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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

an die Küste, wo sie wieder in die langentbehrte europäisch üppige Verpflegung eintreten, müssen die Erfahrung machen, daß dann das Fieber schlimmer auftritt als je.

Soviel über den ersteren Faktor der Sterblichkeit, welchen wir „Menge und Kraft der vorhandenen Schädlichkeiten“ genannt haben. Wie verhält es sich nun mit dem zweiten, „den vorhandenen Schutzmitteln gegen dieselben und deren Wirksamkeit“?

Diesbezüglich herrschen in Kamerun so traurige Zustände, daß wir aus ihnen die schönsten Hoffnungen schöpfen können. Hygienischen Verbesserungen ist der allergrößte Spielraum geöffnet. Namentlich die Wohnräume, die doch als jene Oertlichkeiten zu betrachten sind, in denen wir die längste Zeit unseres Lebens, Gutes und Böses einathmend, zubringen, sind dort so gelegen und so beschaffen, daß sie den Grundsätzen der Hygiene geradezu spotten.

Man merkt es Kamerun an, hier konnte der Europäer sich niemals freier bewegen, hier herrschte zu lange der Neger. Die meisten Kaufleute wohnen noch immer auf sogenannten Hulks, alten abgetakelten Segelschiffen, die im Fluß solide verankert wurden mit der Bestimmung, nun, da sie nicht mehr seetüchtig sind, als schwimmende Faktoreien den Rest ihrer Tage abzuverdienen. Daß auch solche halb verfaulte Fahrzeuge manches zu wünschen übrig lassen, ist selbstverständlich, aber immerhin scheinen sie zum Wohnen gesünder zu sein als die festen Faktoreien am Land. Da jedoch die Hulks allmählich leck und unbrauchbar werden, und da zugleich die öffentliche Sicherheit zunimmt, so herrscht seit längerer Zeit eine Tendenz, den Handel allgemein aufs Trockene zu verlegen. Aber mit welchen schrecklichen Bauplätzen mußten die Kaufleute hierzu vorlieb nehmen! Oben auf dem 15 Meter hohen Plateau liegen dicht an einander die Dörfer. Eine einzige Ausnahme abgerechnet, sahen sich deßhalb die Kaufleute genöthigt, unterhalb des Plateau-Steilrandes, zum Theil auf künstlichen Plattformen im Bereich von Ebbe und Fluth, sich anzusiedeln. Diese Plattformen sind naturgemäß schlecht konstruirt, die Abspülung der Hochwasser nagt täglich zweimal an ihnen und richtet häufig Zerstörungen an. Nach drei Seiten sind sie von Schlick- und Sandflächen umgeben, die zur Ebbezeit den Bevölkerungen der Dörfer als allgemeiner Abtritt und dem Strom als Ablagerungsstätte seines Kehrichtes faulender Pflanzen dienen.

Eines der ersten Erfordernisse zur Besserung wird deßhalb darin bestehen, daß die Europäer ihre Wohnhäuser durch Ankauf geeigneter Plätze nach oben auf die Kante des Steilrandes verlegen, während die Magazine und Einkaufsräume unten verbleiben können. Zugleich wird in Bezug auf die Art und das Material der Wohnhäuser alle Vorsicht und Ueberlegung zu verwenden sein.

Für die westafrikanische Küste taugt am besten ein hölzernes Wohnhaus auf hohen Backsteinpfeilern. Die Backsteinpfeiler sollten so hoch sein, daß sie, durch Gitterwände und Gitterthüren unter einander verbunden, ein geräumiges luftiges Erdgeschoß bilden, das zu Vorrathskammern und Wohnungen für die bediensteten Neger abgetheilt werden kann. Auf das erste Stockwerk läßt sich nöthigen Falles ein zweites setzen; um jedes ist ringsum eine breite Veranda zu ziehen. Das Dach wird am besten aus Asphaltpappe hergestellt und das Ganze mit weißer Kalkfarbe angestrichen. Für Küche und Klosett sind eigene mit dem Haupthaus nur durch gedeckte Gänge verbundene Hütten aufzustellen. Das Klosett ist im Abfuhrsystem einzurichten. Die Abfuhr hat jede Nacht zu geschehen.

Gänzlich zu verwerfen sind die wegen ihrer größeren Billigkeit und Einfachheit so beliebten eisernen Wellblechhäuser. Als Magazine thun sie ganz gute Dienste, zum Aufenthalt für kränkliche Europäer sind sie absolut nicht geeignet. Sie erhitzen sich unter der Sonne zu schnell und erschweren die Ventilation in hohem Maße.

Für den Wohnplatz ist eine möglichst freie Lage zu wählen. Alle in unmittelbarer Nähe befindlichen Bäume sind als Feuchtigkeitsträger umzuhauen. Auch das hohe schilfartige Gras ist in der nächsten Umgebung auszurotten und durch reinlichen Kies oder durch kurzen Rasen zu ersetzen. Ein kurzer Rasen, wie wir ihn in Europa haben, wäre überhaupt die idealste Bodenbedeckung, weil er gleichmäßig ebensowohl die Staubentwickelung als auch eine übergroße Anhäufung von Feuchtigkeit verhindert. Es wächst in Kamerun auf Wegen und an den viel betretenen Kanten des Steilrandes eine kleine niedliche Lolium-Art, die hierzu vielleicht zu brauchen wäre. Außerdem müßte man mit südeuropäischen, amerikanischen und indischen Gräsern Versuche machen.

