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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

so kann man sich eines Lächelns kaum erwehren, der jeder Beschreibung spottende Tonunfug aber, dessen sie sich schuldig machen, wird bald ebenso langweilig wie ihre einseitigen, eher kriechenden als kletternden Bewegungen. Was der Eine thut, ahmt der Andere gedankenlos nach; aber was er auch thun, wie er auch handeln möge, langweilig bleibt sein Gebahren stets. Ihm durchaus ähnlich oder doch nicht wesentlich von ihm verschieden betragen sich alle Wickelschwanzaffen, nur wenig anders, freier, selbständiger nämlich, benehmen sich einzelne besonders hervorragende Glieder der Familie.

Wie die neuweltlichen Affen zerfallen auch die in der alten Welt hausenden Affen in zwei Gruppen, denen man vielleicht den Rang von Familien zugestehen darf, obgleich beider Gebisse im Wesentlichen sich ähneln. Wir nennen die einen Hunds-, die anderen Menschenaffen und dürfen wohl sagen, daß jene uns das wahre Affenthum kennen lehren, wahrend diese bereits über dasselbe sich erheben. Für die ersteren insbesondere gilt, was ich eingangs sagte. Zu ihnen zählen ebenso schöne als häßliche, ebenso anmuthige als widerwärtige, ebenso heitere als ernsthafte, ebenso gutmüthige als boshafte Affen. Eigentlich ausgebildete Gestalten giebt es nicht unter ihnen, da man auch den häßlichen oder uns doch so erscheinenden Arten Ebenmäßigkeit der Gestalt zusprechen muß; in vieler Beziehung absonderliche Gesellen aber weisen sie auf. Ihre hauptsächlichsten Merkmale liegen in der mehr oder weniger stark vortretenden, an die der Hunde erinnernden Schnauze, den verhältnißmäßig kurzen Armen, dem stets vorhandenen, obschon bei einzelnen bis zu einem Stummel verkümmerten Schwanze, den mehr oder minder entwickelten Gesäßschwielen und den wenigstens bei den meisten Arten vorkommenden Backentaschen. Das Gebiß enthält die regelmäßige Anzahl von zweiunddreißig, in geschlossenen Reihen stehenden Zähnen. Sie bewohnen alle drei Erdtheile der alten Welt und treten in Afrika am zahlreichsten auf.

Ihre Begabungen und Eigenschaften stellen sie hoch über Krallen- und Breitnasenaffen. Sie gehen meist recht gut, obgleich einzelne von ihnen in uns erheiternder Weise eher humpeln als laufen, vermögen ohne Beschwerde auf den Beinen allein zu stehen und dabei zu voller Höhe sich aufzurichten, in dieser Stellung auch mehr oder weniger leicht dahin zu schreiten, klettern unter allen Umständen gut, obwohl die einen nur im Gezweige, die anderen dagegen im Gefelse diese Kunstfertigkeit bethätigen, schwimmen zum Theil auch vortrefflich. Diejenigen, welche auf Bäumen leben, klettern fliegend, um mich so auszudrücken; denn ihre Künsteleien im Gezweige übersteigen jede Erwartung. Sätze von acht bis zehn Meter Sprungweite sind kein unmögliches Unterfangen für sie; von den Wipfelästen eines Baumes springen sie ebenso tief auf niedrigere herab, beugen dieselben durch den Stoß abwärts, geben sich in demselben Augenblicke, welcher den Ast zurückschnellen läßt, einen wuchtigen Anstoß, strecken Schwanz und Hinterbeine lang von sich, um mit ihnen zu steuern, und fliegen wie ein Pfeil durch die Luft. Ein Baumast, und ob er mit den gefährlichsten Dornen besetzt wäre, ist für sie ein gebahnter Weg, eine Schlingpflanze Pfad oder Leiter, je nachdem selbe benutzt werden kann. Sie klettern vor- oder rückwärts, auf der Unter- wie auf der Oberseite eines Astes dahin, erfassen im Sprunge wie im Fallen ein dünnes Zweiglein mit einer Hand, verharren, so angehängt, beliebig lange in jeder denkbaren Stellung, steigen sodann gemächlich auf den Ast und nunmehr so unbefangen weiter, als hätten sie sich auf ebenem Boden befunden. Fehlt die Hand den erstrebten Zweig, so ergreift ihn, nicht minder sicher, der Fuß; bricht der Ast unter der jählings auf ihn fallenden Last, so erfassen sie im Fallen einen zweiten, dritten, und brechen alle, so springen sie eben, gleichviel um welche Höhen es sich handelt, auf den Boden hernieder, um an dem nächsten besten Stamme, an der ersten sich ihnen darbietenden Schlingpflanzenranke wieder zur Höhe emporzuklimmen. Mit dem klebenden oder kriechenden Klettern ihrer neuweltlichen Verwandten verglichen, erscheint und ist das ihrige eine wahrhaft freie, fessellose, jedes Hemmniß wegräumende Bewegung. Jene sind Stümper, sie vollendete Künstler, jene Baumsklaven, sie Beherrscher des Gezweiges.

