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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Japanisches Frauenleben.

Von C. W. E. Brauns.
Mit Illustrationen nach Originalphotographien aus der japanischen Sammlung des Verfassers.

Vielleicht auf keinem Gebiete treten die Kontraste in dem Leben der verschiedenen Völker auffallender zu Tage, als in dem Frauenleben, und wie man bei uns nicht ohne Grund die Frau als die Trägerin des konservativen Principes im Gegensatze zu dem fortschrittlichen Streben des Mannes bezeichnet hat, so gilt dies auch für ferne und fremde Kulturkreise; ganz besonders aber kann man in Japan – dem wunderbaren, uns neuerdings mehr und mehr erschlossenen Lande „der aufgehenden Sonne“ – beobachten, wie die dortige Frau im Großen und Ganzen noch bis zum heutigen Tage auf der Bildungsstufe verharrt, die sie von Alters her einnahm.

Japanische Mutter.

Theetrinken.

Hier und da kommt es allerdings vor, daß ein muthigeres Herz die Sehnsucht merken läßt, an den großen Wandlungen theilzunehmen, welche die Neuzeit dem japanischen Volke brachte; doch diese Regungen treten so vereinzelt, so schüchtern hervor, daß sie bis jetzt kaum Beachtung gefunden haben und wie Strohhälmchen in dem Strome des Lebens dahinschwinden. Die große Mehrzahl der Frauen wünscht durchaus nicht, daß eine Aenderung ihrer Lage eintrete; alte Gewohnheit macht ihnen eine rechtlose, unwürdige Existenz lieb, sie verlangen kein anderes Dasein, als ihre Mütter und Urgroßmütter führten, sie sind durchaus zufrieden damit, dem Manne gegenüber eine dienende Stellung einzunehmen, und wollte man ihnen zumuthen, an der Arbeit oder dem Studium der Männer Antheil zu nehmen oder dieselben auch nur mit Interesse und Verständniß zu verfolgen, so würde dies unverstanden bleiben oder wohl gar mit Entrüstung zurückgewiesen werden. Nein, jede Neuerung mit Scheu oder mit offenkundigem Mißfallen bekritteln und den alten Schlendrian mit Allem, was dazu gehört, festhalten – das ist augenblicklich noch der Standpunkt, von dem aus die Japanerin die Fragen des Lebens betrachtet. In der That bewegt sie sich, mag sie den höchsten oder niedrigsten Ständen angehören, mag sie reich oder arm sein, immer in dem engen Kreise, der ihr von jeher zugemessen war, und die einzigen Bestrebungen, denen sie sich widmet, sind: einmal Alles aufzubieten, um dem Manne zu gefallen, und zweitens, mit allen Kräften für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen.

Es bedarf kaum einer ausdrücklichen Erwähnung, daß gerade in letzterem Punkte eine der schönsten Lichtseiten des japanischen Lebens begründet ist. Die Liebe der Eltern und besonders der Mutter zu dem Kinde, die des Kindes zu den Eltern und vornehmlich wieder zur Mutter, tritt oft in schönen, rührenden Zügen zu Tage. In volkstümlichem Erzählungen sowohl, wie in künstlerischen Darstellungen wird diese Tugend nach allen Richtungen hin verherrlicht, und wenn auch die nicht hinwegzuleugnende japanische Leichtfertigkeit manchmal eine minder rühmliche Ausnahme veranlaßt, so bleibt doch immer das ganze Volksleben davon durchdrungen. So findet sich zum Beispiel unter den verbreitetsten und beliebtesten Litteratur-Erzeugnissen ein Buch, das, allerdings seinem ersten Ursprunge nach chinesischer Herkunft, in vierundzwanzig Geschichten dankbare Söhne verherrlicht, welche in der verschiedensten Art und Weise die rührendste Liebe und Treue gegen ihre Mütter bekundeten.

Bedienung beim Schlafengehen.

Während der ersten Lebensjahre der Kinder sind die Japanerinnen aller Stände die ausschließlichen Ernährerinnen und Pflegerinnen derselben; schon durch die Art und Weise der Ernährung des ganzen Volkes ist es bedingt, daß von einer Einflößung thierischer Milch keine Rede sein kann, denn die Japaner haben im Ganzen genommen einen förmlichen Abscheu vor dem Genusse derselben und halten durchaus kein Melkvieh. Eben so wenig aber bedient sich irgend eine Japanerin einer Amme, und es würde dies auch schon darum unausführbar sein , weil jede Mutter für ihr eigenes Kind zu sorgen hat und keinen Nährstoff besitzt, der an die Stelle der Muttermilch treten könnte. Hieraus ist es auch zu erklären, daß nicht selten eine Mutter in Japan

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_232.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2024)