Seite:Die Gartenlaube (1886) 210.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

und seine schrankenlose Herrschaft erhält hierdurch Berechtigung und Bestand. Von ihm regiert und gelenkt, führt die Bande, wie heftige Stürme auch in ihrem Innern toben mögen, ein nach außen hin sehr gesichertes und daher behagliches Leben.

Alle Affen, mit Ausnahme der wenigen Nachtaffen, wirken bei Tage und ruhen bei Nacht. Erst geraume Zeit, nachdem die Sonne aufgegangen, ermuntern sie sich vom Schlafe. Ihr erstes Geschäft ist, sich zu sonnen und zu putzen. War die Nacht kalt und unbehaglich, so versuchten sie zwar dadurch, daß sie sich in Haufen zusammendrängten, ja sogar förmliche Klumpen bildeten, ihre unerquickliche Lage zu verbessern, frösteln am Morgen aber doch noch so, daß ihnen eine länger währende Besonnung durchaus geboten erscheint. Sobald der Nachtthau abgetrocknet ist, verlassen sie ihre Schlafplätze, klettern langsam zu den höchsten Spitzen der Baumwipfel oder Felsenzacken empor, erwählen einen den Sonnenstrahlen zugänglichen Sitz und kehren nun, auf letzterem gemächlich sich drehend und wendend, nach und nach alle Theile ihres Leibes der Sonne zu. Ist der Pelz abgetrocknet und gehörig durchwärmt, so regt sich das Verlangen, ihn gereinigt zu sehen, und jeder giebt sich nun diesem Geschäfte mit Eifer und Sorgfalt hin oder verlangt und empfängt von einem seines Gleichen solches bezweckenden Liebesdienst ebenso, wie er stets geneigt ist, ihn zu gewähren.

Nachdem das Haarkleid gereinigt, nöthigenfalls sogar gestrählt worden ist, macht sich die Sorge ums Frühstück geltend. Sie ist aus dem Grunde nicht beschwerend, weil den Affen alles Genießbare mundet und das Thierreich wie das Pflanzenreich ihnen zollen muß. Waldungen wie Berggelände bieten Früchte, Blatt- Und Blüthenknospen, Vogelnester mit Eiern oder junger Brut, Schnecken und Kerfe, Gärten Obst und Gemüse, Felder Getreide und Hülsenfrüchte. Hier wird eine reifende Aehre gebrochen, dort eine saftige Frucht gepflückt, in der Höhe ein Vogelnest ausgeplündert, auf dem Boden ein Stein umgewendet, in der Siedelung ein Garten gebrandschatzt oder ein Feld beraubt und überall etwas mitgenommen. Jeder einzelne Affe verwüstet, falls er dazu Zeit hat, zehnmal mehr, als er verbraucht, und kann aus diesem Grunde den Landwirth wie den Gärtner oder Obstzüchter empfindlich schädigen. Bei Beginn des Raubzuges sucht jeder für alle Fälle sich zu sichern und verzehrt fast ohne Wahl, was er erlangt, stopft auch, wenn er Backentaschen besitzt, zunächst diese so voll, als irgend möglich; sobald er aber dem ersten und dringendsten Bedürfnisse genügt hat, wählt und mäkelt er in maßloser Weise, indem er alles gepflückte Obst, jede gebrochene Aehre erst sorgsam untersucht, beriecht und beschaut, bevor er genießt, in den meisten Fällen aber das eine wie das andere achtlos wegwirft, um nach anderer Atzung zu greifen und ebenso zu verfahren wie vorher. „Wir säen und die Affen ernten,“ klagten mir die Bewohner Ost-Sudans mit vollstem Rechte. Gegen derartige Diebe schützt weder Hag noch Mauer, weder Schloß noch Riegel: sie übersteigen jene und öffnen diese; und was nicht gefressen werden kann, wird wenigstens mitgenommen. Es ist lustig und leidvoll zugleich, ihnen zuzuschauen; denn wie in ihrem Wesen überhaupt, paart sich auch jetzt Dreistigkeit und Verschlagenheit, Uebermuth und Schlauheit, Genußsucht und Vorsicht, ebenso freilich auch List und Tücke, Frechheit und Böswilligkeit. Alle ihnen eigenen Kunstfertigkeiten gelangen um so mehr zur Geltung, je gefährlicher das Unternehmen erscheint. Es wird gelaufen, geklettert, gesprungen, im Nothfalle auch geschwommen, um jedes Hemmniß wegzuräumen, immer und unter allen Umständen aber die eigene Sicherung niemals außer Acht gelassen. Der Leitaffe zieht stets voran, lockt, ruft, mahnt, warnt, zetert, schilt und straft, je nach Befinden; die Herde folgt und gehorcht, ohne jedoch jemals ganz zu vertrauen. Bei Gefahr denkt jedes Mitglied der Bande zunächst an die eigene Sicherung und findet sich erst später wieder bei dem Leitaffen ein; nur die Mütter, welche Kinder an der Brust oder auf dem Rücken tragen, machen hiervon eine Ausnahme, indem sie um deren Schicksal besorgter sind oder doch zu sein scheinen, als um ihr eigenes.

