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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Der Herr Kammerherr würde sich gewiß sehr freuen,“ erwiderte Weißfisch mit dem leisesten Ansatz eines Lächelns; „mein diesmaliger Auftrag lautet indessen nur an den Herrn Lorenz.“

„Schön,“ sagte Schlagododro, „Herr Lorenz wird sich nach dem Frühstück die Ehre geben.“

„Ich erlaube mir die Mittheilung,“ sagte Weißfisch, „daß die ausgerittenen Herrschaften noch immer nicht zurück sind und die gnädige Frau das Frühstück um eine halbe Stunde hinauszuschieben befohlen haben. Diese halbe Stunde würde gerade ausreichen. Der Herr Kammerherr frühstücken bekanntermaßen allein und würde nach einer besonders schlechten Nacht für ein kleines Plauderstündchen sehr dankbar sein.“

„Meinetwegen,“ sagte Schlagododro.

(Fortsetzung folgt.)

Karnevals Lust und Leid.

In Briefen aus der Karnevalsaison mitgetheilt von Paul von Schönthan.
I.0 „Lust.“

Verehrter Freund! Die Erfüllung Ihrer brieflich ausgesprochenen Bitte, Ihren Neffen, der den ersten Winter in Berlin verbringt, um sich zum Bauführer-Examen vorzubereiten, einigermaßen zu überwachen und Ihnen von Zeit zu Zeit über dessen Lebensweise vertrauliche Mittheilungen zu machen, betrachte ich als eine heilige Freundespflicht, und ich hätte nicht so lange geschwiegen, wenn nicht der Anbruch des Karnevals, der Ihren Neffen nach verschiedenen außerhalb seiner Berufsstudien liegenden Richtungen in Anspruch nimmt, meine Beobachtungen wesentlich erschwert hätte. Als Ihr Neffe vor ungefähr zwei Monaten in Berlin ankam, bedurfte es nur der Versprechung, daß ich mit ihm die eine oder die andere Sehenswürdigkeit Berlins betrachten werde, und pünktlich auf die Minute stellte sich mein junger Baukünstler bei mir ein; – jetzt ist es anders – seit drei Wochen haben wir verabredet, die Einrichtungen der Reichsdruckerei gemeinschaftlich beaugenscheinigen zu wollen, aber er kommt nicht und findet bald diese, bald jene Entschuldigung. – Ich habe endlich den Entschluß gefaßt, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen. Es war Mittags – er war nicht da. „Zu dieser Zeit macht er Besuche, Sie müssen recht früh kommen,“ sagte man mir. Ich erschien des Morgens um acht Uhr. „Ich werde sehen, ob er schon zu Hause ist,“ meinte seine Wirthin. Auf diese Antwort war ich nicht vorbereitet. „Er schläft noch,“ sagte sie zurückkommend, „er ist wohl erst wieder gegen Morgen nach Hause gekommen, und da darf ich ihn vor Nachmittag drei Uhr nicht wecken.“ Ich theilte der Frau mit, daß ich in seinem Zimmer eine schriftliche Nachricht hinterlassen wolle, und trat leise ein. Er lag im Bette – aber denken Sie sich meinen Schrecken, er trug einen langen wallenden Vollbart, der ihm doch unmöglich in den paar Wochen gewachsen sein konnte, seit ich ihn nicht gesehen. Auf dem Tische lag eine Mönchskutte, das erklärte die Ueberraschung; vermuthlich war er in einem Zustande nach Hause zurückgekehrt, in welchem er an den Umhängebart nicht mehr dachte.

Uebrigens erfüllt es mich mit einer gewissen Genugthuung, daß er ungeachtet seines heiteren Lebenswandels den eingewurzelten Ernst für die Aufgaben seines Berufes nicht eingebüßt hat, wofür mir die Thatsache bürgt, daß er plötzlich mit dem ungeheuchelten Ausdrucke fachmännischer Befriedigung im Traume „Brillant gebaut!“ ausrief.

