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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Verzeihen Sie, Herr von Oerzen,“ fragte ich zitternd, „und wenn Prinz Otto das nicht sagt, wenn er meine Schwester so liebt, daß er auf ihren Besitz nicht verzichtet, dann?“

Er wurde verlegen, tödlich verlegen; er stotterte von „Schönheit – geistigen Vorzügen der Gräfin – ewiger Zuneigung – unbarmherzigem Geschick – Pflichtgefühl – fürstlichem Geschlecht, das nur noch auf zwei Augen stehe –“

„Es war eine thörichte Frage,“ sagte ich bitter, „Pardon!“

Er starrte auf die Thränen, die aus meinen Augen flossen, und – er war ja auch nur ein Mensch. „Fräulein von Werthern,“ begann er warm und nahm meine Hand, „Sie kennen Prinz Otto nicht; aber, wäre er auch ein Anderer, der Ernsteste, Beste, Ehrlichste; hätte er auch die Ueberzeugung, daß er und sie auf ewig unglücklich seien, der Eine dort, der Andere hier – er könnte doch nicht anders. Es giebt Pflichten, denen sich der Mensch, der Fürst nicht entziehen darf; die Zeiten der Philippine Welser und des alten Dessauer sind vorüber. Leben Sie wohl, gnädiges Fräulein, helfen Sie mir in diesem Sinne und nehmen Sie zu gleicher Zeit die Versicherung, daß mir nie ein Weg schwerer ward als der, der mich heute in dieses Zimmer führte.“

Er drückte mir die Hand, verbeugte sich und war im nächsten Augenblick gegangen.

Ich eilte wieder hinüber in das Schlafzimmer zu Lotte, aber da fand ich die weißen Schiebethüren hinter dem Vorhange geschlossen, und als ich pochte, erhielt ich keine Antwort. „Lotte!“ rief ich in meiner Herzensangst, „nur noch ein Wort, liebe Lotte!“

Kein Laut, kein Ton antwortete.

Rathlos wandte ich mich, da stand Anita vor mir. „Herr von Oerzen läßt Sie bitten, die Gräfin doch möglichst zur Unterschrift des Einliegenden zu bewegen,“ sagte sie und hielt mir ein Päckchen Papiere, in einem Kouvert verschlossen, entgegen.

Ich nahm es wie mechanisch und schritt zurück in das gelbe Zimmer; Anita folgte mir und machte sich allerhand zu schaffen, während ich von tiefem Schmerz ergriffen am Tische stand.

„Fräulein von Werthern,“ begann da Anita in ihrem eigenthümlich accentuirten Deutsch, „der Herzog meint es gut mit der Gräfin – er – er – wenn die Gräfin glaubt, daß –“ Ich sah sie groß an, und sie verstummte einen Moment. „O Fräulein von Werthern, Sie mochten mich nie leiden,“ fuhr sie fort, „Sie gingen immer so stolz an mir vorüber, und wenn Sie mich ansahen, war es, als wollten Sie sagen: ‚Ich wittere, daß hier nicht Alles in Ordnung ist.‘ – Wie es gekommen, daß ich hier in diesem Schlosse bin, daß mich die Menschen mit solchen Blicken betrachten dürfen, das ist eine lange traurige Geschichte; ich will sie Ihnen nicht erzählen, nur bitten will ich: möchte doch die Gräfin dem Vorschlage folgen, der ihr heute gemacht worden ist! Sie erspart sich viel Schmerz, denn er“ – sie kam mir ganz nahe, „er ist Einer, von denen das deutsche Sprichwort sagt: ‚Er geht über die Leiche seines Bruders!‘“

Ich starrte sie an. Was konnte sie von dem Vorschlage wissen?

Da nahm sie ein silbernes Theebrettchen, auf welchem ein halb ausgetrunkenes Glas Selterswasser stand, und im Hinausgehen bog sie das Gesicht über die Schulter zurück und lachend rief sie: „Ich weiß es aus eigenster Erfahrung, wie man derartige Sachen hier zu arrangiren versteht!“

Das klang so furchtbar frivol; aber in ihren großen dunklen Augen funkelten ein paar Thränen und standen in grellstem Widerspruch zu dieser Lustigkeit. Zum ersten Male kam das Mitleid über mich mit diesem Mädchen; mir graute in dem Schloß, in den üppigen Zimmern. O, hätte Lotte nie einen Fuß hierher gesetzt! Und da klang mir ihr altes Wort plötzlich hohnvoll in die Ohren. „Ich lasse mich nicht schieben!“ – Ach Lotte, wie furchtbar rächt sich Alles im Leben!

