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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ueber das Klima von Kamerun.

Von Max Buchner.

Ueber das Klima von Kamerun hat die öffentliche Meinung in letzter Zeit manchen lustigen Bocksprung gemacht, bis sie endlich anfing zu weinen. Vor einem Jahre ungefähr wurde dem Publikum zugemuthet, im Kamerungebiet geradezu einen klimatischen Kurort allerersten Ranges zu verehren. Jetzt ist es eine Pesthöhle, aus der Niemand lebend zurückkommt.

Ja selbst die gangbarsten Aussprüche berühmter Reisender über das afrikanische Klima bewegen sich in zwei Extremen, von denen das eine sinnloser ist als das andere. Zuerst heißt es, an der Küste falle die Hälfte der Neuangekommenen dem Fieber zum Opfer, und gleich darauf, daß das Innere gesund sei. Eine richtige Statistik existirt für keine von beiden Behauptungen. Sie entsprangen beide demselben so oft begangenen Fehler des falschen Generalisirens, jenem so häufigen Mangel an Kritik, der sich hauptsächlich in der Neigung kundgiebt, zufällig beobachtete extreme Vorkommnisse als die Regel zu betrachten. Wenn wir irgendwo vom Fieber verschont bleiben, dürfen wir beileibe nicht sagen: hier giebt es kein Fieber, und ebenso unrichtig wäre es, zu meinen, daß da, wo man einmal viele Krankheiten antraf, es immer so sein müsse. Die Epidemien und Endemien schwanken nicht bloß in Bezug auf die Zahl der Fälle, sondern auch in Bezug auf die Schwere der einzelnen Fälle. Der oben erwähnte gräßliche Procentsatz der vom Fieber hingerafften Opfer würde, wenn er Thatsache wäre, schon längst so abschreckend gewirkt haben, daß es an der Küste gar keinen Kaufmann mehr gäbe. Dieser Pessimismus schadet aber wenigstens nicht. Schaden stiften könnte dagegen eine allzu große Hoffnung auf die höher gelegenen Gebiete des Inneren.

Wahrscheinlich sind die Fieber- und sonstigen Miasmen auf dem Plateau Central-Afrikas an sich minder zahlreich, energisch und wirksam. Zugleich aber nimmt der Komfort, die Möglichkeit besserer Nahrung und deßhalb auch die Widerstandskraft des Weißen stetig ab mit der Entfernung vom Meere, so daß das Endergebniß beider Faktoren sich schließlich ausgleichen wird. Und ganz ohne Fiebermiasma giebt es wohl kein einziges Quadratkilometer des tropischen Afrika.

Die gesundheitlichen resp. krankheitlichen Verhältnisse irgend eines Platzes setzen sich überhaupt stets zusammen aus zwei Faktoren: 1) aus der Menge und Kraft der vorhandenen Schädlichkeiten, 2) aus der Wirksamkeit der vorhandenen Schutzmittel gegen dieselben. Von diesem Gesichtspunkte aus läßt sich über das Klima von Kamerun Folgendes sagen.

Kamerun gehört zu den ungesünderen Plätzen der Erde. Es ist aber durchaus kein Grund vorhanden anzunehmen, daß es ungesünder sei als Brasilien oder Ostindien zur Zeit der ersten Entdecker es waren, ehe die Europäer dort seßhafter wurden und ihre Existenzbedingungen immer mehr verbesserten.

Das Hauptleiden, neben dem die anderen Gesundheitsstörungen kaum in Betracht kommen, ist das Fieber in seinen verschiedenen Formen. Es ist dieselbe Krankheit, die wir als Malaria oder Wechselfieber in Rom, in Pola, in Germersheim, in Wilhelmshafen, in allen Marschgegenden an der Nordsee von Hamburg bis Antwerpen, in Kleinasien, Ost- und Westindien, in den Vereinigten Staaten, kurz eigentlich überall auf der ganzen Erde haben. Allerdings zeichnet sich das Fieber in Afrika dadurch aus, daß es seltener die bei uns gewöhnlichen drei Stadien: Frost, Hitze, Schweiß durchläuft, sondern mehr kontinuirlich auftritt. Hier und da, etwa einmal in tausend Fällen, nimmt es den sogenannten perniciösen Charakter an: die Temperatur bleibt länger auf einer Höhe von 40 bis 42 Graden, die Haut wird gelb, in den Ausleerungen sind reichliche Blutergüsse. Mindestens die Hälfte der davon Betroffenen stirbt nach zwei bis drei Tagen.

Daß das Fiebergift der afrikanischen Westküste an sich wesentlich stärker sei als in Europa, erscheint mir zweifelhaft. Denn man braucht in Afrika zur Unterdrückung eines gewöhnlichen Fiebers nicht mehr Chinin zu verabreichen als bei uns. Ein bis zwei Gramm genügen fast immer. Nur in der größeren Anzahl perniciöser Fälle, die übrigens auch in Europa nicht gänzlich fehlen, dürfte ein Unterschied liegen, und zum Zustandekommen dieser gehören vielleicht noch andere unerforschte Verhältnisse.

