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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Oben stand Lotte am Fenster und wandte den Kopf nach mir um. „Ich habe einen Brief vom Kammerherrn,“ sagte sie. „Sie sind ungeheuer gnädig, sie wollen mir zur Annahme oder Ablehnung der Revenue noch Bedenkzeit lassen, jeden Moment stehen mir Gelder zu Gebote; der nunmehrige Herr Erbprinz habe selbst die Höhe der Summe bestimmt. Bis zum Ablauf dieser Frist soll ich hier in Rotenberg verbleiben. Alles Andere wegen der Scheidung würde sich finden. Der gute Mann giebt mir den väterlichen Rath, ich möchte mich als Wittwe des Prinzen betrachten und die sogenannte Abstandsrente als sein Vermächtniß. Sehr gütig!“

Das war wieder der alte spöttische Ton. „Lotte,“ sagte ich fest, „wochenlang kannst Du in diesem Hause nicht bleiben.“

Sie zuckte die Schultern.

„Du mußt doch Mittel haben, um bis zur Ordnung Deiner Verhältnisse eine anständige Wohnung zu miethen?“

„Ich habe nichts, denn ich nehme nichts an von dort.“ Sie machte eine Geste nach dem Schlosse hinüber. „Uebrigens, es muß ja noch Geld von Großmutter vorhanden sein,“ setzte sie hinzu.

„Von Großmutter?“ rief ich. „Lotte, Du weißt doch, daß wir ihre Ohrringe verkauft haben, um Rodens die Summe zurück zu erstatten, die Du für Hans geliehen –“

„Dann weiß ich nicht, wie es werden soll,“ erklärte sie und wandte sich wieder zum Fenster. „Mache, was Du willst.“

„Ich werde mit Frau Roden sprechen, Lotte.“

„Thue das doch!“ erwiderte sie gleichgültig.

Der folgende Tag war ein Sonntag, ein doppelter Festtag für das Haus, denn der Arzt hatte dem Patienten erlaubt, das Zimmer zu verlassen und zum ersten Male mit uns zu speisen. Frau Roden ging in stiller Seligkeit um den Tisch, zupfte am Tafeltuch, ordnete an der Blumenschale, die mitten darauf prangte, und sah durch die Champagnerkelche, ob sie auch sauber geputzt seien; der Herr Doktor hatte das perlende schäumende Getränk extra als vortrefflich erklärt für den Rekonvalescenten. Im ganzen Hause duftete es nach Berliner Räucherpulver, untermischt mit dem kräftigen Geruch, der zuweilen, beim Oeffnen der Thür, aus der Küche quoll. Und dazu schien hell die Sonne durch die klaren Vorhänge; es war ein köstlicher Sonntagvormittag.

Nun saß die alte Dame endlich in ihrem Lehnstuhl am Fenster und sah die Leute aus der Kirche kommen; und ich ging, nachdem ich einige Flaschen Rothwein, die ich eben aus dem Keller geholt, an den Ofen gestellt hatte, zu ihr hinüber, um mit ihr wegen Lotte zu sprechen.

„Was wollen Sie denn, Kindchen?“ fragte sie. Und ich erzählte, daß Lotte Rotenberg nicht verlassen dürfe, bis die Scheidung erfolgt sei, daß sie aber keinenfalls in diesem Hause bleiben werde „Und da habe ich mir gedacht, ob Lotte und ich nicht wieder unsere alte Wohnung bezögen und ich vielleicht neben meiner Wirthschaftsführung Klavierstunden geben könnte? – Weitere Pläne sind ja vorläufig nicht zu machen.“

„Warum wollen Sie Stunden geben?“ fragte die alte Frau, „und warum wollen Sie mit hinüber ziehen?“

„Ich kann doch Lotte nicht allein lassen in ihrer jetzigen Gemüthsstimmung.“

„Sie sollte sich Anita mit hinübernehmen; müssen Sie immer das Aschenbrödel spielen?“

„Lotte ist zu stolz, um irgend etwas vom Prinzen anzunehmen,“ sagte ich.

„Zu stolz?“ unterbrach mich ärgerlich Frau Roden. „Sie ist doch sein ehrliches Weib geworden; wenn durch unabweisbare Verhältnisse diese Ehe getrennt wird, so ist es seine Pflicht und Schuldigkeit, der Frau eine sorgenfreie Existenz zu schaffen –. Und das geschieht auch, dafür kenne ich den Herzog, und wenn ihm hundertmal der ganze Handel nicht recht war. ‚Zu stolz!‘ sagen Sie? – Hm!“

Ich war verwirrt. So bitter hatte diese sanfte Frau noch nie gesprochen. Aber einer Antwort wurde ich überhoben, denn geräuschlos that sich die Tapetenthür auf, und Fritz kam in das Zimmer.

