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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Als Frau Roden das Zimmer verlassen hatte, da kam es über mich wie wilde Verzweiflung.

„Lotte,“ jammerte ich, „Lotte, besinne Dich doch! Noch ist es Zeit, rufe sie zurück. Sage, daß Du zu rasch gesprochen –. Du kannst nicht so entsetzlich hart und grausam sein! Du hieltest ja immer Dein Wort, mach’ ihn nicht so unglücklich!“

„Eben, weil ich das nicht will!“ sagte sie fest und kalt.

Ich lief auf den Balkon. Ganz weit schon dort unten ging die Mutter; nicht zögernd, langsam – nein, rasch und fest schritt sie dahin, als fürchte sie eingeholt zu werden. Nie in meinem Leben kam ich mir unglücklicher, gedemüthigter vor, als in dieser Stunde. Das war der Dank für alle Wohlthaten!

Aber Lotte blieb ruhig; sie begann sogar Toilette zu machen. Zwar die Hände zitterten ein wenig und auf den Wangen brannten ein paar rothe Flecken, aber sie holte tief Athem und das klang, als sei eine Bergeslast von ihrer Seele genommen. Als sie fertig war, kam sie zur Großmutter herüber.

„Großmama,“ sagte sie, mit fester Stimme, „ich habe meine Verlobung aufgelöst.“

Die alte Frau starrte sie verständnißlos an. „Scherze nicht,“ sagte sie streng.

„Ich scherze nicht; ich kann ihn nicht heirathen.“

„Warum nicht?“

„Ich liebe ihn nicht.“

„Und was für ein Recht hattest Du zu solcher Komödie?“ rief die Greisin, und die matten Augen sprühten förmlich auf. „Ist ein ehrliches Männerherz grade gut genug, um mit ihm zu spielen, wie Du mit Deinem Hunde spielst? – O nein, mein Kind, so war das nicht gemeint; noch habe ich ein Wort mitzureden! Und wenn Du vorhin in kindischem Uebermuth Unverantwortliches gesprochen, so gehst Du jetzt sofort zu ihm und bittest Deinen Bräutigam um Verzeihung! Sofort!“

Die Wacht der Montenegrinerin.
Nach dem Oelgemälde von Richard Linderum.

Die zitternde Frau hatte sich halb im Lehnstuhl erhoben und zeigte gebieterisch nach der Thür. Eine namenlose Angst lag in den alten Augen, trotz aller Strenge.

„Großmama,“ rief Lotte außer sich, „das kannst Du nicht wollen, darfst Du nicht wollen!“

„Ich will, daß Du ein Wort hältst, das Du freiwillig gegeben hast!“ klang die Antwort. „Geh!“

„Ich gehe, aber ich komme nie wieder,“ drohte das Mädchen; „ehe ich ihn heirathe – lieber todt!“

„Geh!“ wiederholte die alte Frau noch einmal. Da wandte sich Lotte trotzig; aber ehe sie die Thür erreichte, ehe ich ihr nacheilen konnte, war der Kutscher eingetreten und reichte ihr ein Päckchen. Hastig griff sie darnach, und als ihre Hände das Papier auseinander rissen, da erklang es hell auf der Diele und rollte durch das Zimmer und blieb zu meinen Füßen liegen – ein einfacher goldener Reif.

„Zu spät!“ sagte die Großmutter und sank zurück; wie geschlagen lehnte das alte kummervolle Gesicht in dem Polster des Stuhles; und ich bückte mich, hob den Ring auf und legte ihn auf das Spiegeltischchen.

Dann fand ich mich plötzlich auf dem Wege zur Domaine; ich ging nicht, ich flog. Ich mußte ein freundliches Wort sprechen, das fühlte ich, und dennoch bangte mir. Ich meinte, sie müßten mich hinausstoßen mit Haß und Verachtung – um meiner Schwester willen. Als ich athemlos an der Gartenpforte anlangte, sah ich Anita plötzlich vor mir stehen. Ach so, der Tag der italienischen Stunde! „Ich glaube nicht, daß meine Schwester heute im Stande ist,“ stotterte ich –. Sie sah mich forschend an und sagte: „Ich werde fragen; ich kann ja wieder gehen, wenn es nicht paßt.“

Ich eilte an ihr vorüber, den Hof entlang, dem Hause zu. Im Flur stand Frau Roden, so ruhig wie immer; sie beobachtete, wie eben ein Mädchen frische schäumende Milch in einen großen Steintopf goß. Die alte Frau sah mich erst, als ich dicht neben sie trat, und sie reichte mir sofort freundlich die Hand. Dann deutete sie nach seiner Zimmerthür, legte den Finger auf den Mund und führte mich die Treppe hinauf. Ich folgte ihr auf den Zehen gehend; es war, als sei ein Sterbender im Hause, und so schwer lag es mir auch auf dem Herzen.

In das Stübchen, wo wir zuerst geschlafen in Rotenberg, hatte sie mich geleitet. „Dort unten könnte er doch in mein Zimmer kommen, und er würde es nicht ertragen, Sie heute zu sehen,“ erklärte sie halblaut. Dann zog sie mich auf das kleine Sofa zwischen den Fenstern.

„O, sagen Sie mir, wie erträgt er es?“ bat ich.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_141.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2024)