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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Langsam schritt ich weiter, und meine Blicke flogen zu den zwei Fenstern unter den unsern – sie waren dunkel. Ich wunderte mich, denn er liebte es nicht, lange in der Dämmerung zu sitzen; sein Wesen war so ganz und gar nicht angethan, sich in müßige Träumereien zu versenken.

Nun trat ich in das Haus, stieg die Treppe empor und kam leise in unser Schlafzimmer. Mir brannte die Stirn unter dem Pelzmützchen, der Mantel drückte mich fast zu Boden, hastig warf ich Beides ab; dann blieb ich starr, die Sachen noch in der Hand – deutlich und klar drang mir FritZ Roden’s Stimme ins Ohr.

„Nein, das bestreite ich,“ sagte er.

Er hier oben –– er bei ihr! Die Thür stand nur angelehnt; ich wollte hin, um sie zu schließen; was ging es mich an, wenn sie zusammen sprachen! Aber ich kam nicht vom Fleck, die Glieder versagten mir den Dienst.

Und nun drangen sie in mein Ohr, herzverwirrend und süß, jene paar einfachen Worte, die es vermochten, daß ich in die Kniee zusammenbrach und wie betäubt meinen Kopf an die Bettpfosten lehnte: „Ich darf es Ihnen wohl anvertrauen, Frau Gräfin, ich liebe ihre Schwester.“

Mir war, als müßte ich weinen und lachen, als müßte ich aufschreien wie erlöst von dumpfer jahrelanger Qual. Ich schloß die Augen wie ein Mensch, den plötzlicher Sonnenglanz blendet, und ich öffnete sie weit und sah den Spalt der Thüre und hörte seine gedämpften Schritte auf dem Teppich und hörte, wie Lotte zu lachen begann.

„O! So rasch?“ sprach sie dabei.

„Das sollten Sie nicht fragen,“ erwiderte er.

„Sie wollen sich als leidenschaftlicher Charakter aufspielen? Sie Fritz?“ Und wieder brach sie in ihr helles klingendes Lachen aus, das doch so verzweifelt und so gereizt klang. – Und nun rauschte ihre Schleppe und dann erlosch der helle Streifen; sie mußte bei ihrem Wandern just vor der Thür stehen geblieben sein.

„Mein Herr,“ hörte ich sie spöttisch sagen, „wir spielen hier Komödie! Die Rollen sind in unseren Händen ganz allein; wollen Sie den Inhalt des Stückes mit ein paar Worten erfahren? Ich gehe morgen nach Dresden, in eine Art Gefängniß, das mir die Herzogin dort bereitet hat, um mich hier los zu werden: sie hat Angst, der Prinz könnte mich doch wohl nicht so rasch vergessen. Ich bin ehrlich genug zu gestehen – ich gehe ungern, sehr ungern; und deßhalb wünschte ich Sie zu sprechen –. Ich wäre hier geblieben, – – ich hätte gern den goldenen Reif, den ich einst aus der Hand schleuderte, wieder vom Boden aufgenommen und an meinen Finger gesteckt –. Sie sehen, ich bin wirklich ehrlich; – – gern, sage ich; und wollen Sie wissen aus welchem Grunde?“

Aus Rache, Frau Gräfin,“ erwiderte er ruhig.

„Aus Rache!“ bestätigte sie langsam. „Und Sie, Fritz Roden, Sie lieben mich noch, lieben mich eben noch so wie in jenen Tagen, wo Sie mir Tone mit Ihrer Werbung schickten. Und nun stellen Sie sich hin, schlagen die Arme unter einander und lügen mir vor mit einer Miene, wie sie gleichgültiger nicht sein kann, wenn Sie mit dem Verwalter reden: ‚Ich liebe Ihre Schwester!‘ Und würde ich Sie fragen: ‚warum? wie kam es?‘ so müßten Sie als ehrlicher Mann antworten: ‚Aus Rache, Frau Gräfin, aus Rache‘.“ und sie begann wieder zu lachen.

„Welche Gründe mich leiten, – das muß Ihnen völlig gleichgültig sein.“

„Ist es mir auch!“ rief sie, „mich dauert nur das arme Närrchen, denn –“

Weiter hörte ich nichts mehr. Ich raffte mich auf und eilte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter. Im Hausflur stand ich mit meiner Empörung, meinem heißen Zorn und wußte nicht wohin? Dann riß ich die Thüre auf und stürmte über den Hof, dem Garten zu; – nur jetzt Niemand sehen!

Aus Rache! –

Es hatte angefangen zu schneien; große weiße Flocken taumelten hernieder und kühlten mein heißes Gesicht. Unter die Linde setzte ich mich, auf die Steinbank, lange Zeit; mich fror nicht, ich hörte nur das eine Wort: „Aus Rache!“ Und dabei starrte ich in das immer dichter werdende Gewimmel um mich herum, welches sich allmählich weiß und locker, eine schimmernde Decke, über den Garten breitete. Mir schwindelte vor dem tanzenden Treiben; ich konnte nicht denken und es war mir, als leuchtete durch dieses lautlose Gewimmel der purpurrothe Lichtschein aus Lotten’s Zimmer.