Die Mutter flog vom Sessel auf und ihm entgegen. „Gottlob, mein Junge!“ sagte sie und richtete sich an ihm empor, um ihn zu küssen. „Ja, Gottlob!“ erwiderte er und schaute mit sichtlichem Behagen in dem freundlichen sonnendurchleuchteten Zimmer umher. „So weit wären wir!“

Dann setzte er sich auf den Platz der Mutter, und während diese vor ihm stehen blieb, sagte er zu mir: „Ich hörte eben, Sie wollen umquartieren, Fräulein von Werthern. Das würde ich nie erlauben! Bitte, sagen Sie Ihrer Frau Schwester in meinem Namen, daß sie über die Zimmer dort oben verfügen möge, so lange sie derselben bedarf. Uns wird es eine angenehme Pflicht sein, ihr dieses Asyl zu gewähren.“

Frau Roden entfärbte sich; sie sah ihn sprachlos an. Er aber schien es nicht zu bemerken; er streichelte ihre Hände und fragte: „Nicht wahr, Mutter, wir waren immer gastfreie gemüthliche Leute? So soll’s auch bleiben. – Nicht wahr?“ wiederholte er noch einmal, um eine Nüance lauter.

„Du bist der Herr im Hause,“ erwiderte sie tonlos, wandte sich um und machte sich an der eingelegten Kommode zu schaffen, auf welcher uralte Porcellanfiguren standen; mit zitternden Händen wischte sie den Staub von dem gelben Hut einer Schäferin.

„Sind Sie einverstanden?“ fragte er lächelnd auch mich.

„Ich habe gar nichts zu entscheiden; ich meine, das muß Lotte thun.“

„Gewiß,“ erwiderte er ruhig, „fragen Sie Ihre Frau Schwester.“

Wie ein Kind ließ ich mich von ihm schicken und kam zu Lotte hinauf. Sie stand vor dem Spiegel und befestigte eine Broche am Kleide; sie war völlig in Toilette. Mich dünkte, sie sah schöner aus als je, in ihrer Blässe und dem einfachen schwarzen Trauerkleide, das sie um den Vater trug und nie wieder angehabt hatte, seitdem sie Gräfin Blankensee geworden. Es packte mich etwas wie Zorn; ich setzte mich an das Fenster und sprach kein Wort, während sie leise raschelnd vor dem Spiegel beschäftigt war und ihr feines Heliotrop-Parfüm mir den Kopf noch mehr einnahm.

„Du bist so still, Tone,“ begann sie endlich, ohne den Blick von dem Spiegel zu wenden; „hast Du eigentlich mit Frau Roden schon gesprochen?“

„Eben,“ sagte ich mühsam.

„Und?“

„Fritz Roden läßt sich Dir empfehlen, und Du möchtest über diese Zimmr verfügen so lange es Dir beliebt –.“

Sie sah mich an; unter den langen dunkeln Wimpern leuchtete es seltsam auf, aber sie antwortete nicht sogleich. Gelassen vollendete sie ihre Toilette, ging ein paarmal im Zimmer auf und ab und sagte endlich, vor mir stehen bleibend: „Ich werde es dankbar annehmen.“ Dann trat sie noch einmal vor den Spiegel, raffte ihre Schleppe zusammen und verließ die Stube. Ich hörte, wie sie langsam die Treppe hinunter stieg.

Und da flüchtete endlich die Vernunft vor einem leidenschaftlichen Schmerzensgefühl! Ich eilte in die Schlafstube, warf mich vor meinem Bette auf die Kniee und schluchzte wie ein Kind, in namenloser Angst.

„Aber Tonchen!“ sagte eine sanfte Stimme, und Frau Roden faßte mich an die Schulter. „Was ist Ihnen denn?“ fragte sie, ängstlich in mein verweintes Gesicht blickend.

Ich streifte nur ihre Augen; sie hatte ebenfalls Thränen vergossen; ich wußte warum, aber ich log dennoch. „Ich habe an den Hans gedacht und an unsere Zukunft.“

Sie lächelte, als wollte sie sagen: „Ich will es glauben, Tonchen –.“ „Kommen Sie herunter, Kind,“ bat sie dann: „sorgen Sie, daß keine Thränenspuren mehr zu sehen sind.“

Und während ich an den Waschtisch eilte, um meine brennenden Augen mit kaltem Wasser zu kühlen, fuhr sie fort: „Ich stand noch immer an der Kommode, da öffnete sich die Thür und Charlotte trat herein. Kind, mir stockte das Herz und meine Augen suchten sein Antlitz, wie er dies Wiedersehen wohl ertragen würde. Er stand auf, machte der schönen Frau eine Verbeugung und sprach ihr seine Freude aus, sie so wohlauf wiederzusehen. Er blickte so ruhig auf sie nieder, als habe er sie gestern zum letzten Mal gesprochen. Er hat sich furchtbar in der Gewalt; und das um meinetwegen.“

Sie hielt inne. „Er ist ja majorenn!“ seufzte sie, „und es ist eine alte Erfahrung: Widerspruch und Hinderniß schürt die Flamme ganz gewiß. Ich lege meine Hände in den Schoß und sehe zu; ich kann nichts weiter thun, als stille beten, daß Gott ihm den rechten Weg weisen möge.“

Im Wohnzimmer saß Lotte Fritz Roden gegenüber, und sie spielte, während er von St. Privat erzählte, mit einer weißen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_227.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2020)