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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Mehr als Sie glauben,“ unterbrach er mich lächelnd. „Ich habe Sie viel beobachtet und denke, ich weiß so ziemlich, wie es um Sie bestellt ist. Und gerade das ist es, weßhalb ich mit Ihnen zu sprechen wünschte, da wir uns in diesem Leben vielleicht zum letzten Male sehen. Ich wollte, ich hätte Ihnen mehr zu hinterlassen, als ein paar Lehren, die, hoffe ich, gut und ganz gewiß gut gemeint sind. Sie haben ein weiches, liebevolles und liebebedürftiges Herz, Sie haben eine bewegliche Phantasie, einen raschen, schnellfassenden Verstand, einen Geist, der sich nicht mit der Oberfläche der Dinge begnügt, sondern in die Tiefe zu dringen sucht: herrliche Gaben, wie sie in dieser Vereinigimg nicht Vielen zu theil werden, welche aber auch eben darum die Wenigen, die sie besitzen, mit einer ungeheuren Verantwortung belasten. Denn der Hochbegabte geht nie allein seinen Zielen entgegen; immer und überall hat er eine große Gefolgschaft hinter sich, für die er einstehen muß. Schweift er in die Irre, irren Alle; strauchelt er, kommen jene ins Taumeln; geht er unter, verderben auch die Anderen. Und nun lassen Sie sich das Wort eines Mannes gefallen, der, da er nun einmal nicht Ihr Vater ist, gern Ihr väterlicher Freund sein möchte. Sie sind, trotz Ihres guten Willens und edlen Strebens, auf einem falschen Wege. Da, wo Sie Ihr höchstes Ideal, die Freiheit, suchen, liegt es nicht, weder für Sie persönlich, noch für die Nation. Wir Deutsche verstehen Alles; uns selbst zu discipliniren, verstehen wir nicht. Wir können Alles, wenn wir die rechten Führer haben, denen wir folgen dürfen; wir sind die Beute von Nationen, die nicht so viel werth und nicht so stark sind wie wir, sobald uns diese Führer fehlen. Unsere Geschichte beweist es von Anbeginn bis auf den heutigen Tag. Unser Fehler war von jeher und ist es noch, daß wir die Tugenden in der Abstraktion eines Menschheitsideals wollen, ohne zu bedenken, daß jede, sobald sie geübt wird, eine nationale Färbung annehmen muß. Darum war das Weltbürgerthum des vorigen Jahrhunderts freilich nothwendig, weil wir eben Deutsche sind, aber eine – so wunderlich das klingt – ungeheure Einseitigkeit, die zu korrigiren die mühselige Arbeit unseres Jahrhanderts ist. Man muß ein Volk nehmen, wie es eben ist; Dinge von ihm verlangen, die es nicht leisten kann, ihm Institutionen zumuthen, die nun und nimmer aus seinem Wesen hervorgehen, heißt, einen Birnbaum haben, von dem man Aepfel pflücken will. Die Republik ist eine schöne Sache für Andere, nur nicht für uns Deutsche. Darum, wer an unser Königthum rührt, das Gottes Gnade uns gewährt hat, versündigt sich an dem Geist und Leib der deutschen Nation. Das hätte ich meinem Sohn gesagt, bevor ich in den Krieg ging, wo ich vielleicht den Tod finde, als ein Mahnwort für sein Leben. Nun sage ich es Ihnen, seinem Ebenbilde. Und daß ich es gesagt habe aus herzlicher Theilnahme, werden Sie mir glauben; sonst hätte ich es nicht gesagt.“

Er reichte mir die Hand, die ich heftig ergriff.

„Ja,“ rief ich, „und ich glaube es; und kein Mensch sollte mich an Königstreue übertreffen, wenn Sie mein König wären!“

Er mußte, wie ernst ihm zu Sinnen war, über meine Leidenschaft lächeln:

„Professor Willy hat Recht: Sie sind ein Poet. Als Sie ein Kind waren, sagten Sie mir: ich will Soldat werden. Nun, das liegt nicht so weit auseinander. Einem Strategen, der keine Phantasie hätte, würden die großen Erfolge ausbleiben, und ich meine, in jedem großen Dichtwerk steckt ein gutes Stück Strategie. und nun, mein junger Poet, leben Sie wohl, und, wenn Gott will, auf Wiedersehn!“

Er reichte mir noch einmal die Hand, die ich an meine Lippen preßte, während mir die Thränen aus den Augen stürzten.