Sehr mißlich sind auch die Trinkwasserverhältnisse in Kamerun. Das Wasser des Flusses ist ekelhaft schmutzig, hier und da treiben auf ihm weithin die Luft verpestende Menschenleichen herab, zur Zeit der Fluth wird es ziemlich stark salzig. Die Eingeborenen trinken von einigen nicht sehr sauberen Quellen, die aus dem rothen Laterit-Plateau, aus dem vielfach verunreinigten Boden der Dorfschaften, hervorrieseln. Die Kaufleute haben sich innerhalb der Faktoreien, also unterhalb des Plateaus, ungemein dürftige Brunnen gegraben, die meistens nur aus einem in die Erde gesenkten Faß bestehen und noch verdächtiger sind, da sie ganz unten und bereits im Schwemmgebiete des Flusses liegen.

Ordentliche, tiefe Brunnen oben auf dem Plateau, in weiterem Umfang geschützt vor Verunreinigungen, wären deßhalb ein nächstes Erforderniß. Zum Pumpen und Füllen der Reservoirs für Haus und Garten wären amerikanische Windmühlen hier geeignet wie nirgends. Der regelmäßige, starke Südwestwind würde sie nur in den Morgenstunden und sonst fast niemals rasten lassen.

Kurz, für hygienische Maßregeln ist noch ungemein viel zu thun. Mit der Durchführung derselben wird ein von der Regierung bestellter Arzt zu betrauen sein. Wenn auch Kamerun im December und Januar 1884 und 1885 in der glücklichen Lage war, an geprüften Doktoren der Medicin nicht weniger als zehn zu beherbergen, nämlich außer den fünf Marine-Aerzten des Geschwaders noch fünf Kollegen des Civilstandes, die Herren Nachtigal, Passavant, Pauli, einen dem Trunke ergebenen Engländer und meine Wenigkeit, so daß schon auf jeden fünften ansässigen Europäer eine vollberechtigte Heilperson kam, so ist das jetzt anders geworden. Von den fünf genannten Civilisten ist keiner mehr draußen in Kamerun, und der einzige übrig gebliebene Schiffsarzt des „Habicht“ hat weder Zeit noch Befugniß, sich auch der Privatpraxis hinreichend anzunehmen.

Wie sehr indessen ein Arzt in Kamerun nothwendig ist, und zwar nicht bloß unter den europäischen Kaufleuten, sondern auch unter den Eingeborenen, habe ich an mir selbst erfahren während jener unangenehmen kriegsschifflosen vier Monate, in denen ich Vertreter der Flagge war, ohne irgend welche Exekutivorgane außer mir selbst zu besitzen. Der Vortheil, daß ich mich der immer rebellischer werdenden Bevölkerung als Arzt nützlich und interessant machen konnte, ist mir damals sehr zu statten gekommen.

Allein schon die vielen großen, tief fressenden Geschwüre, an denen der Kameruner so häufig leidet und die er als „Pola“ bezeichnet, wären eine überaus günstige Gelegenheit, Gutes zu wirken. Mit Jodoform kann man da wahre Wunder verrichten, umsomehr als die landesüblichen Heilmittel gegen Pola gänzlich erfolglos sind, wie denn überhaupt der Neger an Arzneien, die nicht bloß auf Hokuspokus beruhen, ungemein arm ist. Die Pola-Geschwüre haben mir mehrmals ausgezeichnete Dienste gethan, das unverschämte Gebahren der Kameruner zu bändigen. Krankheiten und deren liebevolle Behandlung, das ist der Punkt, bei diesen verzogenen und verdorbenen Menschen den Hebel einzusetzen, nicht nur zum Zweck der modern gewordenen Neger-Beglückung, sondern auch zur ersprießlichen Neger-Erziehung.

Da wir sparen müssen, so darf uns auch der Regierungsarzt nicht allzuviel kosten, was sich leicht erreichen läßt. An reiselustigen tüchtigen Medicinern haben wir keinen Mangel. Gegen 3000 Mark Gehalt und freie Hin- und Rückfahrt, sowie in Anbetracht einer lohnenden Privatpraxis unter den Europäern würde sich der richtige Mann schon finden. Derselbe müßte sich auf drei Jahre verpflichten. Mit den Faktoreien würde er am besten ein privates Abkommen treffen, gegen eine fixe jährliche oder monatliche Pauschalsumme jeden Krankheitsfall der betreffenden Europäer gewissenhaft zu behandeln. Der oben erwähnte englische Kollege bezog noch in der allerletzten Zeit, als er sich bereits ganz unmöglich gemacht hatte, von zwei oder drei der englischen Hulks seinen Unterhalt und, wenn ich nicht irre, sogar auch ein fixes Gehalt. Ebenso müßten die regelmäßigen Dampfer, alle Monate vier, zwei ausgehende und zwei zurückkehrende, sowie gelegentlich andere einlaufende Schiffe einer sanitären Beaufsichtigung unterstellt und gehalten sein, dafür dem Arzte ihren Tribut zu leisten. Auch die Eingeborenen müßten allmählich daran gewöhnt werden, den Arzt zu bezahlen, zuerst vielleicht in Naturalien, Ziegen, Hühnern, Eiern, Bananen etc.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_109.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)