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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Vorort Budweis ward. Binnen Jahresfrist hat dieser Verein zur nationalen Stärkung und wirthschaftlichen Hebung des Böhmerwaldvolkes es zu beinahe 100 Ortsgruppen (gegen 60 im gefährdeten Gebiete selbst) mit 12000 Mitgliedern gebracht.

Ein sichtbares Wahrzeichen des erwachenden deutschnationalen Bewußtseins ist das umfangreiche, geschmackvoll und zweckmäßig eingerichtete „Deutsche Vereinshaus", welches erst geschaffen wurde, nachdem die tschechischen Pioniere in demonstrativer Weise eine „Beseda", das ist eine gesellschaftliche Verbindung von propagandistischem Charakter, errichtet. Die Volks- und höheren Schulen sind bereits zur Hälfte slawisch, das bischöfliche Seminar, welches eine Diöcese von zwei Drittel deutscher Bevölkerung zu versorgen hat, zählte im letzten Semester unter etwa 100 Alumnen vier Deutsche. Und das vom Bischof Schönborn gegründete Taubstummeninstitut trägt nur eine tschechische Aufschrift, während die Straßenweiser doppelsprachig und die Schilder der größeren Firmen noch ausschließlich deutsch gehalten sind. So sieht es auf diesem Felde des Rassenkampfes aus. Auf dem Markstein des „Deutschen Vereinshauses“ stehen die mahnenden Worte:

„Durch Kampf zum Sieg – durch Finsterniß zum Licht –
Das ist des Deutschen frohe Zuversicht.“

In den neuen Stadtparkanlagen, in denen man noch Reste der alten Stadtmauer erblicken kann, begrüßen uns die wohlgelungene Kolossalbüste Kaiser Josef’s „des Einzigen“ und ein charakteristisches Standbild Lanna’s, des „selbstgemachten“ Holz-Krösus, dem seine Vaterstadt Vieles verdankt.

Neben der mächtigen, aber stillosen Stadtkathedrale erhebt sich ein hoher Glockenthurm, von dessen Brüstung man eine weite Ausschau genießt. Die ziemlich regelmäßig gebaute Stadt mit den Flußläufen der Moldau und Maltsch und ein fruchtbares Gefilde, das von bewaldeten Bergen umschlossen wird, können wir überblicken. Nach Norden lugt aus Waldesdunkel Frauenberg, das Prunkschloß der Fürsten von Schwarzenberg, hervor.

Nach Frauenberg gelangt man auf der Budweis-Pilsener Bahn oder, wenn man das Landschaftsbild genauer sich einprägen will, in etwa einundeinhalber Stunde zu Wagen. Ich sah mir zuerst das in einem Parkwalde stehende Jagdschloß Wohrad mit seinem interessanten Forste und Jagdmuseum an, in welchem namentlich die ausgestopften Thiergruppen, thatsächlich „lebende Bilder von des Wildes Treiben und Kämpfen“, interessiren. Dann ging es durch den großen, völlig tschechisirten Ort Frauenberg etwa 300 Fuß aufwärts nach dem Fürstenschlosse. Im Vorbeigehen betrachtete ich in der Kirche Hans Gasser’s „Madonna mit dem Kinde“ aus Sandstein, ein Skulpturwerk oou echtem Künstlergeist eingegeben. Das Schloß ist im sogenannten Windsor-Stile, der spätgothischen, in der Gesammtgliederung und in den Formen beweglicheren englischen Palast-Architektur erbaut, und macht in Verbindung mit den Waldkoulissen und den ziergärtnerischen Anlagen einen malerischen Eindruck. Dasselbe wurde auf dem Platze der abgetragenen alten Burgveste, die mannigfache Kampfschicksale erlebt und einmal auch im Besitze des im Dreißigjährigen Kriege genannten Generals Maradas war, von 1847–1871 errichtet von dem jetzigen Majoratsherrn und „regierenden Fürsten“ Johann Adolf, Herzog zu Krumau.

So vortheilhaft der äußere Eindruck des drei Stockwerke hohen, mit Zinnen gekrönten, von Thürmen und Erkern eingerahmten Schloßbaues ist, so überladen erscheint dessen innere Ausschmückung. Das ist ein Magazin des Reichthums, in dem die Kunst nur hier und da einen fröhlichen Schelmenstreich mit dem schwerfälligen Aufstapler und antiquarischen Dilettanten getrieben. Eine harmonische Stimmung konnte ich nur in dem großen Bibliotheksaal erlangen, während die Zimmer der verstorbenen Fürstin mir als eine durch einander gewürfelte Auslese von Luxusläden verschiedener Zeitalter erschienen. Charakteristisch für den hier herrschenden Geist ist, daß mir und meinem Freunde ein Lakai als Fuhrer beigegeben wurde, der nur tschechisch sprach oder zu verstehen vorgab. Ware mein Begleiter nicht dieses Idioms einigermaßen mächtig gewesen, so hätten wir an verschiedenen fürstlichen Familienreliquien verständnißlos vorübergehen müssen; über das Künstlerische hatte unser Cicerone nicht einmal das übliche eingelernte Urtheil. Was als ein Zufall erscheinen konnte, gewinnt im Zusammenhang, mit anderen Erscheinungen einen typischen Charakter. Auch im neuen Beamtenhaus neben dem Anstieg zum Schlosse hört man fast nur tschechische Laute. Von den mehr als 2000 Verwaltungs- und Forstbeamten, welche der Fürst für seine in Böhmen allein 33 Quadratmeilen umfassenden Besitzungen in Dienst genommen, sind bereits mehr als die Hälfte Tschechen; der deutsche Rest bequemt sich dem neuen Rasseglauben an, so gut er kann. Diese Haltung bedarf keiner weiteren Glosse. Sie allein vermochte den tschechischen Uebermuth so weit zu steigern, daß bei Enthüllung der Büste des Dichters Kollar in Weleschin unweit Krumau ein siegestrunkener Redner ausrief: „Bald muß auch die letzte Barbarenburg in Südböhmen, das ist Budweis, fallen, welche wir schon so lange belagern.“