Das Fiebergift ist zweifellos ein mikroskopischer Pilz, den wir allerdings noch nicht persönlich, sondern nur aus seinen Wirkungen kennen. Er entwickelt sich in stagnirenden Wässern oder in feuchten Oertlichkeiten des Bodens, der Vegetation, der Wohnstätten. Durch Austrocknung wird er frei, gelangt in die Luft und durch sie in unseren Körper, zunächst in die Lungen. Daß wir ihn auch trinken, ist nicht wahrscheinlich.

Immunität oder Gewöhnung an das Fiebergift kommt vielleicht vor, ist aber jedenfalls ungemein selten und niemals sicher. Hier und da trifft man nämlich einen Europäer, welcher behauptet, schon sechs oder mehr Jahre an der Küste zu leben, ohne jemals ein Fieber gehabt zu haben. Auch die Neger stehen oft im Rufe einer gewissen Immunität. Gar nirgends aber kursiren über derlei Dinge mehr schlechte Beobachtungen und leichtfertige Behauptungen, als in Westafrika. Was ich selber erfahren, flößt mir gar kein Vertrauen zu derlei herkömmlichen Berichten ein.

Man kann nicht einmal ohne Weiteres sagen, daß der Neger das afrikanische Klima immer und überall besser verträgt, als der Europäer. Es giebt da Unterschiede, über die sich keine Regel konstruiren läßt. Auffallend wenig leiden am Fieber die Kameruner[.] Aber die eingeführten Kru-Jungen haben Fieber fast ebenso oft und heftig wie die Weißen. Diese Erscheinung möchte sich vielleicht erklären aus der Thatsache, daß es eben auch für die Neger bloß eine örtliche Akklimatisirung giebt. Allein die Kru-Jungen sollen in ihrer eigenen Heimath ebenso stark vom Fieber zu leiden haben, und auf dem Hochplateau von Angola und Lunda habe ich drei Jahre lang die Erfahrung gemacht, daß die jeweiligen Eingeborenen ebenso häufig vom Fieber befallen werden wie fremde Neger und schließlich vielleicht sogar wie die Weißen.

Außer dem Fieber und einigen Hautausschlägen sind in Kamerun keine besonderen specifischen Krankheiten heimisch. Während und in Folge der kriegerischen Zeitläufte des vorigen Jahres kam auch Dysenterie vor, aber bloß aus den nämlichen Ursachen, Mangel geregelter Nahrung und schlechter Lebensweise überhaupt, wie im Jahr 1870 unter unseren Truppen in Frankreich.

Große Hoffnungen für eine Gesundheitsstation hat man auf den Kamerunberg gesetzt. Aber ich fürchte, daß es bei den Hoffnungen bleiben und daß auch hier die schöne Idee wieder einmal an der rauhen Wirklichkeit scheitern wird. Es ist kaum zu bezweifeln, daß oben auf dem Gipfel des Berges, wo überhaupt nichts mehr wächst und zuweilen Schnee liegt, auch der Fieberpilz nicht mehr gedeiht. Von unten an aber wird er bis in eine ganz bedeutende Höhe hinauf wohl nirgends fehlen. Die Grenze seines Vorkommens wäre nur durch ein ziemlich umständliches und kostspieliges Verfahren sicher festzustellen. Mit einem Luftballon müßte man den Gipfel direkt von Europa aus zu erreichen suchen, sich gut verproviantiren und dann allmählich einige Jahre hindurch abwärts steigen. Denn würde man erst unten in der fiebergiftigen Niederung landen und dann oben das Fieber bekommen, so könnte kein Mensch mit Bestimmtheit sagen, ob es von oben oder von unten stammt, da zwischen Aufnahme und Wirkung des Giftes gewöhnlich mindestens sieben Tage vergehen.

Doch sehen wir ab von der vollen Strenge des Experimentes. Mancher denkt, es wäre vielleicht schon ein Vortheil, wenn wir in einer mittleren Höhe der Berghänge ein Sanatorium hätten. Das müßte, wenn es seinem Namen und Zweck entsprechen sollte, doch mindestens ein komfortables Hôtel sein, nicht allzu schlecht ausgerüstet mit Küche und Keller und Apotheke und womöglich sogar mit einem Arzt versehen. Wer aber soll die bedeutenden Kosten eines solchen Institutes tragen? Derjenige, dem es am meisten zu Gute käme, der kärglich besoldete Faktorist, doch ganz gewiß nicht. Und dann, wer bürgt uns dafür, daß der vom Fiebersiechthum erschöpfte Patient dort oben sofort gesund wird? Es ist eine eigene Sache um den Wechsel von Lebensgewohnheit und Klima. Jede plötzliche Aenderung der Leibesökonomie, und wäre sie auch zum Besseren, scheint eine Schädlichkeit zu sein. Fast alle Afrikareisenden, die aus dem hungerreichen Inneren herauskommen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_108.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)