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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Lotte lief hastig längs des Hauses hin und die Stufen empor. Ich begriff sie nicht im Augenblicke, verstand nicht, daß es ein instinktartiges Flüchten war vor einer Macht, deren naher Schatten soeben über ihren Lebensweg gefallen, ahnungsvoll, beängstigend. Ich hörte ihr helles: „Ist der Herr daheim?“ aus der Tiefe des kühlen Flurs zurückschallen, und sah sie auf die verneinende Antwort hin blitzschnell in Fritz Roden’s Zimmer verschwinden. In kaum einer Minute war sie zurück mit leeren Händen. „Ich habe es auf seinen Schreibtisch gestellt,“ sagte sie, schob ihren Arm unter den meinen und nahm die Schleppe empor, die den feinen Sand auf den Steinfließen zusammenkehrte.

„Wollen wir nicht Deiner Schwiegermutter noch guten Tag sagen?“ fragte ich.

„Meinetwegen,“ erwiderte sie, „aber ich glaube, wir stören nur; sie steckt bis über die Ohren in Vorbereitungen zu heute Abend.“

In der großen Wohnstube war schon die festliche Tafel gedeckt; das grünlich dämmerige Licht, das sich durch die Kastanienblätter stahl, blitzte zurück aus prächtigem altmodischen Silberzeug und spiegelndem Kristall. In der Mitte des Tisches prangte ein Tafelaufsatz, wunderhübsch geschmückt mit Fliederblüthen, Goldregen und Jasmin; oben quer vor der Tafel war über zwei Stühle eine Art Laube gebaut von schwanken grünen Birkenbäumchen, und vor den Tellern, auf denen man die Servietten besonders kunstvoll gefaltet hatte, stand ein prächtiger Baumkuchen, auf dessen Spitze ein kleiner Amor aus Zuckerguß schwebte, als wolle er seinen Pfeil direkt auf die Menschen abschießen, die in der Laube Platz nehmen würden.

„Das ist für Euch,“ flüsterte ich und sah ängstlich Lotte an, die mit starren Blicken die Laube betrachtete. um ihren Mund glitt wieder das alte Lächeln, aber in den Augen funkelten Thränen.

„Schrecklich!“ hörte ich sie sagen.

Im Nebenzimmer trafen wir die alte Dame; sie steckte eben Kerzen auf schwere silberne Leuchter, und als sie uns erblickte, rief sie betrübt: „Da seid ihr durch das Zimmer gekommen, und Lotte sollte doch überrascht werden! Die Leute haben das Plätzchen für das Brautpaar so geschmückt. Aber nun kommt her, helft mir ein wenig, wenn ihr mögt. – Der Fritz läßt mich heute im Stiche, er ist noch nicht vom Felde zurück.“ Und sie drückte Lotte einen Bogen Papier und eine Schere in die Hand und hieß mich auf die Trittleiter zum Kronleuchter steigen, während sie selbst die Kerzen flink mit Papier umwickelte und sie mir zureichte. „Denkt nur,“ sprach sie, indem sie eilig weiter arbeitete, „da war es mir vorhin, als hatte ich einen Wagen in das Schloßthor rollen sehen und den Prinzen Otto darin erkannt. Es war wie ein Spuk – und’s wohl auch gewesen sein, denn wo sollte er jetzt herkommen? Es wird ja vorher immer gemeldet, damit das ganze Städtchen möglichst auf dem Kopfe steht. Und, nebenbei, er hat ja Rotenberg verschworen; es sei denn doch mehr als langweilig hier, und Der, der hier ein Schloß gebaut, müsse es am jüngsten Tage noch verantworten, behauptete er.“

Lotte schwieg und schnitt langsam ihre Papierstreifen. Ich sagte daher: „Sie haben ganz recht gesehen, Prinz Otto ist hier.“

Die alte Frau legte die Kerze auf den Tisch, die sie eben genommen, und schlug die Hände in einander.

„Na, da Gnade Gott!“ rief sie, „der Uebermuth, was mag er nur wieder einmal angestellt haben? Nun, da giebt’s ja Leben im Lande! Kinder, und ihr habt den Racker gerade vis-à-vis; geht nur nicht ans Fenster.“

Lotte lachte plötzlich so herzlich, daß alle ihre Zähne durch die rothen Lippen blitzten. „Kennst Du ihn persönlich, Mutter?“ fragte sie.

