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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Aster, die sie aus der Blumenschale genommen hatte. Eben trug das Mädchen die Suppe auf, und wir waren dann friedlich vereint um den Tisch – Elemente, die, wie es vor Kurzem noch den Anschein hatte, niemals mehr zusammen kommen sollten. Wie sonst sprach Fritz das Tischgebet, aber das Amt des Vorlegers, das ich übernommen hatte, als er in den Krieg ging, verwaltete ich auch heute noch, denn sein Arm litt es nicht.

Es war eine peinvolle Stimmung; schweigend ward die Suppe verzehrt. Dann nahm Fritz die Rothweinflasche, und indem er ungeschickt mit der linken Hand die Gläser füllte, sprach er, sich zum Scherz zwingend: „Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch seine Weine trinkt er gern. – Stoßen wir an auf unsere Truppen dort draußen im Felde; ein Dank ihnen für die Tapferkeit, mit der sie uns Haus und Hof beschirmten vor Feinden und Kriegsleid und uns solche Friedensstunden zu erhalten wußten, wie die heutigen sind. Es konnte schlimm hier aussehen.“

Lotte stimmte lebhaft zu. „Wir haben ja so oft erzählen hören von Großmutter, wie schrecklich der Krieg ist; die hatte anno Dreizehn noch so frisch im Gedächtniß, als wäre es gestern gewesen.“

„Gewiß, die alte Dame sprach gern davon,“ erwiderte Fritz; „hätte sie doch Sedan noch erlebt.“

„Ja, sie starb zu früh,“ bestätigte Lotte; „wäre sie leben geblieben, es würde Manches anders sein.“

Sie seufzte und ließ ihre schönen dunklen Augen schmerzerfüllt durch die Fenster schweifen. Es sah genau so aus, als wollte sie das rasche Sterben der armen Frau, die so schwer gekränkt, die im Kummer um sie schied, verantwortlich machen für ihre leichtsinnige Heirath. Ich wurde roth für sie. Um die Lippen von Fritz zuckte etwas wie Lächeln, Frau Roden aber bemerkte gelassen:

„Das pflegt man so nachher zu sagen! Meine gute alte Werthern war eine müde, gebrochene Frau; sie hatte keine Macht mehr, zu hindern, was schon so gut wie abgeschlossen war. Oder habe ich Sie nicht recht verstanden, Frau Gräfin?“

Lotte schwieg. Einen Augenblick ward es unheimlich still; aber Fritz Roden machte der kleinen Scene rasch ein Ende, indem er mir seinen Teller herüberreichte. „Fräulein von Werthern, noch einen Löffel Suppe; jetzt kommt der Rekonvalescentenhunger; Sie wissen ja, ich sagte es Ihnen gestern schon.“

Ja, ich wußte es, daß er gesunde an Körper und Seele – daß ihn der Frühling umfing –.

Lotte und er sprachen weiter vom Feldzug, und allmählich mischte sich auch Frau Roden in die Unterhaltung; sie wollte ihn ja keine Befürchtung merken lassen. Und so verlief der Mittag schließlich in jener zierlichen formellen Art, wie es zu geschehen pflegt, wenn mitten zwischen den Menschen ein unsichtbares beängstigendes Gespenst Platz genommen hat, das Alle genirt, und wenn Keiner es dem Andern gestehen will.

Nach Tische gingen Lotte und ich hinauf. Sie mit leichtem, elastischem Schritt, der sonderbar abstach gegen ihren langsamen Tritt heute früh.

„Er sieht merkwürdig gut aus,“ bemerkte sie, indem sie sich auf das Sofa warf und die Decke empor zog, „nicht mehr so roth und robust; er hat etwas Kavalières bekommen, etwas Sicheres. Es ist neu, eine Errungenschaft des Soldatenlebens, ich kannte es wenigstens nicht an ihm.“

„Du hast ihn überhaupt nicht gekannt!“ entfuhr mir bitter.

„Kann sein! Ich nahm mir nicht die Mühe,“ erwiderte sie und vertiefte sich in ihr Buch.

Ich holte Mantel und Hut und ging spazieren. Den einsamsten Waldpfad suchte ich auf, über welkes Laub und feuchten Grund schritt ich; um meine Stirn wehte der kalte Herbstwind, und Baum und Busch standen traurig, ohne Blätter, aller Sommerfreuden bar. Und während ich ziellos weiter wanderte, kam ich ins Reine mit meinem armen verworrenen Herzen. Ich redete in mich selbst hinein mit aller Macht: egoistisch war ich gewesen und keineswegs mädchenhaft stolz! Was für ein Recht hatte ich zu weinen, wenn in des Mannes Seele Wunden zu heilen begannen, an denen er schwer gelitten; wenn alte Hoffnungen neu erblühen wollten? Ich schämte mich meiner heutigen Thränen bitterlich; und als sich noch eine entschuldigende Stimme in mir erhob: „Du weißt, daß Lotte ihn nicht liebt, daß er unglücklich wird mit ihr,“ – so sagte ich mir darauf: „Wirf Berge dazwischen und Du wirst eine Liebe nicht hindern, die, wie Fritz Roden’s Liebe, das Ergebniß ist seines innersten Wesens, fest, zähe, treu! Es gilt, Tone, Du bleibst ‚Die Andere‘, wie Du es immer warst, – die Hand darauf!“ Und im Muff preßten sich meine beiden Hände fest ineinander.