Dann hörte ich meinen Namen rufen; kraftvoll und laut scholl es durch die dunkle Nachtluft „Tone! Tone!“ Entsetzt fuhr ich empor; ich hätte ihm nicht mehr begegnen können heute, nur jetzt nicht, in diesem elenden Kampf mit meinem Herzen. – Und ich lief weiter auf alten wohlbekannten Wegen, tiefer, immer tiefer in den Garten hinein, und dann stand ich vor der Thür zu unserer ehemaligen Wohnung. Hastig faßte ich in meine Tasche und fand den Schlüssel; er war vom Tage vorher darin geblieben, als ich zur Mittagszeit die Fenster hier geöffnet hatte. In zitternder Eile erschloß ich die Thür und flüchtete hinauf in Großmutters Zimmer, in ihren Lehnstuhl. Dort wähnte ich mich sicher; für diesen Moment die größte Wohlthat, die mir werden konnte.

Todtenstill war es um mich, nur ein Holzwurm begann zu ticken. In dem schwachen Schneelicht konnte ich allmählich die Gegenstände unterscheiden; dort das große Himmelbett, drüben der Schreibtisch; und mit diesem Erkennen trat so furchtbar deutlich die letzte Vergangenheit vor meine Seele. Ich sah Lotte dort stehen und ihn, den zärtlichen glühenden Bräutigam. – Verschwindet Liebe so bald? Sie hatte wohl Recht, er liebte sie noch ebenso. Aber er war zu beleidigt, zu stolz, und darum nahm er sein zuckendes Herz und rettete sich hinter eine künstlich aufgebaute Schutzwehr, indem er zu dem schönen Weibe sagte, das ihn spielend wieder zu ihren Fußen zu zwingen glaubte: „Ich liebe eine Andere! Und diese Andere ist, weil ich sie gerade so bei der Hand habe, Deine Schwester!“ Das arme Närrchen, sie mußte ja hochbeglückt sein; sie hatte schon tausendmal verrathen, daß ihr Herz ihm willenlos ergeben, – da paßte es ja ganz vorzüglich!

Seinem Mannesstolz war Genüge geschehen, die schöne Braut von ehemals – gedemüthigt bis an die Erde! Was aus der „Andern“ wurde, davon konnte erst später die Rede sein – – er war gerächt!

Ich stützte die Ellenbogen auf die Seitenpolster des alten Sessels und begann zu überlegen. Hier bleiben konnte ich nicht länger. Mit Lotte gehen? – Nein! rief es in mir mit ehrlichster Entrüstung, und meine Hände ballten sich.

Nach Berlin, in irgend ein Lazareth? Ja! Morgen schon! Dann fiel mir wie ein Funken der Name „Brenken“ in die Seele.

Ja! ja! flüsterte ich, es ist ein Menschenherz, ein ehrliches! Aber gleich darauf stieg mir das Blut siedendheiß in das Gesicht vor Scham –. Niemals!

In meinen Ohren sang und klang es so eigenthümlich und hell; ich hörte das Pochen meiner Schläfe gegen das Polster, und wieder kam das Gefühl des Schwindels über mich, so daß ich mit bebenden Händen nach der Lehne des Sessels griff; ich meinte zu versinken in einen bodenlosen Abgrund. Einmal war es auch, als hörte ich wie aus weiter Ferne meinen Namen rufen, und sagte: „Die Großmama!“

Dann sang und klang es weiter, und endlich schreckte ich empor und starrte nach der Thür; ich sah noch eine hohe Gestalt im schwankenden Schein einer Laterne und hörte eine Stimme: „Aber um Gotteswillen, Tone!“ – Dann nichts mehr. 0000000000000000000000

Später haben sie mir erzählt, wie sie mich fiebernd und bewußtlos gefunden, Fritz und seine Mutter: wie sie mich zu Bette gebracht und wie Lotte so todtenblaß geworden, als der Arzt gesagt, ich würde schwer krank werden. Die Spuren meiner Füße im Schnee hatten sie zu mir geleitet. Ich wußte nichts von der nächsten Zeit. Als ich zum ersten Male wieder mit Verständniß die Augen aufschlug, schien ein klarer Januartag in die Fenster und zwei alte mütterlich gute Augen schauten mich an. Nur mühsam konnte ich mich besinnen; und was ich aus der Erinnerung hervorholte, war nicht darnach angethan, die Genesung zu fördern.

„Wo ist Lotte?“ fragte ich angstvoll.

„In Dresden, Kindchen,“ antwortete die alte Dame ruhig. „Schon seit Wochen.“

„Allein?“ stammelte ich.

„Nein, nein! Die Herzogin hat gesorgt für sie, wie eine Mutter. Sie lebt bei Frau von Millern, der pensionirten Hofdame.“

Ich schwieg; ich war so müde und matt. Und wieder

versank ich in halbe Bewußtlosigkeit. Ich hörte das leise Walten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_253.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2019)