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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Kopfschüttelnd wandte sich Anita, suchte Geld und Schmuck zusammen und ging still hinaus. Und Lotte verbrannte die Briefe. Einmal war es, als ob ihr Blick hängen bliebe an einem der Bogen, als ob sie lese; einen Augenblick lehnte sie den Kopf gegen die Kacheln des Ofens, und die feine Hand schwebte wie unschlüssig über den Flammen, aber gleich darauf züngelten sie auch um diesen Brief, und hastig warf sie den Rest hinterdrein und sah zu, wie es aufloderte und zu Asche verbrannte, und wie in den schwarzen verkohlten Resten die glühenden Funken spielten.

Ich konnte den Anblick nicht ertragen; ich wandte mich und ging in die Schlafstube. Nach einem Weilchen hörte ich laut auflachen und als ich erschreckt zurückkam, hatte sie ein Karton geöffnet vor sich stehen, und in der Hand einen kaum verwelkten Myrtenkranz. Sie lachte noch immer; laut und schrecklich klang es, kalt und unheimlich, und dabei standen funkelnde Tropfen in den großen Augen. So lachte neulich Anita auch.

„Lotte, beste Lotte!“ rief ich angstvoll und nahm ihr den Kranz fort, während sie in den nächsten Stuhl sank und die Hände vor das Gesicht schlug und weiter lachte; dieses schreckliche verzweifelte Lachen!

Zitternd warf ich den Krauz in die Schachtel zu dem verdorrten Rosenstrauß, der noch darin lag; – Blumen, die nur einen Tag geblüht, nichts zurücklassend als wehe Dornen und ein todeskrankes Herz.

Ich kniete neben ihren Stuhl und umfaßte sie. Aber sie stieß mich zurück und schwer sanken ihre Arme herunter. „Laß mich!“ murmelte sie, „ich bin müde, todmüde und will schlafen!“

Sie stand auf und ging an mir vorüber, und im Nebenzimmer warf sie sich auf das Bette, das am Nachmittag für sie bereitet war, und dort lag sie unbeweglich. Als ich nach einiger Zeit bange lauschend ihr nachschlich, war es mir, als thue sie keinen Athemzug.

Dann ein leises Klopfen an der äußern Stubenthür, und als ich mich umwandte, schaute Frau Roden herein. „Kindchen,“ flüsterte sie, während ich, den Finger auf den Mund gelegt, leise zu ihr hinüber kam und sie auf den Flur hinaus drängte, „Kindchen, hat hier denn jemand gelacht? Fritz behauptet, er habe Lachen gehört.“

„Ja,“ sagte ich; „Lotte ist entsetzlich aufgeregt.“

„Wenn sie nur schlafen möchte oder weinen könnte!“

„Ich glaube, daß sie einschlafen wird,“ erwiderte ich, „sie ist ganz erschöpft.“

„Haben Sie denn einen Augenblick Zeit für uns? Ich versuchte vorhin den Arm zu verbinden, er stöhnt aber so sehr, ich bin so ungeschickt, Tonchen. Es ist zu schlimm, wenn man nicht mehr sieht.“

Ich lief eilig die Treppe hinunter und stand dann an seinem Lager. Sogleich machte ich mich daran, die ungeschickt angelegten Binden zu ordnen, aber er wendete den Kopf nicht herum von der Wand. Ob er wirklich um sie litt, die dort oben in Schmerz und Zorn lag?

„Fritz,“ begann ich, „darf ich Ihnen etwas vorlesen heute Abend?“

„O, bemühen Sie sich doch nicht –.“

„Aber ich thue es gern, damit Sie auf andere Gedanken –“

„Wissen Sie denn, ob mir meine Gedanken so unlieb sind?“ fragte er eigensinnig, wie nur ein Kranker es vermag.

Ich antwortete nicht; er that mir weh in diesem Augenblick. Und nun sah er mich an.

„Weinen Sie?“ sprach er gereizt. Und als ich stillschweigend das Buch nahm und mich an sein Lager setzte, fühlte ich, wie meine Stimme zitterte bei den ersten Worten, und wie sein Blick groß und voll auf mir ruhte. Im Sofa-Eckchen strickte Frau Roden, und dann verstummte das Klappern der Nadeln, nur meine Stimme klang noch, einförmig und farblos; ich las ohne Gedanken, rein mechanisch. Es war eins der letzten Kapitel aus dem „Ekkehard“.