In diskreter Weise suchte ich über die Lebensweise meines Schützlings Näheres zu erfahren, und die ehrliche Frau machte mir kein Hehl daraus, daß ihn die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die öffentlichen Vergnügungen des Karnevals so vielfach beschäftigen, daß er zu einer Tageseintheilung seine Zuflucht nehmen mußte, die mir vollständig erklärlich macht, daß er für die Reichsdruckerei und das Postmuseum – Sehenswürdigkeiten, die eben nur von zehn bis zwei Uhr geöffnet sind, keine Zeit übrig hat – er schläft nämlich bei Tage, er frühstückt seit einigen Wochen am späten Nachmittage, ißt um Mitternacht Mittagsbrot und nimmt seine letzte Mahlzeit bei grauendem Morgen im „Café Bauer“ ein. –

Soeben bin ich durch den Besuch Ihres Neffen in meinem Briefe unterbrochen worden, er ist in Folge meiner zurückgelassenen Karte bei mir erschienen. – Das großstädtische Karnevalsleben scheint in der That sein ganzes Denken auszufüllen, in einer kurzen halben Stunde erzählte er mir, daß er bei Professor Müller gestern den Kotillon kommandirt und mit einigen neuen Figuren, die er sich ausgedacht, immensen Erfolg gehabt habe; er drängte mir zwei Billets zum Maskenballe im „Wintergarten“ auf, die ich mit dem Hinweis auf die Zurückhaltung, die mir meine Stellung als Kammergerichtsrath und mein hohes Alter auferlegen, ablehnte, und als er einmal das Taschentuch hervorzog, streute er dabei Knallbonbons aus. Beim Abschiede bat er mich nach einer Einleitung, die mir das Ernsteste ankündigte, ihm zu rathen, ob er zu dem Kostümfeste bei X-s als Pole oder als spanischer Grande erscheinen soll. Ich hielt den Zeitpunkt nicht für geeignet, um Ihrem lebenslustigen Neffen ernstere Gesprächsthemata nahezulegen. – Wollen wir hoffen, daß er über das ihm bevorstehende Examen mit der Leichtigkeit und Eleganz hinwegtänzelt, die ihn in anderem Sinne zum Liebling der hiesigen Gesellschaftskreise gemacht zu haben scheint.
Ihr alter Kollege N. N. 

*  *  *

Liebe einzige Kläre! Dies nur in fliegender Eile. Ich kann leider Eure Einladung zum Thee nicht annehmen, wir sind ja morgen Mittwoch bei Geheimrath W. und am Freitag ist Juristenball. Auf ersterem Balle erscheint man ohne Larve, es ist bloß ein bal travesti; ich gehe als Schneeflocke, ganz weiß, mit Puderquasten im Haar, auf den Achseln, den Schuhen, und wo sich’s sonst gut macht. Es sieht furchtbar chic aus. Der Doktor, der Dir neulich auf dem –schen Jour fixe vorgestellt wurde, wird auch da sein – ich finde ihn sehr nett, er ist für mich das Ideal der Männlichkeit, und als Arzt soll er sehr gesucht sein – er geht jeden Tag von elf bis ein Uhr an unserem Hause vorüber – ich habe mich zuerst nicht mehr ans Fenster getraut – jetzt geht’s. Ich beschwöre Dich, verbrenne diese Zeilen.
Deine Freundin Eva. 

P. S.0 Kannst Du mir unauffällig „Heine’s Buch der Lieder“ oder etwas von Byron schicken, so wäre es mir lieb, aber es hat höchste Eile. Damit Mama nichts merkt, mußt Du die Bücher einwickeln und sagen lassen, „eine schöne Empfehlung und hier wäre die englische Grammatik.“ Aber zusiegeln!

*  *  *

Liebste Anna! Gestern haben wir den Entschluß gefaßt, am 16. d. M. einen kleinen Ball zu veranstalten, meine Töchter sind, wie Du Dir denken kannst, Feuer und Flamme für dieses Projekt, und mein Mann hat wenigstens nichts dagegen. Du bist die Erste, die die Neuigkeit erfährt, damit Minchen und Tinchen Zeit haben, ihre Toilette besonders gewählt vorzubereiten, denn daß Ihr nicht fehlen dürft, ist selbstverständlich.

