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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

für unschicklich, einem Franken dienstbar zu sein. So verweigerte der Sachse Breuning, Eberhard’s Lehnsmann, diesem offen den Gehorsam. Eberhard hatte ihn darum eigenmächtig, ohne des Königs Vermittelung anzurufen, schwer gezüchtigt, seine Burg verbrannt, die Besatzung getödtet. König Otto aber hatte diesen offenen Bruch des Landfriedens an Eberhard mit einer Buße von hundert Pfund Silber und an dessen Kampfgenossen mit der entehrenden Strafe des „Hundetragens“ von Franken bis zum Königssitze auf der Pfalz zu Magdeburg bestraft. Die Bestraften fügten sich zwar dem Richterspruche, sannen aber im Geheimen auf Wiedervergeltung der ihnen vermeintlich zugefügten Unbill. Während der König sich in Bayern aufhielt, übten sie von Neuem offene Gewaltthat wider die Sachsen, die unter der Botmäßigkeit von Otto’s jüngerem Bruder Heinrich standen. Der Kampf wurde mit allen Gräueln der Verwüstung geführt, und selbst die von dem zurückkehrenden König den Empörern angebotene Verzeihung fachte ihn nur zu helleren Flammen an, da man sie als Schwäche deutete. Jetzt glaubte Thankmar auch für sich die Zeit zum Handeln gekommen. Er überfiel in nächtlichem Hinterhalte die Feste Beleke in Westfalen, in welcher sein Stiefbruder Heinrich saß, nahm diesen gefangen und führte ihn gebunden Eberhard zu, gleichsam als Unterpfand ihres gemeinsamen Rachebundes. Dann zog er verheerend weiter durch Westfalen bis zur Eresburg, die er besetzte.

Der Aufruhr hatte jetzt so große Ausdehnung angenommen, daß die Stellung des Königs aufs Aeußerste gefährdet erschien. Da brach zum Glück für diesen in Eberhards Reihen eine Spaltung aus, und König Otto gewann dadurch Zeit, zunächst den Kampf gegen den treulosen Stiefbruder allein aufzunehmen. Er zieht mit einem Heere nach der Eresburg. Dort öffnen ihm im wachgewordenen Gefühle der Untreue die Bewohner freiwillig die Thore, und Thankmar geräth dadurch in die äußerste Bedrängniß. Dem Verlassenen bleibt zur Rettung des Lebens nichts weiter übrig als das Asylrecht der Kirche, und er flüchtet in die dem Apostel Petrus geweihte Ortskirche. Dort legt er den Schild und die goldne Kette, das Zeichen seiner fürstlichen Geburt, auf den Altar nieder und erfaßt diesen mit den erschöpften Armen, also sich sicher dünkend im Schutze des Heiligen. Aber seine Verfolger achten diesen Schutz nicht. Es sind die Mannen seines Stiefbruders Heinrich. Die ihrem Herrn von Thankmar angethane Schmach hat sie aufs Tiefste erbittert; sie wollen dieselbe rächen um jeden Preis, selbst um den des eigenen Seelenheils. Gewaltsam erbrechen sie das Thor des geweihten Asyls und dringen mit bewaffneter Hand in das Heiligthum ein. Thankmar, obwohl bis zum Tode erschöpft, rüstet sich zum Widerstande und nimmt den schimmernden Schild wieder vom Altare. „Ein Sachse,“ berichtet nach den Chroniken Giesebrecht, „mit Namen Thietbold trifft ihn, und Schmähungen begleiten den glücklichen Streich, aber sofort giebt ihn Thankmar mit noch besserem Erfolge zurück, und Thietbold haucht am Altare den Athem aus. Immer heißer entbrennt der Streit. Tapfer vertheidigt sich Thankmar, bis ihn ein Wurfspeer im Rücken trifft, der durch das Kirchenfenster, das dem Altar zunächst gelegen, auf ihn geschleudert ward. Rettungslos sinkt er endlich am Altare hin; ein Krieger Otto’s mit Namen Maincia gab ihm den letzten Stoß und raubte die goldne Kette vom Altare.“

