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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Wenn Herr von Vogtriz so sprach, pflegte er dabei seinen Sohn anzusehen, der, sich schier die Lippen wund beißend, mit rollenden Augen da saß – mir in so fern ein erfreulicher Anblick, als er dem Vater gegenüber doch nicht seine Lieblingsdrohung vorbringen konnte, mit der er mich andonnerte, sobald ich ein Wort gegen seinen Abgott zu äußern wagte. Dafür hatte denn der Vater kaum geendet, als auch er bereits zu reden begann: pro Bismarck, wie jener contra, und da Beide, wenn sie in Zorn gerathen waren, sehr laut und nicht selten zugleich sprachen, mochte die übrige Gesellschaft nur so lange schweigen, vorausgesetzt, daß der Eine zu hören wünschte, was der Andere sagte.

Ich bekam davon doch noch mehr zu hören, als mir lieb war, denn die Gesellschaft, welche außer den Familienmitgliedern die fortwährend aus- und eingehenden Nachbarn bildeten, war groß, vergrößerte sich mit jedem Tage, und, mochte sie nun beisammen sein oder in Gruppen sich sondern – immer und überall wurde von der Wahl, von Pastor Renner, dem würdigen Manne, und seinem unwürdigen Gegenkandidaten gesprochen in jenen Ausdrücken, die es mir oft fast unmöglich machten, mit meiner Gesinnung zurückzuhalten und eine Scene zu vermeiden, nach der ich nicht eine Stunde länger in diesem Hause bleiben durfte.

Aber war es nicht Ehrensache für mich, auch so zu gehen? Ich fragte es mich jeden Abend, und blieb am andern Morgen doch aus Gründen, von denen ich meinte, daß sie ein dritter Unparteiischer würde anerkennen müssen.

Zuerst, ich hatte keinen plausiblen Grund zu gehen. Ich hatte mich für die ganze Zeit der Ferien gebunden; mein grundloses Fortgehen würde eine schwere Kränkung für Schlagododro gewesen sein, und seine Eltern hatten es wahrlich nicht verdient, daß ich ihnen zum Dank für ihre Gastfreundschaft so vagabundenmäßig davon lief. Beide hatten mich, der ich in ihren Augen doch zweifellos der Tischlerssohn blieb und sicher kein anderes Verdienst hatte, als der Protégé ihres Sohnes zu sein, mit stets gleicher freundlich-rücksichsvoller Höflichkeit behandelt. Und wenn Frau von Vogtriz, die ein instinktives Gefühl dafür haben mußte, daß es mit meinem Seelenheil mißlich stehe, mir auch mit endlosen erbaulichen Reden und Vermahnungen fürchterlich zusetzte, so meinte sie es offenbar ehrlich; und hatte ich fraglos das Recht, mich bei diesen Rettungsversuchen zu langweilen, so hatte ich doch keines, mich denselben durch die Flucht zu entziehen.

Fand der junge Mensch aber keinen Grund, zu gehen, so hatte er einen Grund fur tausend, um zu bleiben. Er liebte – liebte zum ersten Male, wie ihm der Leser dieser wahrhaftigen Geschichte zur Noth bestätigen kann; und wenn er auch glücklos liebte, und seine glücklose Liebe ihm tausend heiße Thränen kostete, so konnte ihn das in seiner göttlichen Seligkeit nicht stören, so war diese damit nicht zu theuer bezahlt. Ja, er fand, obgleich er es ja, wie alles, was sein großes Geheimniß betraf, im tiefsten Herzen verschließen mußte, des Freundes glückliche Liebe unsäglich prosaisch in Vergleich zu der seinigen.

Und nun sollte auch noch das Einzige gehoben werden, wovor er sich wahrhaft fürchtete: daß das Uebermaß seiner Empfindungen ihm die verschlossene Brust sprengen würde. Er durfte sagen, was er litt, und durfte es durch den Mund des Dichters, der wohl wußte, warum er wiederum jenes Wort einem anderen Dichter, der auch glücklos liebte, in den Mund legte.

Der Kammerherr hatte seine Idee keineswegs aufgegeben; aber „Iphigenie“ war ihm durch die Weigerung Schlagododro’s, an dem er sich (wahrscheinlich der rollenden Augen und der ewig sich sträubenden Mähne wegen) einen prächtigen Orestes versprochen hatte, völlig verleidet. Jetzt sollte es „Tasso“ sein: der erste Akt bis zum Auftreten Antonio’s in der vierten Scene. Daß ich den Tasso darzustellen habe, war nur selbstverständlich; den Herzog wollte niemand Geringeres übernehmen, als der Kammerherr selbst. Er befand sich seit einigen Tagen ausnahmsweise wohl, hatte wiederholt, auf Weißfisch’s Arm gestützt, kleine Promenaden im Park gemacht und hoffte, das Viertelstündchen zur Noth stehen zu können, besonders, wenn er sich dabei auf eine Herme oder dergleichen lehne. Aber welcher von den beiden jungen Damen sollte er die Prinzessin, welcher die Sanvitale anvertrauen?