Dann brach ich jäh ab, über uns begannen wieder die kleinen hastigen Schritte, hin und her, hin und her. Erschreckt sah ich zu ihm hinüber; er lag, den Kopf auf den gesunden Arm gestützt und die Augen auf mich gerichtet, völlig ruhig.

„Lesen Sie weiter,“ bat er.

In diesem Augenblick war es, als ob ein schwerer Gegenstand dort oben umfiel; es krachte förmlich. Ich warf das Buch auf den Tisch und wollte hinauf, da griff er nach meinem Kleide und hielt mich fest. „Ja, das ist recht, Mutter, sieh Du zu, was geschehen ist!“ rief er der hinauseilenden Frau nach. „Sie bleiben hier, Fräulein von Werthern, Sie zittern ja schon wieder; diesen Aufregungen scheinen Sie nicht gewachsen.“

In der That, ich war kaum fähig mich zu rühren.

„Armes Kind!“ sprach er weich und sah zur Decke empor. Meinte er Lotte?

„Sie ist sehr krank,“ erwiderte ich. Oben verstummten jetzt die Schritte, es ward still. Nach einer Weile kam Frau Roden zurück.

„Aengstigen Sie sich nicht, Tone,“ sagte sie mild; „der Schmerz will austoben bei solchen Naturen.“

„Fahren Sie fort,“ bat er mich, scheinbar ohne darauf zu hören, und wischte sich über die Stirn. Aber ich konnte nicht lesen, ich hatte keinen Willen in diesem Augenblick, und er nahm mir ungeduldig das Buch aus der Hand und las weiter, wo ich aufgehört: „‚Krank?‘ sprach Ekkehard. ‚Es ist nur eine Vergeltung‘ –.“ Dann stockte er, die Worte mochten ihm wunderlich passen; und er las für sich, so eifrig, daß ich meinte, er würde es nicht gewahr werden, wenn ich nun aufstände und hinaufginge zu Lotte. Aber bei der leisesten Bewegung senkte er das Buch und schaute mich an.

„Sie wollen schon fort?“

„Ich ängstige mich.“

Er antwortete nicht, aber er sah noch finsterer aus als vorhin.




Es kam eine schwere Zeit über mich. Lotte verfiel in eine Art Apathie; sie wollte sich nicht anziehen, sie wollte nicht sprechen und nicht essen; alle Mühe war vergebens, sie zu bewegen, sich ein wenig aufzuraffen. Scheu kauerte sie in dem Winkel des Sofa, nachlässig im Morgenkleide, das Haar in einen Knoten am Hinterkopf aufgesteckt, die Arme unter einander geschlagen, und starrte auf einen Fleck.

Ich hatte gebeten, ich war heftig geworden; sie bemerkte es kaum. Frau Roden drang ernstlich in sie, keine Miene zuckte in ihrem Gesicht. Sie war nur einmal aus diesem Zustande erwacht, als ein Brief vom Prinzen kam; sie hatte mit zitternder Hand darauf geschrieben, daß Adressatin durchaus keine Briefe annähme! Dieselben Worte hatte sie auf einem Schreiben des Kammerherrn vermerkt. Und nun waren schon neun Tage vorüber, und immer noch dasselbe.

Und alles Dies in dem Hause, in das sie Undank und Untreue gebracht! Aber daran dachte sie nicht; woran sie überhaupt dachte in dieser Zeit? Es war etwas Schreckliches – ich habe es erst später erfahren. –

Kein Wort gegen Lotte bekam ich unten zu hören; wenn jemals dem Bibelwort „Segnet, die Euch fluchen“ nachgeeifert ist, so war es unter dem alten Schieferdache des Domainenhauses. Der Arzt verordnete Wein – und das Beste aus dem Keller stand vor dem schweigenden jungen Weibe; Blumen und Früchte stellte die alte Frau still vor sie hin – kein Wort des Dankes lohnte ihr. Es war eine unheimliche Schwüle überall.

Und dazu schallte die Hausthür zur Besuchsstunde wieder fleißig, und Allewelt, die sonst in Wochen und Monaten nicht erschien, kam nun, nach dem Befinden des Patienten zu fragen mit einem Eifer, der mich dunkelroth machte und Frau Roden ein feines Lächeln abnöthigte. Ihrem Sohne ergehe es gut, erwiderte sie höflich kühl; von der, die sich unter ihr Dach geflüchtet, sprach sie keine Silbe, so deutlich auch die Anspielungen, die man wagte –. Aber wir erfuhren dennoch, in welch heller Aufregung die Stadt sich befand. Die unglaublichsten Gerüchte durchschwirrten die Luft, und daß Lotte in ihrer Noth dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_225.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2020)