In Otto’s Willen lag dieser blutige Abschluß des Dramas durchaus nicht. Er erfüllte vielmehr sein Herz mit tiefer Betrübniß. Denn trotz aller Energie und thatkräftigen Herbe besaß der Kaiser einen durchaus versöhnlichen Charakter. Das bewies er in den schweren Kämpfen, welche ihm nachher sein leiblicher Bruder Heinrich und sein Schwager, der Herzog Giselbrecht von Lothringen, bereiteten, in denen auch Maincia den sühnenden Tod erlitt. Immer und immer wieder verzieh Otto den Verirrten, bis die Gewalt dieser Großmuth namentlich des Bruders Herz völlig umkehrte und ihn zum treusten Genossen des Kaisers machte.

Endlich waren denn auch alle streitenden Stämme versöhnt, einten sich willig unter das gemeinsame Oberhaupt und zogen, als die Horden der Ungarn und Hunnen das Vaterland bedrohten, in Treue geeint wider dieselben zum siegreichen Kampfe.

Fr. Helbig.     

Auf dem Londoner Straßen-Pflaster.

Mit Illustrationen und Originalskizzen von H. Friedrich und Zeitbildern nach „The Illustrated London News“.

Ein englischer Volksredner.

Einer der schönsten Plätze Londons ist Trafalgar Square, welchen die Denksäule Nelson’s, des populärsten Helden Englands, überragt. Kirchen, Paläste und Theater begrenzen seine langen Fronten, fashionable Straßen nehmen hier ihren Anfang und laufen in langgestreckten Linien gegen Westen nach dem Hydepark. Hier ist der Mittelpunkt des Westend, der geldverzehrenden, tonangebenden Stadt mit den Palästen der Königin und des Adels, den Klubhäusern und öffentlichen Gebäuden; hier grünen prachtvolle Gärten in dem weiten steinernen Häusermeer; überall Reichthum und verschwenderischer Luxus.

In dieses vornehme Viertel zogen am 8. Februar Tausende beschäftigungsloser Arbeiter, um eine jener großen Volksversammlungen abzuhalten, wie sie nur in London zu schauen sind, und über die Verbesserung der Arbeiterlage zu berathen. Welchen Ausgang diese Demonstration genommen, ist allgemein bekannt. Feinde der Ordnung wußten die Gelegenheit zu benutzen, um auf dem Sockel der Nelsonsäule die rothe Fahne des Aufruhrs aufzupflanzen, und, angefeuert durch aufrührerische Reden, zogen Rotten professioneller Diebe und Einbrecher nach den benachbarten Straßen, um dort die Fenster einzuwerfen, Läden zu plündern, Vorübergehende ihrer Baarschaft zu berauben, überhaupt die gröbsten Excesse zu begehen. Stundenlang, von der überraschten Polizeimacht nicht gehindert, wogte im Westend die entfesselte Raublust, bis der angerichtete Schaden sich nach Millionen bezifferte und die Plünderer triumphirend nach dem Hydepark abzogen.

Hansom-Cab.

Für uns auf dem Kontinent ist die Möglichkeit derartiger Vorkommnisse fast unverständlich, aber London, mit dem sich keine Stadt der Welt messen darf, bildet eine Welt für sich, eine Welt von Gegensätzen, die den Wanderer auf Schritt und Tritt überrascht. Ein eigenartiges Leben fluthet in diesem ungeheueren Häusermeer; ich will versuchen, dem Leser Bilder vom Londoner Straßenpflaster zu schildern, wie man sie dort tagtäglich beobachten kann und in ihrer Gesammtheit schwerlich auf einem anderen Fleck der Erde finden dürfte.

Ich setze mich in ein „Hansom-Cab“, die modernste Droschke Londons, und rolle über das in den größeren Straßen überall eingeführte Holzpflaster nach dem Schauplatz der jüngsten Unruhen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_179.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2024)