Ich hatte mir natürlich Ellinor zur Prinzessin gewünscht, aber der Kammerherr kam endlich zu dem Entschluß, mit dem er, vermuthe ich, nur zurückgehalten hatte, um mit unserer Spannung sein Spiel zu treiben.

„Sehen Sie, junger Freund,“ sagte er, „Goethe, der alte Pfiffikus in Weibersachen, hat die beiden Weiberchen genau so geknetet, wie er sie für seine Zwecke brauchte. Die Prinzessin darf Tasso nicht lieben – par amour, wie der Franzose sagt – denn sonst würde die Sache sofort eine andere Wendung nehmen; und da der Tasso zweifellos ein appetitliches Kerlchen ist, dem jedes ordentliche Mädchen gleich um den Hals fallen müßte, darf sie eben kein ordentliches Mädchen sein – verstehen Sie recht! – sondern ein zu ordentliches, vor dem einen ehrlichen Jungen der Himmel in Gnaden bewahren möge: eine, die nur mit dem Kopfe liebt, jedes Jahr ein paar Wochen in ein Stahlbad reist, faute de mieux den Plato studirt – kurz, eine Dame, die nur noch gerade so viel von der Leiblichkeit hat, daß sie blaue Strümpfe tragen kann, in deren Kleidern aber sonst absolut nichts steckt als die schönste prüde Seele. Nun, und für die Interperetation dieser himmelblauen Abstraktion ist Fräulein von Werin wie geschaffen: mit ihrer überschlanken Gestalt, ihrer beängstigend klaren Stirn und ihren kategorisch imperativen Augen. ,Du siehst mich lächelnd an, Eleonore!‘ Ja, beim Zeus, ich glaube, das Mädchen kann gar nicht lachen; ich habe es wenigstens noch nicht ein einziges Mal gesehen.“

Ich hütete mich selbstverständlich, den grausamen Spötter über diesen zarten Punkt aufzuklären, und er fuhr fort, indem er sich eine frische Cigarre anzündete:

„Dagegen die Sanvitale! Nun, da weiß man freilich, wo und wie. Ich möchte sie Ihnen nicht zur Frau empfehlen, aber zur Geliebten – à la bonne heure! und Sie werden manche gute Stunde mit ihr haben. Nein, die muß Fräulein Ellinor bekommen. Der hat Goethe sie auf den Leib geschrieben, ohne sie zu kennen. Aber freilich, der Glückliche hat mehr als eine Ellinor gekannt!“

Mehr als eine Ellinor!

Ich hätte den alten Cyniker morden mögen, wie er da vor mir saß, in dem Fauteuil zurückgelehnt, eingehüllt in den violett-sammetnen Schlafrock, mit den schwarzen Faunenaugen zwinkernd und den Rauch seiner Cigarre in dünnen grauen Streifen aus den verwelkten Lippen blasend!

Aber wo wären dann die köstlichen Leseproben geblieben, in denen ich unter dem holden Mantel der gemeinschaftlichen künstlerischen Aufgabe mich ihr ungestraft nähern, ihr kecklich gegenüber sitzen, meine Seele an ihrem Anblick, an dem Ton ihrer Stimme weiden, meiner hoffnungslosen Liebe unerschöpfliches Glück in vollen Zügen trinken durfte!

Und in diesen Proben war der blasphemirende Faun die Decenz und höfische Artigkeit selbst. Und wie wußte er uns Neulingen so leicht und doch so sicher die verschlungenen Pfade zum Tempel der Kunst zu deuten! Wie klüglich uns anzuleiten vom einfach richtigen zum ausdrucksvollen Lesen, von diesem zum Sprechen, vom Sprechen zur leidenschaftlich bewegten Rede! Wie uns hier die unvergleichliche Schönheit der Verse zu Gemüth zu führen, dort den tiefen psychologischen Gehalt einer dunklen Stelle zu entschleiern! Dann vergab ich dem Manne alle seine Sünden; ja, es konnte geschehen, daß ich über dem geistvollen Lehrer die angebetete Schülerin vergaß, nur noch an seinen welken Lippen hing und mir mehr als die bloße Ahnung aufging von seligen Gesfilden, bestrahlt von einer Sonne, vor deren stetigem Glanz das wechselnde Gestirn verbleicht, zu dem sie beten in der Liebe Zaubergärten.


7.

Wie im Fluge waren wir von den Leseproben zu den wirklichen Proben gelangt, welche gleich in dem für die Aufführung bestimmten Saale abgehalten wurden, und bei denen der Kammerdiener Weißfisch stets zugegen war. Die jungen Damen hatten sich zuerst sehr gegen die Anwesenheit des Mannes gesträubt, aber „der Herr Intendant“ war unerbittlich gewesen. Wir müßten uns allmählich an die Oeffentlichkeit gewöhnen, und der Mann repräsentire das Publikum. Ich hatte mich wohl gehütet, mit einem Wort zu opponiren, da ich wußte, wie große Stücke

der Kammerherr auf das Kunsturtheil des Mannes hielt. Nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_203.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2024)