Gleichzeitig wollte ich Dich bitten, mich wissen zu lassen, ob Du so nett sein möchtest, mir für diesen Tag ein Hausmädchen – ihr habt doch noch die Marie aus Insterburg? – zum Serviren für die paar Stunden zu überlassen? Vielleicht bist Du so freundlich, Emil, Deinen reizenden Jungen, herüberzuschicken und mir Bescheid zu sagen – es wäre allerliebst, wenn Dein Söhnchen bei der Gelegenheit uns mit seiner bewunderungswürdigen Handschrift beispringen würde, mein Alex schreibt so schlecht, daß ich ihm die Einladungen gar nicht anvertrauen kann, er macht mehr Kleckse als Buchstaben. Läßt Du Emil durch Dein Mädchen begleiten, so könntest Du der Letzteren vielleicht den Samovar mitgeben, den Du mir schon neulich leihen wolltest – ich wüßte nicht, wie ich sonst den Thee serviren lassen sollte. Ich freue mich schon heute bei dem Gedanken, wie sich Deine Mädchen amüsiren werden, die lieben Geschöpfe, ich lege nämlich das Hauptgewicht auf Tänzer, o, sie sollen nicht sitzen bleiben, die reizenden Mädchen – dabei fällt mir ein, daß es uns mit den Stühlen recht knapp geht, und da man sich solcher Dinge wegen nur an die vertrautesten Bekannten wenden kann, frage ich Dich, meine älteste und liebste Freundin, ob Ihr an diesem Abend etwa ein Dutzend Stühle entbehren könnt? Sollte der Ausziehtisch, den mir Walters borgen, sich als zu klein erweisen, kann ich ja dieserwegen noch immer Deine Güte in Anspruch nehmen. „Entweder – oder“ sage ich mir, und es soll fein werden; wirst Du mir glauben, daß ich gestern die ganze Stadt ablief, um einen Hermes von Praxiteles, wie er bei Euch beim Salonfenster steht, zu bekommen? – aber umsonst; und gerade der fehlt unserem Salon, und es ist mir peinlich, daß dieser Mangel just bei unserem Ballfest bemerkbar werden soll. Agnes meinte gestern, wie pompös sich Eure beiden japanischen Lampen in unserem Salon ausnehmen würden, aber ich möchte um Alles in der Welt nicht so unbescheiden erscheinen, selbst wenn es gälte, Deinen Lampen einen Triumph zu bereiten – jedenfalls wäre demjenigen, dem Du sie zum Transport anvertraust, größte Sorgfalt anzuempfehlen, auch ist auf die hübschen seidenen Schirme zu achten, und die dazu passende Stutzuhr müßte aufrecht getragen werden – doch nun zu dem hauptsächlichen Theil meines Briefes. Mein Mann raucht, wie Du weißt, gar nicht, er hat keinen Cigarrenverstand und weiß kaum, bei welchem Ende sie angezündet werden; würde Dein liebenswürdiger Gatte, der eine Autorität darin ist, die Freundschaft für unser Haus so weit treiben, ein Kistchen Cigarren – nicht zu theuer – für uns zu jenem Abend zu besorgen – es kann eine ziemlich gewöhnliche Sorte sein, da wir die rothen Papierringe, die wir noch vom letzten Mal haben, selber daraufstecken. Wenn Du mir sagen läßt, ob ich auf den Hermes von Praxiteles und auf die Marie von Insterburg rechnen darf, könntest Du vielleicht gleich beifügen, ob Dein lieber Gatte sich uns durch diesen Liebesdienst verpflichten will! Doch nun Adieu, ich habe mir die Zeit rein abgestohlen, um mit meiner treuesten Freundin wieder ein wenig zu plaudern. Ach, was muß noch alles im Haus, in Küche und Keller geschehen! Wir haben alle Hände voll zu thun und wissen kaum, wo zuerst anfangen – wir könnten noch ein halbes Dutzend Hände brauchen. – Warum lassen sich Deine lieben Kinder gar nicht bei uns blicken?
In herzlicher Umarmung 
Deine P—. 

*  *  *

Liebe Freundin! Triumph! ich halte das Billet zum Subskriptionsball in den vor heimlicher Erregung zitternden Händen – Karl’s Widerstand ist gebrochen, nicht durch Bitten, nicht durch Thränen, sondern durch einen Akt der Resignation, der mich keine Minute Bedenken gekostet hat. Karl rechnet, wie Du weißt, vor allen Dingen, und pekuniäre Rücksichten waren bisher das Haupthinderniß. Durch meine feierliche Verzichtleistung:

1) auf die Wiederaufnahme meines Jour fixe,
2) auf die Badereise nach Gastein
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_171.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)