Die Affenjungen, von denen die meisten Arten gleichzeitig nur eins gebären, kommen zwar als wohlentwickelte Wesen, daher auch mit offenen Augen, zur Welt, sind aber nach unseren Begriffen überaus häßliche und trotz verhältnißmäßig weit vorgeschrittener Entwickelung ziemlich hilflose Geschöpfe. Häßlich erscheinen sie uns, weil ihre faltigen Gesichter mit den lebhaften Augen einen greisenhaften Ausdruck haben und ihr noch spärliches Haarkleid die ohnehin sehr bedeutende Länge ihrer Vorderglieder gleichsam noch verzerrt; als unbehilflich erweisen sie sich, weil sie von diesen Gliedern keinen anderen Gebrauch zu machen wissen, als sich an die Brust der Mutter zu heften. Hier hängen sie, mit Armen und Händen den Hals, mit Beinen und Füßen die Weichen der Mutter umklammernd, wochenlang, ohne ersichtlich mehr als den Kopf zu bewegen, gestatten daher der Mutter, ohne irgendwie gewichtige Belästigung gewohnten Geschäften nachzugehen und nach wie vor auf den halsbrechendsten Pfaden zu wandeln oder die kühnsten Sprünge auszuführen. Erst nach Ablauf geraumer Zeit, selten früher als nach Monatsfrist, beginnen sie, einzelne Bewegungen zu versuchen, benehmen sich dabei jedoch so ungeschickt, daß sie eher zum Mitleide als zum Lachen reizen. Diese Wechselbälge aber werden, vielleicht gerade ihrer Hilflosigkeit halber, von ihren Müttern mit solcher Zärtlichkeit betrachtet und behandelt, daß der Ausdruck „Affenliebe“ durchaus richtig erscheinen muß. Jede Affenmutter macht sich beständig mit ihrem Sprößlinge zu schaffen. Bald leckt sie ihn, bald reinigt sie sein Fell, bald legt sie ihn an die Brust, bald nimmt sie ihn in beide Hände, als wolle sie ihn einwiegen. Sieht sie sich beobachtet, so kehrt sie sich ab, als wolle sie andern Wesen den Anblick ihres Lieblings mißgönnen. Ist dieser älter und beweglicher geworden, so erhält er zuweilen Erlaubniß, die Mutterbrust verlassen und mit anderen seines Gleichen spielen zu dürfen, bleibt aber in strenger Zucht und wird, wenn er nicht augenblicklich gehorcht, durch Püffe und Kniffe bestraft. Selbst auf die Nahrung erstreckt sich die Fürsorge der Mutter. So gierig diese sonst zu sein pflegt: mit ihrem Sprößlinge theilt sie jeden Bissen, duldet aber auch nicht, daß jener durch hastiges oder übermäßiges Fressen sich schade, und schreitet in solchen Fällen mütterlich verständig ein. Doch kommt es selten hierzu oder zu empfindlicher Bestrafung, denn das Affenjunge ist so gehorsam, daß es manchem Menschenkinde als Vorbild aufgestellt werden könnte.

Wahrhaft rührend geberdet sich die Mutter bei ersichtlichen Leiden, geradezu verzweifelnd beim Tode ihres Sprößlings. Stunden- und tagelang schleppt sie die kleine Leiche mit sich herum, verweigert fortan jede Nahrung, sitzt antheillos auf einer und derselben Stelle und härmt sich oft buchstäblich zu Tode. Das Affenkind dagegen ist so tiefen Gefühlen unzugänglich, auch besser bewahrt als andere Thiere, falls es seine Mutter verliert. Denn das erste beste Mitglied der Bande, gleichviel ob es männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist, nimmt es in Pflege, stillt an ihm das allen Affen eigene heiße Verlangen, zu bemuttern, hätschelt es aufs Wärmste, geräth aber, des lieben Futters halber, leider oft in Zwiespalt mit seinem besseren Selbst und läßt ein Pflegekind, welches sich nicht bereits allein zu helfen weiß, erbärmlich kümmern, vielleicht sogar verkümmern.


Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Eines Morgens trat der Telegraphenbote in unser Haus und brachte der Frau Amtsräthin die schönste Botschaft, die sie je in ihrem Leben bekommen hatte – wie sie heute noch behauptet. Mit dem Rufe: „Tonchen, heute Abend kommen sie!“ riß sie die Thür des Wohnzimmers auf, „da steht’s Kind! Ach, Du großer gütiger Gott!“

Ja, da stand es: „Heute Abend acht Uhr treffen wir ein. Müller.“ – Die Depesche war aus Köln. Und wie kam da Leben in das Haus! „Sophie, Kinder – in den Garten! Schneidet Grünes und Blumen!“ rief die alte Dame. „Mamsell, schlachten Sie die jungen Hähne; Kind, Tone, glaubst Du, daß er Hähnchen essen darf? Und Apfelmuß? Er ißt so gerne

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_210.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2024)