„Du wirst auch nicht bitter und ungerecht werden, Du wirst nur stolz sein, Tone, sehr stolz.“ –

Ach, Stolz thut mitunter furchtbar weh. Er ist nur das Tuch, mit dem man eine wunde Stelle verhüllt, damit die Menschen nicht starren und staunen: Seht! seht die Aermste – wie mag das sie schmerzen!

Aber die verbergende Hülle drückt und reizt die Wunde, und das Herz empört sich, wenn der Mund lächeln will; krank und elend wird das Gemüth. Und ich dachte an die Stunden, die ich an seinem Bette zugebracht, plaudernd und vorlesend; an die Worte der Mutter, die in der Zärtlichkeit für mich ihrem Munde entschlüpft waren; dachte daran, wie sie ihm schon einmal gesagt, daß sie sich „Die Andere“ viel lieber zur Schwiegertochter gewünscht habe, als die schöne Schwester. Und dann kamen alle die thörichten Gedanken mit stürmischem Herzklopfen, und seine Augen sah ich, wie sie mir folgten im Krankenzimmer, so sonderbar, so unablässig. – –

Wo war der Stolz? Hervor damit! Und auf dem Fuße wandte ich mich und ging den Weg zurück, den ich gekommen; durch die herbstlichen Wälder, die bereits im Schatten der Berge standen. Weit draußen in der Ferne aber lag die Landschaft noch im lichten Sonnengold, und zwischen den Stämmen der hohen Buchen sah ich sie schimmern und locken; und eine heiße Sehnsucht faßte mich, hinauszulaufen, fort von hier, nach einem Ort, wo Niemand mich kennt mit meinen thörichten Gedanken und der Maske, die mir so schwer ward zu tragen, – Geduld, auch das wird kommen!

Als ich in das Haus trat, war es schon dämmerig und oben ertönten die machtvollen Klänge von Lotte’s Klavierspiel. Es war kein Mensch in dem geräumigen Flur, nur die Thür zu Fritzen’s Zimmer stand angelehnt und ließ einen schmalen Lichtstreifen sehen. Er lauschte wohl ihrem Spiel. – Leise kam ich zu der Treppe geschritten, da öffnete sich rasch die Thür, und seine Stimme fragte hastig:

„Wo waren Sie so lange, Tone?“

„Im Walde,“ gab ich zurück.

„Welcher Unsinn, allein in den Wald zu gehen!“

Ich lachte. „Ich bin ja immer bisher allein gegangen.“

„Das soll aber nicht sein!“ rief er heftig. „Sie sind zu jung für derartige Extravaganzen.“

„Ich?“ rief ich, halb belustigt, halb verletzt. Ich kam mir so alt vor, so verstoßen aus dem Reiche der Jugend; Niemand hatte bis jetzt darnach gefragt, ob ich allein gehen dürfe.

„Ja, Sie,“ erwiderte er und stand nun in dem Flur. „Mutter hat sich geängstigt, wissen Sie das?“ klang es gereizt.

„Es thut mir leid. Mir war er eine große Wohlthat, dieser einsame Spaziergang.“

„Fräuleinchen,“ rief es da aus der Tiefe des Zimmers; „einsame Spaziergänge machen nur Verliebte oder Trotzköpfe!“

Das sprach der Doktor, der auf ein Schwatzstündchen zu seinem Pathensohn gekommen war.

„Sie haben Ihre Diagnose verfehlt, Herr Doktor,“ gab ich lustig zur Antwort, „weder das eine noch das andere Leiden trage ich mit mir herum!“ Und ich ging mit festen Schritten nach oben. In der Dunkelheit konnte er die Röthe ja nicht gesehen haben, die auf meinen Wangen brannte. – Die Mamsell aber lugte aus ihrer Stube, in der sie Sonntagsfeier hielt. „Ei, ei! Waren der Herr böse, als Sie nicht heim kamen, Fräulein von Werthern. Die Zeitung lag auf dem Tische und der Kaffee wartete.“

Ja natürlich – die Zeitung!

Lotte aber fragte, als ich eintrat. „Schon wieder da?“ und begann ein anderes Stück. Ich saß still am Nähtisch und wußte nicht, wie ich es anfangen sollte, „stolz“ zu sein. Ich hatte das beschämende Gefühl einer Niederlage, noch bevor ich in den Kampf gegangen.

Was war es nur für eine neue Laune, daß er so besorgt um mich that?

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_228.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2020)