Ebenso vervollkommnet wie ihre Bewegungen ist auch ihre Stimme. Von ihnen vernimmt man weder zwitschernde noch pfeifende, weder klagende noch heulende, vielmehr, je nachdem sie Eines oder das Andere ausdrücken wollen, sehr verschiedenartige, den Umständen angepaßte, auch uns verständliche Laute. Behagen oder Unbehagen, Verlangen oder Genügen, Wohl- oder Uebelwollen, Liebe oder Haß, Gleichmuth oder Zorn, Freude oder Schmerz, Vertrauen oder Mißtrauen, Hinneigung oder Abneigung, Zärtlichkeit oder Herbheit, Fügsamkeit oder Trotz, insbesondere aber jählings sich geltend machende Erregungen, wie Furcht, Schreck, Entsetzen, finden genügenden Ausdruck, so beschränkt auch immerhin noch die Stimmmittel sein mögen. Hand in Hand mit solchen Begabungen gehen die, welche wir geistige nennen. Man ist zwar berechtigt hervorzuheben, daß die Hand, welche erst unter ihnen zur vollen Bedeutung gelangt, ihnen vor anderen Thieren erhebliche Vorzüge gewährt und ihre Leistungen theilweise größer erscheinen läßt, als sie thatsächlich sind; ein hoher Grad von Verstand ist ihnen jedoch nicht abzusprechen. Ihr vortreffliches Gedächtniß bewahrt treulich die verschiedenartigsten Eindrücke, und ihre wohl erwägende Ueberlegung gestaltet letztere zu Erfahrungen, welche bei entsprechender Gelegenheit trefflich verwerthet werden. Daher handeln sie unverkennbar mit vollem Bewußtsein dessen, was sie thun, den Umständen gemäß, nicht als willenlose Sklaven einer von außen her auf sie einwirkenden Kraft, sondern selbständig, frei und wechselvoll, nehmen schlau und listig ihren Vortheil wahr und bedienen sich jedes Hilfsmittels, welches sie irgendwie benützen zu können glauben. Sie unterscheiden Ursache und Wirkung, versuchen letztere zu erzielen oder zu vereiteln, indem sie erstere schaffen oder aus dem Wege räumen; sie erkennen nicht allein, was ihnen frommt oder schadet, sondern wissen auch, ob sie recht oder unrecht handeln, gleichviel, ob sie dabei den Standpunkt des eigenen lieben Ich oder den eines ihnen übermächtigen Wesens einnehmen. Nicht blinder Zufall, sondern Erkenntniß der Ersprießlichkeit regelt und leitet ihr Thun, ordnet sie dem Ermessen des Befähigteren unter, bewegt sie, gemeinschaftlich zu wirken und zu handeln, lehrt sie, gemeinsam einzustehen für das Wohl und Wehe des Einzelnen, Freud und Leid, Glück und Unglück, Sicherheit und Gefahr, Wohlbefinden und Noth mit ihm zu theilen, mit anderen Worten einen auf Gegenseitigkeit beruhenden Verband zu bilden, unterweist sie, ihnen von Hause aus nicht erb- und eigenthümliche Kräfte und Mittel zu verwenden, drückt ihnen endlich Waffen in die Hand, welche die Natur der letzteren nicht verliehen.

Leidenschaften aller Art tragen freilich oft genug den Sieg über ihre Besonnenheit davon; gerade diese Leidenschaften aber sprechen wiederum für die Lebhaftigkeit ihrer Empfindungen oder, was dasselbe, für die Regsamkeit ihres Geistes. Sie sind empfindsam wie Kinder, reizbar wie schwachgeistige Menschen, daher äußerst empfänglich für jede Art der Behandlung, welche ihnen angethan werden kann: für entgegenkommende Liebe wie für abweisenden Haß, für anspornendes Lob wie für verletzenden Tadel, für befriedigende Schmeichelei wie für kränkenden Hohn, für Liebkosungen wie für Züchtigungen. Demungeachtet lassen sie sich nicht so leicht behandeln, noch weniger leicht zu etwas abrichten, wie beispielsweise ein Hund oder ein anderes kluges Hausthier; denn sie sind eigenwillig in hohem Grade und fast ebenso selbstbewußt wie der Mensch. Mühelos lernen sie, immer aber nur, wenn sie wollen, und keineswegs stets dann, wenn sie sollen; denn ihr Selbstbewußtsein lehnt sich auf gegen jede Unterordnung, welche ihnen nicht als für sie selbst ersprießlich erscheint. Dabei sind sie sich wohl bewußt, daß sie nach Befinden bestraft werden dürften, geben vielleicht schon im Voraus den Unannehmlichkeiten der zu erwartenden Strafe durch entsprechende Laute Ausdruck, verweigern aber dennoch die ihnen zugemuthete Leistung, wogegen sie solche willig, unter lebhaften Aeußerungen ihres Einverständnisses, verrichten, wenn ihnen dies gerade Vergnügen gewährt. Wer ihr Selbstgefühl in Frage zu stellen wagt, braucht sie nur zu beobachten, wenn sie ein anderes Thier behandeln. Sie betrachten ein solches, falls nicht Furcht vor dessen Stärke und Gefährlichkeit sie abschreckt, stets nur als Spielzeug ihrer Launen, gleichviel ob sie es necken und foppen oder hätscheln und zeitweilig mit Liebkosungen überhäufen. Einige Beispiele mögen im nachfolgenden Theile des Vortrags die eben ausgesprochenen Behauptungen erhärten.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_231.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2024)