Am frühen Morgen ging es weiter nach Krumau, das in dreiundeinhalb Stunden erreicht wurde. Dieses malerische Städtchen ist der Thorhüter des südlichen Böhmerwaldes. Die bräunliche Moldau verräth hier noch Zigeunerblut. Eingeengt zwischen den Bergen dreht sie ihren schmalen Leib in den knappsten Windungen, versucht sich in den künstlichsten Verschlingungen, bis sie endlich mit raschem Fuße aus dem Kreise entschlüpft. Als Zuschauer drängen sich die alten Häuser in dichten ungeordneten Reihen bis zum Uferrand. Vom erhöhten Balkonsitze blickt mit vornehmer Gelassenheit das mächtige Schloß herab auf das steinerne Gewühl und auf die wildrauschenden Fluthen. Die in unserm Bilde wiedergegebene Ansicht veranschaulicht den Charakter des auf einem vorgeschobenen Felsen terrassenförmig sich erhebenden Städtchens, dessen Giebel sich recken, um über die vorderen Dächer hinauszulugen, wobei nur engen Berggassen Raum bleibt. Die gothische Kirche im Vordergrunde ist das Heiligthum der Erzdechanei Sankt Veit, in deren Wohnräumen der Prälat von Krumau residirt. Die Thürme des Gotteshauses sind verzopft, desto mehr erfreut das innere durch reiche und stilvolle Ausgestaltung, Netz- und Sterngewölbe, sowie schönes Stab- und Maßwerk und ein feingearbeitetes Sakramentshäuschen. Im Hintergrund erhebt sich auf steiler Höhe das Schloß Krumau, welches die Witikonen im 11. Jahrhundert gegründet, die Rosenberg bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts besessen und die Eggenberg im 18. Jahrhundert an die Schwarzenberg vererbt haben, die den Titel „Herzöge von Krumau“ übernahmen. Bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges sammelte von da aus der Spanier Caratti die kaiserlichen Truppen zur Bezwingung der aufgestandenen Böhmen. Kurz vorher soll ein natürlicher Sohn des sterndeutenden Kaisers Rudolf II., Don Julius d’Austria, hier in schwerer Gefangenschaft dem Zorne seines Vaters geopfert worden sein.

Obwohl die weitausgedehnte, fünf Hofräume umschließende Gruppe von Gebäuden, welche das Schloß bilden, verschiedenen Zeitaltern entstammt und verschiedene Bauformen zeigt, verleiht ihr die historische Stimmung, deren das prunkende Frauenberg völlig entbehrt, doch ein einheitliches Gepräge. In stolzer Majestät steht der romanische Schloßthurm da mit seinen starken Mauern und seiner lauschigen oberen Säulengalerie, welche eine entzückende Rundsicht gewährt. Aber noch malerischer erscheinen die Marstallbrücke, welche die durch eine tiefe Schlucht getrennten alten und neuen Schloßtheile verbindet, und die über derselben sich dreimal wiederholenden gedeckten Verbindungsgänge. Wenn der Mondschein sie umfließt, kann man glauben, es schimmerten die Saiten einer Riesenharfe herüber, welche zwischen Felsen ausgespannt sind, und deren Resonanzboden der dunkle Hang des rückwärts aufdämmernden Planskerwaldes bildet. Dieser mächtige Querriegel des Böhmerwaldes bietet im fast 1100 Meter hohen Schöninger eine Hochwarte, wo man von dem Josefsthurm aus ein großartiges Panorama überschaut und bei klarem Wetter Fernblicke bis zu den Eishäuptern der Alpen hat.

Wie in Budweis, so suchen auch hier die Tschechen sich einzurichten. Sie beriefen tschechische Turner oder Sokolisten im August v. J. zu einer Demonstration nach Krumau, welche aber am ruhigen Sinn der Bevölkerung scheiterte. Der erhoffte Konflikt trat nicht ein, und während deutsche Turner zwei Wochen später in Königinhof beschimpft und mit einem Steinhagel überschüttet wurden, fanden die Sokolisten hier nur die Häuser verschlossen und die Straßen leer.

Der Bergbau, welcher vor 900 Jahren Krumau den Ursprung gegeben, ist wegen mangelnder Ergiebigkeit schon lange eingestellt. Aber das Gold deutscher Treue bergen noch die Herzen der standhaften Männer, welche nicht lassen wollen von germanischer Art. Sie leisten den Eindringlingen zähen Widerstand, bewehrt mit den Waffen des Gesetzes und gestärkt durch ihre Einmüthigkeit. Harret aus und ihr werdet siegreich aus dem Kampfe hervorgehen!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_207.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2024)