„Ei versteht sich,“ plauderte die alte liebe Frau. „Ein Bild von einem Jungen ist’s! So habe ich mir den Goethe vorgestellt, wie er zu Friederike nach Sesenheim kam; es ist ja kein Wunder, wenn er bei den Frauen Glück hat. Aber er macht’s zu arg! Nun, ich habe ihm einmal die Wahrheit gesagt, wie er sie vielleicht noch nie gehört hatte; ich konnte es,“ fuhr sie fort, „er war als Kind aller Augenblicke hier bei uns und mit meinem Jüngsten, dem Max, bald in der Scheune auf dem obersten Balken, bald in der Apfelkammer oder irgendwo sonst, wo sie nicht hingehörten. Und als erwachsener Mensch ist er noch jedesmal herüber gekommen und hat mir die Hand gegeben und gesagt: ‚Frau Roden, so schön wie die Kartoffelpuffer, die Sie mir gebacken haben, und die wir da in der Küche gleich aus der Pfanne aßen, hat mir nichts wieder geschmeckt.‘ Na, das ist nun auch weiter nichts; ich wollte ja erzählen wie ich ihm eine Standrede hielt. Es war vor zwei Jahren; wegen irgend eines tollen Streiches, den er zu Hause begangen, hatte der Herzog ihm hier Klausur gegeben, damit er ‚fern von Madrid‘ über sich nachdenke. Na, er that das sicher auch zuweilen, aber eigentlich stellte er nur unser gutes Rotenberg auf den Kopf. Seiltänzer ließ er kommen und einen Elefanten hat er sich gekauft, auf dem er im Schloßgarten spazieren ritt, als Türke gekleidet. In dem halbverfallenen Theaterchen mußte eine Wandertruppe lauter leichtfertigen Singsang von Offenbach spielen, und alle Gassenjungen pfiffen und alle Mädchen sangen das dumme Zeug, daß man sich hätt’ die Ohren zuhalten mögen. Freibillets vertheilte er, aber immer nur an die Häuser, wo hübsche Töchter waren, so daß die Galerie des Theaters voll lauter blonder und brauner

Mädchenköpfchen saß, das eine immer niedlicher als das andere – und die dummen Dinger bildeten sich noch was Rechtes darauf ein. – Nun ist da drüben an der Ecke Schuster Paul; der hatte so ein liebes Ding von achtzehn Jahren, so weiß und rosenroth, und so ein Paar dunkelblaue Augen, wie ich sie noch kaum gesehen. Sie war mein Pathenkind, und ich hatte immer viel auf sie gehalten. Na – aber es ist nicht recht, daß ich Euch das erzähle, ich will’s kurz machen. Es kam ein Tag. wo die Anna ihr Leben drum gegeben hätte, wenn es nicht so war, wie es eben war; heimlich lief das arme Mädel bei Nacht und Nebel aus dem Vaterhause, dort oben ins Gebirge zu einer Tante und ist bis heute nicht wieder gekommen, und die Mutter grämte sich schier zu Tode um das Kind; vor dem Vater aber darf man bis zur Stunde ihren Namen noch nicht nennen. Aber geschehen ist geschehen. Und in der Zeit, wo das ganze Städtchen voll von der Sache war und die Spatzen es auf dem Dache erzählten, kam just mein Prinz mal herüber zu mir, in der Dämmerung eines regnerischen Herbsttages, und da nahm ich die Gelegenheit beim Schopf und sagte zu ihm: ‚Durchlaucht,‘ sagte ich, ‚die Menschen, die der liebe Gott auf Erden über die andern stellt, die hat er darum erhöht, daß sie ein Vorbild sein sollen für ihre Unterthanen!‘ Da sah er mich lächelnd an und sagte: ‚Aber, Frau Roden, das besorgen ja mein Vater, der Herzog, und mein Bruder, der Erbprinz, schon nach Kräften!‘ Ich schaute ihn so recht ernst an, und dabei zeigte ich hinüber nach Schuster Paul’s kleinem Hause; wir standen zusammen am Fenster, und er lächelte immer noch. Ich ließ mich aber nicht irre machen. ‚Durchlaucht,‘ sprach ich weiter, ‚es ist nur eines armen Schusters Kind, aber die Eltern haben’s just so lieb gehabt, wie Ihre Frau Mutter Sie, mit Thränen und Sorgen.‘ Seht ihr, da verschwand das Lachen von seinem Gesicht, und er gab mir die Hand. ‚Schelten Sie nur, Frau Roden, ich weiß, Sie meinen es gut –‘“

Sie schwieg; Lotte hatte sich abgewandt und schnitt eifrig Papier; man hörte weiter nichts, als das Klappern der Schere.

„Ach Gott,“ seufzte die alte Frau noch einmal und nahm ein Wischtuch vom nächsten Stuhl. „Was wird der hier wieder Alles aufstellen!“

Als wir bald darauf nach Hause gingen, sagte Lotte aus tiefen Gedanken heraus: „Weißt Du, Tone, er erinnert mich sehr an unsern Hans.“

„Wieso, Lotte?“

„Der war ebenso lustig, so unsinnig und so liebenswürdig wie Prinz Otto.“

„Und so leichtfertig,“ setzte ich hinzu.

Es war acht Uhr Abends, als wir hinübergingen zu dem Feste; Großmutter feierlich im schwarzen Moirékleid, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2024)