahm das Schreiben und ging zu Lotte. Sie wußte kaum, sollte sie zugreifen oder nicht. Dann nahm sie es zögernd, öffnete das Kouvert und zog einen Brief hervor. Eine Postquittung über hundert Thaler lag darin, als Absender war Lotte vermerkt. Blaß wie der Tod ward sie, und hastig legte sie den Zettel auf die Kommode, an welcher sie stand. „Außerordentlich gütig!“ flüsterte sie ironisch. Nach mehreren Minuten erst las sie den begleitenden Brief und reichte ihn mir dann. Auch jetzt noch Moralpredigt,“ sagte sie und wandte sich ab. Fritz Roden aber schrieb:

„Ich kann Dich nicht traurig wissen oder mir zürnend, und zudem war es Deine erste Bitte an mich, mein Liebling. So habe ich denn, Deines Bruders augenblickliche Verlegenheit zu mindern, hundert Thaler an ihn gesandt. Mit derselben Post geht ein Brief an einen mir befreundeten Herrn in New-York ab, die Bitte enthaltend, sofort den Herrn Hans von Werthern im Spitale aufzusuchen, mit ihm über seine Zukunftspläne zu reden und mir umgehend das Resultat mitzutheilen. Meiner Hilfe bei günstigem Bescheid ist er sicher. Ich hoffe, Dir bewiesen zu haben, daß ich nicht so engherzig denke, wie Du anzunehmen scheinst; leichtgläubig und allzu vertrauend bin ich freilich nicht, ich kenne immer gern den Boden, auf den ich meinen Fuß setzen muß.

Und nun sei diese Angelegenheit abgethan, und ich bitte Dich, bei unserem morgenden Wiedersehen sie nicht zu berühren. Schlaf wohl, mein Lieb, und sei gut Deinem Fritz.“ 

Ich sah zu ihr hinüber und wunderte mich, daß sie nicht schon längst auf dem Wege war, ihm zu danken. Aber sie stand noch immer unbeweglich, und als sie sich endlich umwandte, war ihr schönes Gesicht so gleichgültig wie immer. Sie setzte sich zum Lampenlicht, nahm ein Buch und las.

(Fortsetzung folgt.)




Die Morphiumsucht.

Von Obermedicinalrath Dr. Landenberger (Stuttgart).

In dem milchigen Safte, welcher in den grünen Samenkapseln und Stengeln der Mohnpflanze enthalten ist, findet sich ein beim Eintrocknen jenes Safts gewonnener, harzähnlicher Stoff, das Opium, gleichzeitig eines der bekanntesten Gifte und der wichtigsten Heilmittel. In der ganzen civilisirten Welt seit langen Zeiten nach beiden genannten Richtungen gekannt und verwendet, ist das Opium namentlich im fernen Osten auch zu einem Genußmittel geworden, dessen oerbreiteter Gebrauch dort ungeheure Geldsummen verschlingt und aus dem Lande führt, indem das Rohprodukt meist aus Indien, wo eine starke Anpflanzung von Mohn statthat, in den Handel gebracht wird. Auch nach Europa, besonders nach einzelnen Seestädten, wie London, hat das Opium als Genußmittel seit langer Zeit Eingang gefunden, und es wird ihm dort in einzelnen „Opiumkneipen“ namentlich von Solchen gehuldigt, die seinen Genuß im Orient kennen gelernt haben. Der Verbrauch des Opiums – soweit es nicht in einem kleinen Bruchtheile medicinisch verwendet wird – geschieht dort in der Weise, daß dasselbe, in Pillen gedreht, aus Thonpfeifen geraucht wird, wobei der Raucher zunächst eine außerordentlich angenehme Aufregung der Sinne verspürt und hernach in traumreichen Schlaf versinkt, aus welchem er mit wüstem Kopf, abgespannten Nerven und allen Uebeln des mit „Katzenjammer“ bezeichneten Zustandes erwacht, welcher zunehmend so lange anhält, bis eine wiederholte Gabe des Mittels die traurigen Folgen wieder auf kurze Zeit verscheucht hat.

Der neuesten Zeit, den Fortschritten der Civilisation ist es vorbehalten gewesen, auch in die ganze alte Welt und nicht in die geringsten Schichten ihrer Bevölkerung ein dem Opium entnommenes Mittel einzuführen, welches feiner, aber auch gefährlicher als dieses, in kürzerer Zeit dieselben Wirkungen hervorruft und stets in weitere Kreise dringend eine nicht zu unterschätzende Gefahr für unsere Gesellschaft bildet. Das Morphium, dieser wirksamste Bestandtheil des Opiums, seit einer Reihe von Jahrzehnten den Aerzten als wohlthätigstes Mittel bekannt, wo es gilt, Schmerzen zu lindern und dadurch erregte Nerven zu beruhigen, ein Arzneimittel ersten Ranges, ohne welches man nicht Arzt sein möchte, wird leider in immer weiteren Kreisen als Genußmittel mißbraucht.

Dargestellt aus dem Opium durch einfache Scheidungsprocesse, erscheint das Morphium als kristallinisches weißes Pulver von geringem specifischen Gewicht und sehr bitterem Geschmack; es ist löslich in Wasser und in Weingeist, beim Erhitzen schmilzt es zunächst, um sodann vollständig zu verbrennen. Das Morphium ist demnach viel leichter verdaulich als das Opium, seine Löslichkeit in Wasser macht es geeignet zur Anwendung in Form von Einspritzungen unter die Haut, und gerade diese Anwendungsweise ist es, mit welcher am meisten Mißbrauch getrieben wird, aus welcher am häufigsten Morphiumsucht entsteht. Dies hat seine Ursache wohl darin, daß es keine Art der Anwendung des Morphiums giebt, welche gleich schnell und sicher wirkt, sodaß bei Leidenden schon nach der ersten Einspritzung und ihrer Wirkung das Vertrauen zu dem Mittel unbedingt feststeht. Die Einspritzung geschieht so, daß eine kleine Spritze, die ein Gramm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_090.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2020)