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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 10.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)


Zwei Herren, an denen wir auf dem Hof vorübergefahren sein mußten, ohne sie zu sehen, kamen jetzt eilends heran: die beiden Brüder Vogtriz: Schlagododro’s Vater und der Major. Ich würde sie freilich nie für Brüder gehalten haben, so völlig unähnlich waren sie einander: Herr von Vogtriz, Schlagododros echter Vater von hohem, schier riesenhaftem Wuchs, quadratischen Schultern und mächtigen Gliedern, die er wie der Sohn schlenkerte, von diesem auf den ersten Blick nur unterschieden durch einen gewaltigen blondröthlichen Bart, der sich unten zu einem breiten Keil abstumpfte, und gegen den Schlagododro nur einen gelblich-weißlichen Flaum ins Feld fuhren konnte, welcher seine Oberlippe seit einiger Zeit zierte, und den er euphemististh seinen Schnurrbart nannte, wofür ihm dann glücklicher Weise gänzlich die Krähenfüße fehlten, die die Augen seines Vaters an den äußeren Ecken reichlich umgaben. Dagegen der Major, wie ich ihn zu schildern versucht habe, nur um ein Weniges minder hoch als sein riesenhafter Bruder, aber mit seiner schlanken Gestalt viel kleiner erscheinend, von schönster Haltung und anmuthigster Bewegung, dunkel von Haar und Bart und Augen, und mir jetzt im Civil (das durchaus nicht „räubermäßig“ war) fast noch sympathischer, als in der exklusiven Uniform.

Die Begrüßung zwischen Vater und Sohn war sehr herzlich, was mich denn sofort günstig für den Vater stimmte, ein erfreulicher Eindruck, der noch verstärkt wurde, als er mich, bevor Schlagododro Zeit hatte, mich vorzustellen, bei der Hand ergriff und dieselbe in einer Weise schüttelte, auf welche ich zu meinem Glück durch Schlagododro’s identische Begrüßungen vorbereitet war. Dabei hieß er mich mit ein paar herzlichen Worten (die er à la Schlagododro hervorsprudelte) willkommen: er habe schon viel Gutes über mich von Ulrich gehört. – „Auch von mir,“ sagte der Major lächelnd und mir ebenfalls die Hand reichend, wobei er mir wieder mit demselben wohlwollenden, aber seltsam prüfenden Blick auf Stirn und Augen sah, wie neulich Abends bei Werins.

„Und nun macht, Ihr jungen Herren, daß Ihr hinein kommt!“ rief Herr von Vogtriz, „und laßt Euch ein Butterbrot und ein Glas Wein geben, daß Ihr mir nicht bis zum Abendessen verhungert. Und hernach kommt in den Garten, wo, glaube ich, die ganze Gesellschaft ist.“

„Habt Ihr denn Gesellschaft, Papa?“ fragte Schlagododro.

„Außer uns, zu denen ich natürlich auch die jungen Damen rechne, nur noch ein paar Herren: den Oberförster und Axel Blewitz und den Kammerherrn.“

„Herrn von Trechow?“

„Nun natürlich. Glaubte, die Mama habe es Dir geschrieben. Bleibt ein paar Wochen hier. Freut sich sehr auf Dich – der arme Kerl! Aber nun, marsch!“

Josef Kainz als „Don Carlos“.
Nach einer Photographie von J. C. Schaarwächter in Berlin.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_165.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)