Und die Lampe verbreitete ihren Schein so hell und traulich; die Uhr tickte; gleißend hob sich der goldene Leib der Sphinx von dem schwarzen Marmor ab, darauf sie ruhte. Wie hieß doch die Devise? „Was die Zukunft birgt im dunklen Schoße, ist ein Räthsel, unlösbar für den Augenblick, doch die Zeit wird es enthüllen.“

Mir war sie nicht dunkel, die Zukunft. Ich sah Lotte hier hinausgehen aus dem Schlosse, und ich sah mich drüben aus dem traulichen Hause scheiden, und auf der Straße, die zum Thore hinausführt, treffen wir uns, Beide gehen wir – wohin? Ich weiß es nicht! Aber arm sind wir, so bettelarm an Glück und Stern –.


Am folgenden Tage bekam ich ein Billet von Lotte. „Begleitest Du mich heute Abend ins Koncert?“

Erschreckt sah ich Frau Roden an; wir hatten seit gestern nur von Lotte und immer wieder von Lotte, von ihrer Seelequal und großen Betrübniß gesprochen. Es war eine fremde Sängerin im Ort und der Ertrag des Koncertes für Verwundete, für Wittwen und Waisen bestimmt.

„Gehen Sie mit, Tonchen; bei Manchen äußert sich der Schmerz so eigenthümlich,“ sagte die gute alte Dame, „bedenken Sie, in welcher Unruhe die Frau sein muß.“

Ich sagte zu; und bald nachdem Lotte meine Antwort empfangen haben mußte, rasselte ihre Equipage durch die Straßen. Sie fuhr spazieren mit Diener und Kutscher und allem fürstlichen Zubehör. Am Abend, als ich mich schweren Herzens entschloß, sie zu dem Koncert abzuholen, fand ich sie in schwarzem Krepp und Spitzen, mit Schleppe und Fächer in der elegantesten Trauertoilette, die je die Welt erblickte. Und so schritt sie durch den schmalen Gang, den man zwischen den Stühlen des Publikums gelassen, so weit vor als möglich, gefolgt von Hunderten von Blicken und von dumpfem Gemurmel. Von Mund zu Munde ging es. „Die Gräfin Kaltensee!“

Ich saß neben ihr wie auf Kohlen; Lotte ohne eine Miene zu verziehen, scheinbar ganz in die Musik vertieft.

In der ersten Pause sagte sie: „Nun komm!“ Und abermals passirten wir unter hundert Blicken den Saal.

„Gefiel es Dir nicht?“ fragte ich sie in der Garderobe.

„Ich habe nicht zugehört –.“

„Aber Lotte!“

„Ich wollte ihnen nur zeigen, daß ich noch nicht durch ein Vehmgericht beseitigt wurde,“ lachte sie. „Und,“ setzte sie hinzu, „daß ich auch keineswegs die Lust habe, so mir nichts dir nichts von der Bildfläche zu verschwinden.“ Und sie nahm meinen Arm und sprach, während wir durch die stillen Gassen schritten, von Rom, vom kommenden Winter, von allem Möglichen.

„Lotte,“ sagte ich an der Schloßecke, während der Diener voraneilte, die Thür zu öffnen, „das Kouvert – den Brief, ich legte ihn auf Deinen Schreibtisch, und einen Zettel daneben – hast Du es gefunden?“

„Ja wohl! Es ist bereits zu Asche verwandelt; es brannte so lustig wie mir je ein Papier, auf dem so perfides nichtsnutziges Zeug geschrieben stand. Gute Nacht, Tone.“

„Hattest Du Nachricht von Prinz Otto?“

„Just so, wie alle Tage.“

„Gute Nachrichten, Lotte?“

Sie lachte sorglos. „Was sonst? Schlaf wohl, Tone!“ –

Und so ging es Tag für Tag. Mit lächelnder Miene fuhr Lotte spazieren, und vom Schloß herüber trug der Herbstwind verlorne Klänge ihres Klavierspieles in unsere Fenster. Auch zu Fuß zeigte sie sich in dem Theil des Schloßgartens, der dem Publikum zugängig war; und hier traf ich sie einmal, als ich aus der Stadt zurückkehrte. Erschreckt sah ich sie an, ihr Antlitz war so bleich, und unter den Augen auf den Wangen lag ein fremdartiges Roth; durch den kleinen Schleier flimmerte es so merkwürdig intensiv. „Um Gott, bist Du krank, Lotte?“ fragte ich.

„Nein,“ erwiderte sie, neben mir gehend.

„Du siehst so roth aus?“

„Bah Soll ich mir von den guten Leuten hier nachsagen lassen, daß ich mich bleich und elend härme?“

Ich sah sie näher an. Wahrhaftig – Schminke! Es war mir so traurig, daß ich mich umwenden mußte, um sie nicht sehen zu lassen, wie mich dies erschütterte.

„Sage mir nur Eins, Lotte,“ bat ich, „weiß Prinz Otto von der Absicht seines Vaters?“

Sie zögerte einen Moment mit der Antwort. „Er muß den Brief bekommen haben, worin ich es ihm mittheilte, denn ich habe auf andere Fragen, die ich in demselben Schreiben that, Antwort erhalten. Das – hat er nicht erwähnt.“

„Und was denkst Du davon, Lotte?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_198.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2024)