„Nicht doch! nicht doch!“ sagte er abwehrend; „leben Sie wohl!“

Er schritt aus dem epheuumrankten Parkgartenthor, in welchem wir zuletzt gestanden hatten, dem nahen Portale des Schlosses zu. Ein offener angespannter Wagen hielt davor. Man schien bereits auf die Rückkehr des Majors gewartet zu haben. Sämmtliche Damen standen in dem Portale; Ellinor, als sie den Vater erblickte, lief ihm entgegen und schien, sich an ihn schmiegend, während er seinen linken Arm um ihre Schulter legte, ihm etwas von Wichtigkeit mitzutheilen. Er beschleunigte, sie loslassend, seinen Schritt. Sie folgte ihm langsamer, während ihr Blick, wie ich deutlich bemerken konnte, auf das Portal geheftet war, aus dem jetzt rasch eine jugendliche männliche Gestalt hervor und, sich bückend, hinter die Damen trat, wie Jemand, der nicht gleich erkannt sein will. Nun, als der Fuß des Majors die erste Stufe betrat, richtete er sich auf und sprang die Stufen hinab, dem Nahenden entgegen Es war Astolf. Der Major schüttelte ihm, wie es schien, freudig überrascht, die Hand, während die Damen ihn selbst umringten und, lebhaft auf ihn einsprechend – die einzelnen Worte konnte ich nicht verstehen, nur die schrille Stimme der Gouvernante von den anderen unterscheiden – ihn um längeres Bleiben anzugehen schienen. Ellinor besonders eifrig. Sie gestikulirte dabei lebhaft mit der Hand, die jetzt ihr Vetter erhaschte und wiederholt stürmisch küßte.

Die Morgensonne schien hell genug, aber mir war, als hätte eine blutrothe Abendwolke mir plötzlich die ganze Sonne überdeckt.

Als sie verzogen war, fand ich mich wieder allein in der Einsamkeit des Parkes.


10.

Ich hatte die Nacht fast schlaflos verbracht, die Begebnisse des vergangenen Tages in verzweifelnder Seele wälzend.

Der Major war wirklich, nachdem er noch eine Stunde zugegeben, abgereist, ohne sich, wie es schien, über das eigentliche Motiv seines Entschlusses gegen irgend wen sonst ausgesprochen zu haben. Es würde sonst nicht über diesen Entschluß, den man für eine wunderliche Laune nahm, soviel hin und her geredet worden sein; vor Allem wäre Ellinor’s Betragen unbegreiflich gewesen. Man sieht doch nicht, auch wenn man noch so leichtlebig und leichtfertig ist, einen theuren Vater mit trockenen Augen in den Krieg ziehen, um sofort eben diese Augen strahlenden Blickes auf den Geliebten zu heften! Ja, ich hatte ihn beobachtet, diesen strahlenden Blick, mehr als einmal, mitten in dem koketten Spiel mit Herrn von Blewitz, das Schlagododro prophezeit hatte, und das sofort begann, als dieser junge Herr am Nachmittage herbei geeilt war, seinen lieben Freund Astolf zu begrüßen. Doch war Ulrich’s Voraussage insofern nicht eingetroffen, als Astolf durch diese Nebenbuhlerschaft keineswegs gereizt oder beleidigt, im Gegentheil nur amüsirt schien. Er mußte also seiner Sache ganz sicher sein; und es war empörend, daß Ellinor sein Amüsement noch zu steigern suchte, indem sie plötzlich mich mit Aufmerksamkeiten überschüttete und genau so that, als hätten wir bis dahin in treulichster Harmonie und Freundschaft gelebt. Ich bekam zu hören, daß ich der liebenswürdigste Gesellschafter, der galanteste Kavalier sei, den sich Jeder, und Astolf im Besonderen, zum Muster nehmen könne, wenn er auch nicht hoffen dürfe, es ihm gleich zu thun. Am wenigsten im Komödienspiel! das sei meine große Force! Astolf würde sein Wunder haben!

Ich hatte es meinem empörten Herzen abgerungen, auf diese häßlichen Scherze einzugehen. Ich wollte Astolf nicht den Triumph gönnen, in seiner Gegenwart zu zeigen, wie grausam die Ironie, und wie tief ich gekränkt war. Mochten sie dann hinter meinem Rücken lachen, soviel sie wollten. vor meinen Augen sollten sie es nicht. Und sicher durfte ich gegen Astolf nicht zurückstehen, der zu mir von ausgesuchter, nicht mißzuverstehender Höflichkeit war: ich hasse, und verachte dich nach wie vor, nur bin ich ein zu wohlerzogener Herr, darüber zu vergessen, daß du der Gast meiner Eltern bist. Nun, ich vergaß es ebensowenig und hörte mit unerschütterlicher Geduld dem endlosen Loblied zu, das die entzückte Mutter über ihren Liebling sang, dem sie als ein Heldenstück ersten Ranges anrechnete, daß er sein Fähnrichsexamen acht Tage früher, als die Familie erwartet, bestanden und binnen einem halben Jahre spätestens Officier sein werde, falls es wirklich zum Kriege komme, wie man ja hier und da meine. Aber das werde der gütige Gott nicht zulassen. Er werde einem armen Mutterherzen, das sich ihres Erstgeborenen nach so langer Trennung endlich wieder zu ersättigen sehne, nicht eine so grausame Prüfung auferlegen!

„Amen! gnädige Frau, Amen! Amen!“ rief Fräulein Hersilie Drechsler.

Es war ein fürchterlicher Tag, der nicht besser wurde, als gegen Abend Herr von Vogtriz zurückkam in tiefer Verstimmung –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_222.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2024)